Eine Überraschung ist es allemal: Die Lufthansa Group will mehr als einen freien Mittelsitz in der Business Class auf der Mittelstrecke testen – den Anfang macht ausgerechnet Eurowings. Wird die Fluggesellschaft damit zum Vorbild für andere Airlines?
Schon länger steht im Raum, dass sich die Lufthansa ein Vorbild an ihrer neuen Tochter ITA Airways nehmen könnte, wenn es um das Business Class Produkt für die Mittelstrecke geht. Nachdem die Italiener den Airbus A321neo mit komplett flach verstellbaren Sitzen, Premium Economy Class und Economy Class scheinbar erfolgreich im Linieneinsatz getestet haben, zieht die Lufthansa nun tatsächlich bei einer anderen Tochter nach. Eurowings soll mit einem innovativen Business Class Produkt nach Dubai fliegen. Auf ein ITA-Erlebnis sollte man gleichwohl nicht hoffen.
Premium Economy statt Business Class
Wenngleich sich die Lufthansa noch mit Details zurückhält, sollte man indessen nicht erwarten, dass es bei Eurowings bald Sitze gäbe, die sich zu einem komplett flachen Bett verstellen lassen. Vielmehr soll es Reihen geben, in denen auf beiden Seiten nur jeweils zwei Sitze verbaut sind, die deutlich mehr Platz und Fußraum bieten. Klar scheint: Man wird eher auf das aktuelle Premium Economy denn Business Class Produkt von ITA Airways setzen – doch auch das wäre schon eine große Innovation.
Konkret nutzt ITA Airways den Safran Z600 Sitz, der zumindest in ersten Tests bei Passagieren einen hervorragenden Eindruck hinterlassen hat. Dass dieser Sitz gute Chancen auch bei Eurowings hat, dürfte neben den ITA-Erfahrungen weitere Gründe haben: Auch der Star Alliance-Partner United setzt auf dieses Produkt für seine neue Domestic First Class und die Zertifizierung für die Airbus A320-Flotte von Eurowings ist bereits erfolgt.
Dazu passt auch ein Zitat von Carsten Spohr: “Wir haben entschieden, dass die Eurowings vorangehen wird mit einem Recliner-Sitz, wie man ihn vielleicht aus den USA kennt, mit nur vier Sitzen pro Reihe, die man deutlich weiter zurücklehnen kann.” Nun ist das sicherlich nicht der ganz große Wurf, allerdings ist es für die europäische Luftfahrt doch eine große Innovation. Bislang sind auch auf den meisten Mittelstrecken großenteils Maschinen im Einsatz, die auch in der höchsten Reiseklasse der jeweiligen Jets nur typische Economy Class Sitze bieten.
Eurowings muss auch ein wirtschaftliches Vorbild werden
Überraschend ist es fraglos, dass die Lufthansa gerade bei Eurowings auf einen neuen Sitz testet – allerdings nur auf den ersten Blick. Die eigentliche Günstigairline ist in der Gruppe gewissermaßen zum Testkaninchen geworden. Mit Erfolg hat die Airline Flüge mit Kleinraummaschinen in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Saudi-Arabien aufgenommen. Bei der Dubai-Route ist gar von der erfolgreichsten im gesamten Netz der Airline die Rede.
Dass die Lufthansa Group nun mit einem Sitz experimentiert, der sich an der First Class innerhalb der USA beziehungsweise der Premium Economy Class auf der Langstrecke orientiert, ist insofern auch keine Überraschung. Dazu passt auch der Test bei Eurowings, denn es wird keineswegs nur darum gehen zu prüfen, wie der Sitz bei den Passagieren ankommt. Vielmehr darf Eurowings testen, wie wirtschaftlich der Sitz ist.
Durch die Spezifität des Sitzes muss die Airline auf eine Subflotte setzen, die großenteils nur auf bestimmten Strecken eingesetzt wird und zudem mehr Platz für die Sitzreihen einplanen. Der Safran Z600, der womöglich das neue Produkt wird, ist zwar sehr platzsparend – gegenüber dem aktuellen Produkt braucht er trotzdem mehr Raum in der Maschine und ist zudem schwerer, was die Kosten erhöht.
Entsprechend dürfte Eurowings damit experimentieren, wie viel teurer die Flüge in den Nahen Osten in der Business Class zukünftig angeboten werden können. Aktuell sind die Preise hier teilweise niedriger als bei anderen Fluggesellschaften in der Economy Class – schon für unter 600 Euro geht es an ausgewählten Daten hin und zurück nach Dubai. Mit den neuen Sitzen wird man den wirtschaftlichen Test machen, ob auch konstant vierstellige Preise realisierbar sind.
Gutes Ergebnis könnte den europäischen Markt verändern
Falls die Tests sich als Erfolg erweisen sollten – etwa wenn Eurowings die Business Class Erträge auf der Teststrecke nach Dubai verbessern kann – dürfte die Airline zum Vorbild für die ganze Lufthansa Group werden. Bislang sind die Business Class Preise nach Nordamerika oder nach Israel – andere von Carsten Spohr genannte Routen, für die das neue Produkt infrage kommen könnten – vergleichsweise günstig. Das könnte sich ändern, sofern mit dem neuen Business Class Produkt höhere Preise realisiert werden können.
Dass man ähnliche Sitze dann auch bei der Lufthansa, Swiss oder Austrian Airlines verbauen dürfte, kann man als Selbstverständlichkeit sehen. Doch die Gedankenspiele könnten noch weitergehen, was aus Passagiersicht nur teilweise positive Folgen hätte. Wenn die Sitze gut angenommen werden und sich attraktive Preise realisieren lassen, könnte die Lufthansa Group etwa ihr komplettes Netz in den Nahen Osten anpassen und hier zukünftig auf Klein- statt Großraummaschinen setzen.
Veränderungen dieser Art dürften auch von der Konkurrenz aufmerksam beobachtet werden, bieten doch auch Air France, British Airways oder KLM in der Regel nur Standardsitze auf Routen nach Nordafrika oder nach Israel. Sollte sich ein wirtschaftliches Erfolgsmodell bei der Lufthansa Group abzeichnen, könnten die in den USA bereits bei fast allen Airlines verwendeten Sitze in der Business Class zumindest auf Mittelstrecken in Europa zum Standard werden. Bislang sind Airlines wie Turkish Airlines mit ihrem hochwertigen Sitzprodukt dagegen noch die absolute Ausnahme.
Am Ende gewinnt nicht zwingend der Passagier
Was im ersten Moment nach einer tollen Veränderung für den europäischen Markt klingt, sollte man bei aller Vorfreude nicht überbewerten. Gerade die Lufthansa Group ist in den vergangenen Jahren nicht dadurch aufgefallen, dass sie das Bordprodukt primär aufwertet, um den Passagier zu erfreuen. Vielmehr geht es darum, die Ertragsstruktur zu verbessern, und genau das wird man sich auch vom neuen Sitz erhoffen.
Analog zur Einführung der Allegris Business Class wird man mit dem Test bei Eurowings, aber auch einem späteren großflächigen Rollout an der Preisschraube drehen, um sich den zusätzlichen Platz und das zusätzliche Gewicht an Bord bezahlen zu lassen. Passagiere mögen also zukünftig potenziell die Chance auf mehr Komfort auf ausgewählten Mittel- und perspektivisch vielleicht sogar besonders gefragten Kurzstrecken haben, dafür aber auch mehr bezahlen – genauso wie in den USA.
Damit aber nicht genug, denn sollte sich das Modell als zu erfolgreich erweisen, droht auch ein ganz neuer Trend: Warum sollte man entsprechend bestuhlte Maschinen ohne echte Business Class nicht auch auf längeren Strecken hergeben, auf denen der Einsatz möglich ist? Denkbar wären hier neben den Strecken in den Mittleren Osten teilweise auch solche nach Indien oder auch an die Ostküste Nordamerikas.
Statt mehr Komfort gäbe es dann möglicherweise sogar weniger Komfort. Dass das funktionieren kann, macht Icelandair heute schon vor. Den Teufel muss man aber wohl nicht an die Wand malen, denn die aktuellen Innovationen bei den Bordprodukten und die starke Konkurrenzsituation machen zumindest Hoffnung darauf, dass eine Premium Economy als Business Class auf kurzen Langstrecken eher die Ausnahme bleiben und nicht zur Regel werden wird.
Wer nach Dubai nicht mit EK fliegt ist m.E. nicht mehr zurechnungsfähig. Was kann LH oder irgendeine Tochter von LH besser?
“Warum sollte man entsprechend bestuhlte Maschinen ohne echte Business Class nicht auch auf längeren Strecken hergeben, auf denen der Einsatz möglich ist? Denkbar wären hier neben den Strecken in den Mittleren Osten teilweise auch solche nach Indien oder auch an die Ostküste Nordamerikas.”
Weil die Reichweite beschränkt ist? A321LR kann max. 4000 nm fliegen – aber mit der geopolitischen Situation würde so Richtung Ost schlecht gehen. Höchstens kann man über transatlantische Ostküsten im Winter nachdenken…
Ggf. auch “dünnere” Strecke wie z.B. FRA-YOW/BWI/… oder auch Subsahara-Afrika, wo Großraumjets momentan keinen Sinn machen.
Den Teufel an die Wand mahlen? Was hat das mit Mühlen zu tun?
Danke für den Hinweis 🙂 ist korrigiert!
Kleine Nachhilfe: Den Teufel malt man an die Wand 🙂
Danke für den Hinweis 🙂 ist korrigiert!
“Damit aber nicht genug, denn sollte sich das Modell als zu erfolgreich erweisen, droht auch ein ganz neuer Trend: Warum sollte man entsprechend bestuhlte Maschinen ohne echte Business Class nicht auch auf längeren Strecken hergeben, auf denen der Einsatz möglich ist?”
Sehr gute Weitsicht, Moritz! Natürlich alles “auf individuellen Kundenwunsch”.
Denn der neue Sitz “wird ja vom Kunden sehr gut angenommen”. Darüber hinaus hat sich ja gezeigt, “dass auf Tagflügen in der Business Class sowieso lieber gearbeitet statt ausgeruht oder gar geschlafen wird, wofür der neue Sitz schlichtweg prädestiniert ist”. Auf kürzeren Nachtflügen haben Umfragen ergeben, dass “bis dato dem Schlafen eine zu hohe Bedeutung zugemessen wurde und man hier mit dem neuen Sitz genau die Nachfrage bedient”.
innovativ?
Na was hierzulande als Innovation gefeiert wird ist außerhalb Europas Schnee von vorgestern.
Dem 2. Teil des Artikels stimme ich aber zu. Es geht keineswegs darum, dem Gast mehr Komfort bieten zu wollen, es geht ausschließlich um Gewinnmaximierung.
In Zeiten schwindender Marktanteile (am Golf wird gerade die nächste Airline mit Premiumanspruch gegründet) hat man gar keine andere Wahl als das Produkt zu verbessern. Daher kündigt man jetzt an, dass man demnächst mal was tun wolle und hofft, so die Kunden bei der Stange zu halten.
Auch ich kann mir vorstellen, dass man dann mittelfristig alle noch verbliebenen Flüge mit Großraummschinen bis 7h durch A321 bedienen wird, gibt ja dann schließlich hen “innovativen Premiumsitz”.
Auf die Kanaren wirds aber auch weiterhin beim freien Mittelsitz bleiben. Den Europäer hat man schließlich erfolgreich dazu erzogen, das als was ganz tolles anzusehen.
Endlich!
Hoffentlich geht der Test gut und die breite Einführung kommt.
Für so einen Sitz bin ich viel eher bereit, Business Class-Tarife zu bezahlen, statt wie bislang auf einem harten Klappstuhl mit freiem Nebenplatz sitzen zu müssen.
Halleluja…. na endlich:D sage ich schon seit jahren die aktuelle business ist eco . aber für preis von business . . hoffe wird in der LHG schnell eingeführt ….