Eine digitale Anwendung soll pandemiebedingte Kontaktverfolgung revolutionieren. Zur Auswahl stehen zwei Apps – beide fähig, eine sicher. Luca ist das Synonym der neuen deutschen Freiheit, obwohl in Sachen Datenschutz von Experten kritisiert. Eine gute Alternative gibt es längst. Wir haben Fragen.
Handtuchverbote für Hotelliegen, Imagewandel der DB, Alkoholmissbrauch auf Langstreckenflügen: In dieser Serie mit dem Titel “Lasst uns reden” widmet sich unsere Kolumnistin Lilli einmal monatlich den wichtigen und nichtigen Aspekten des Reisens. Eine gesellschaftspolitische Kolumne in Zeiten von landesweitem Fernweh.
Luca, das ist ein vielseitiger Name. Ursprünglich als Vorname für italienische Männer gebraucht, leitet sich die alt-lateinische Bedeutung von dem Begriff Lucanus ab, eine Bezeichnung für eine aus Lucania (also Süditalien) stammende Person. Die griechischen Wurzeln Lucas führen uns hingegen zu einem Begriff namens Leucus, der sich in etwa mit den Worten „hell“ oder auch „weiß“ übersetzen lässt, und die Namensbedeutung von „ins Licht hineingeboren“ prägte. In Deutschland wird Luca seit spätestens Mitte der Neunziger Jahre überwiegend als männlicher Vorname gebraucht und gemeingesellschaftlich entsprechend assoziiert – bis jetzt. Denn seit Anfang des Jahres summieren sich Schlagzeilen auf den Titelblättern des Landes, die unter diesem Namen eine wahrlich hellere Zukunftsperspektive propagieren, als es im letzten Jahr der Fall war.
Landesregierungen erwerben Luca-Lizenzen zur Öffnungsstrategie
Denn Luca ist auch der Name einer App, die die (hoffentlich nahende) Auferstehung der deutschen Normalität nicht unwesentlich begünstigen soll – die Öffnung von Grenzen und Gastro noch in diesem Sommer. Die Luca App stammt zwar nicht aus Süditalien, dafür aber (unter anderem) aus den Händen einer bekannten deutschen Hip Hop-Band namens „Die Fantastischen Vier“ – zumindest wenn man ihrem zugehörigen Frontsänger Smudo Glauben schenkt, der seit einigen Monaten als Markengesicht der Anwendung fungiert. Zuletzt zeigte sich der ursprünglich als Michael Bernd Schmidt in Gerlingen geborene Künstler irgendwann Ende März medienwirksam auf einem Sessel im Sitzkreis von Anne Will. Mit warmen Worten zeichnete der Rapper die nahende Aussicht auf pulsierendes Großstadtleben und gesellschaftliche Gemeinsamkeit, wie sie das ganze Land seit Monaten vermisst. Statt pandemiebedingter Fatigue und Forderungen nach Lockdown Nummer vier (?) ließ diese greifbare Perspektive die Herzen der Deutschen höher schlagen – und die zugehörige Software der Luca App vorübergehend zusammenbrechen. Etwa Einhundert Stunden später hatte knapp eine Million Bürger die Anwendung installiert; um die 15.000 Betriebe sind landesweit registriert, Tendenz steigend.
Wir sind ein Teil der Kulturszene, aber wir sind auch persönlich betroffen. Wir brauchen gesellschaftliche Kontakte, aber wir brauchen auch Sicherheit. Mit luca lassen sich u.a. Konzerte und Veranstaltungen sicher durchführen, die Gesundheitsämter werden nachhaltig entlastet und Infektionsketten schneller unterbrochen, was am Ende zu mehr Freiheit führen wird. Als wir von der Idee für luca hörten, waren wir begeistert.
Statement der Fantastischen Vier (Webseite: Luca App)
Nur wenige Schlagzeilen später ist Luca das Synonym der neuen deutschen Freiheit. Die Landesregierungen sind hinreichend überzeugt und kaufen Lizenzen der Anwendung, wie ihre Bürger frische Hefe im April 2020. Mit Mecklenburg-Vorpommern hatte alles Anfang März begonnen, mit Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und dem Saarland zogen bald etliche Länder nach. Selbst die pandemie-problematische Hauptstadt verschreibt sich der Applikation, wenngleich mit durchaus wenig Liebe zum Detail: Berliner Bürgermeister Michael Müller erzählt in einem Twitter-Video von unterschriebenen Verträgen, allerdings „ohne, dass ich Smudo kennengelernt habe oder mich mit den technischen Details auskenne.“ Nun ja.
Ich habe die Verträge dafür unterschrieben, ohne, dass ich Smudo kennengelernt habe oder mich mit technischen Details auskenne. Aber ich habe gelernt, dass wir so eine Kontaktverfolgungsmöglichkeit brauchen, und dass es mit dieser und anderen Apps gute Möglichkeiten gibt, dass man wieder schneller absichern kann. (…) Und deswegen habe ich das jetzt bestellt für Berlin.
Statement Berliner Bürgermeister Michael Müller (Twitter: Video)
Ironischerweise sind es aber genau jene technischen Feinheiten, die eine kritische Debatte um Finanzierung, Förderung und Verbreitung der Luca App ziemlich unausweichlich machen; denn wie so oft in diesen Zeiten zielt die Frage aller Fragen auf das diffuse Thema Datenschutz. Die Antwort allerdings dürfte nur wenigen gefallen. Fest steht ohnehin, dass eine App die Antwort auf alles wird, worin also differenzieren, wenn nicht in technischen Details? Alternativen zu Luca gibt es jedenfalls reichlich. Denn weltweit wartet dieselbe Idee: eine App zur Öffnung der Grenzen, eine App für die Hotellerie, eine App für französische Flugreisende – digitale Kontaktverfolgung ist aktuell der letzte Schrei.
Die Corona-Warn-App kann das gleiche
Tatsächlich scheint die Funktionsweise Lucas also durchaus simpel, hinreichend bekannt und wenig innovativ: Statt leidiger Zettelwirtschaft an den Grenzen und in der Gastro werde Kontaktnachverfolgung künftig digitalisiert. Die Anwendung registriert Besucher bei Betreten der Lokalität mithilfe eines Barcodes und möchte auf diese Weise auch die Gesundheitsämter entlasten. Wird ein Besucher im Anschluss positiv getestet, sollen die Behörden entsprechende Kontaktdaten direkt in digitalen Systemen einsehen können. Eine innovative Idee, wenn man den organisatorischen Aufwand der Datenübermittlung auf postalischem Wege bedenkt, und die zuletzt so zunehmenden Falschangaben auf ausliegenden Papierzetteln. Nur, dieses Prinzip kommt einem irgendwie bekannt vor.
Denn während die Landesregierungen für etwa zehn Millionen Euro (!) fröhlich weiter mit Luca flirten, passiert auf Bundesebene etwas ganz anderes – und das schon seit einigen Monaten. Auf dem Programm steht hier die Optimierung einer anderen, fast vergessenen Applikation aus einem früheren Lockdown: der deutschen Corona-Warn-App. Diese wurde kurz nach Ostern – ebenfalls äußerst kostspielig – um eine Funktion erweitert, die Luca mehr als ähnelt, wie ein Zeitzitat verdeutlicht: „Auch hier können Nutzerinnen den QR-Code eines Veranstalters scannen oder selbst einen solchen für eine private Veranstaltung erstellen. Wenn später eine positiv getestete Person ihr Ergebnis in der App freigibt, werden alle gewarnt, die zur selben Zeit am selben Ort eingecheckt waren.“
Datenschutzexperten halten Luca App für unsicher
Bezeichnend ist die Nachfrage nach Luca also schon deshalb, weil die eigentliche Anwendung deutlich mehr Fragen aufwirft, als sie tatsächlich beantwortet – und weil die Konkurrenz eben längst existiert. Experten halten Luca (unter anderem) aus Datenschutzgründen für unsicher. Im Gegensatz zur Corona-Warn-App werden Kontaktdaten der Gäste auf einem zentralen Server gespeichert – nicht nur auf dem Endgerät der jeweiligen Benutzer. Auch ist die tatsächliche Entlastung der Gesundheitsämter fraglich: Im Idealfall übermittelt eine positiv getestete Person ihre Bewegungsdaten digital an das entsprechende Gesundheitsamt, das wiederum die Daten potenzieller Kontaktpersonen auf verschlüsseltem Wege anfordert, um diese dann (wie gewohnt) telefonisch zu kontaktieren. Klingt kompliziert? Ist es auch. Und von Entlastung der Behörden keine Spur.
Die Luca-Kritiker bekamen unterdessen öffentlichkeitswirksam Unterstützung durch den TV-Star Jan Böhmermann. Der ZDF-Moderator forderte in der Nacht zu Mittwoch seine Fans per Twitter auf, sich per QR-Code im Zoo Osnabrück einzuchecken. Er wollte mit seiner Störaktion beweisen, wie manipulationsanfällig die Luca-App ist, weil die Anwendung nicht überprüft, ob die Nutzer beim Einchecken tatsächlich vor Ort sind.
Aus: “Luca-App trotz Kritik auf dem Vormarsch” (www.süddeutsche-zeitung.de)
Warum also wollen plötzlich alle Luca? Vielleicht liegt es an dem so medienwirksamen Marketing, das der kulturschaffende Smudo schlichtweg besser drauf hat, als ein Karl Lauterbach? Immerhin versprechen knapp 50 Start-Ups landesweit ganz ähnliche Lösungen wie Luca. Vielleicht ist es auch der so wohlklingende Name, den das Unterbewusstsein automatisch mit Süditalien assoziiert. Dann wären wir ohnehin voreingenommen, jede Debatte zwecklos. Vielleicht liegt es aber auch schlichtweg an einem fehlenden bundesweiten Konsens, welche denn nun die wahre App zur Auferstehung wird. Fest steht jedenfalls, dass beide Anwendungen kommen – und wir nicht drum herum. Denn wie der Berliner Bürgermeister gegen Ende seines Videos der twitternden Bevölkerung klarmacht: „Wenn es dieses Instrument gibt, dann will ich nicht mehr monatelang darüber diskutieren. Deswegen habe ich das jetzt bestellt für Berlin“. Das klingt natürlich unschlagbar logisch. Was machen da schon ein paar technische Details?
Wie steht Ihr zu den digitalen Anwendungen zur bevorstehenden Wiedereröffnung? Habt Ihr bereits eine (oder beide) dieser Applikationen installiert, oder Euch bewusst für nur eine Variante entschieden? Teilt Eure Meinung mit uns und der Community in den Kommentaren oder hinterlasst uns eine Nachricht unter [email protected]!
Lieber eine App für alles (Zutritt, Warnung, Impf-/Testnachweis usw.)
Die Corona-Warn-App ist längst verfügbar und sicher ausbaubar hierfür und sie wird von 25 Mio Bundesbürgern genutzt. Also warum noch andere Apps erfinden oder kaufen?
Au weia…. selbst Reisetopia saugt uns Daten raus…. WA, Insta, etc.
Immer lustig, wie sich Seiten über Datenschutz Gedanken machen aber selbst gerne Daten verkaufen.
Hey René, in Lillis Kolumne geht es generell darum, dass der Datenschutz bei der App kritisiert wird und das größte Manko zu sein scheint. Wenn wir darüber schreiben, wäre es ja nicht sonderlich sinnvoll, diesen Aspekt einfach herauszulassen. Abgesehen davon wüsste ich aber nicht, wo wir deine Daten bei Whatsapp oder Instagram aussagen. Viele Grüße
Es ist eine Binsenweisheit, das alles (oder bescheidener: jedes “Irgendwas”) besser ist als das große, alles verschlingende, graue “Nichts” ist, in dem wir uns bewegen.
Wer interessiert sich noch dafür, ob eine Lösung funktioniert, sicher ist oder überhaupt Sinn ergibt, macht einfach hinne und lässt das Volk Party machen als gebe es kein morgen.