In Zeiten von Groundings, Ausgangssperren und landesweitem Fernweh ist Fliegen gerade einfach nicht drin – und das ist gut so, schreien Medien und Meinungsmacher. Das schwedische Trendwort „Flugscham“ hat Deutschland polarisiert. Dabei expliziert die Covid-Pandemie in dramatischer Manier, was ohnehin klar sein müsste: Nicht fliegen ist auch nicht die Lösung. Eine Verteidigung.

Handtuchverbote für Hotelliegen, Imagewandel der DB, Alkoholmissbrauch auf Langstreckenflügen: In dieser Serie mit dem Titel “Lasst uns reden” widmet sich unsere Kolumnistin Lilli einmal monatlich den wichtigen und nichtigen Aspekten des Reisens. Eine gesellschaftspolitische Kolumne in Zeiten von landesweitem Fernweh.

Januar 2019. Pre-Pandemie, ein anderes Leben. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg setzt sich in einen Zug in Richtung Süden und reist ins schweizerische Davos,  bewaffnet nur mit einem Pappschild: „Schulstreik für’s Klima“ – das ist die Devise. Fast 1500 Kilometer und eine Rede vor dem Weltwirtschaftsforum später ist ein neues Trendwort geboren, bis heute millionenfach in den (Sozialen) Medien reproduziert: ‚Flygskam’ (dt. Flugscham) legt – als das Neologismus, das es nun mal ist – eine noch steilere Karriere hin, als die Schülerin Greta selbst. Wenige Monate später demonstrieren die inländisch sinkenden Buchungszahlen, dass moralischer Druck in Schweden funktioniert, hierzulande leider gar nicht. Der Deutsche fliegt im Zuge der Klimadebatte tendenziell eher noch mehr und möchte sich dafür nicht schämen. Unerhört, sagen die einen – unausweichlich, die anderen.

Airport Flughafen Airplane Flugzeug Delta Außen Sonnenuntergang

Januar 2020: Die internationale Luftfahrt runzelt argwöhnisch die Brauen. Noch hören wir von Corona nicht viel und niemand ahnt, welch monatelanger Schrecken über unser aller Leben hereinbricht. Stattdessen kaufen wir bald Hefe und Gesellschaftsspiele, richten uns auf der heimeligen Sofaecke ein und puzzeln was das Zeug hält. Wir genießen einen Moment der Ruhe, wenn auch erzwungen. Große Worte wirbeln durch die Medien, wir sprechen vom Miteinander, Solidarität, dem gemeinsamen Verzicht. Dass erste After-Lockdown-Zahlen von gesunkenen CO2-Emmissionen berichten, von klaren Sternenhimmeln und Korallenbuchten macht die Sache fast romantisch. Wären da nur nicht Millionen bedrohter Arbeitsplätze, gefährdeter Existenzen und die immer höher werdenden Schuldenberge, die den Blick auf die Sterne verbergen – und uns die bittere Wahrheit vor Augen führen: Nicht fliegen ist auch nicht die Lösung. Denn was bringen uns stagnierende Buchungszahlen, wenn sie uns wirtschaftlich ruinieren?

Burger King Werbung McDonalds

Jetzt, viele Monate später, kommt uns das alles vor wie ein weit entfernter Traum. Wir sind jetzt sozusagen Pandemie-erfahren, blicken auf die Trümmer, die dieses Jahr hinterlässt. Wir träumen von der so kosmopolitisch-globalisierten Gesellschaft, die wir noch vor wenigen Monaten waren, und trösten uns damit, dass wir wenigstens was für’s Klima tun – wenn auch unfreiwillig. In Zahlen wird deutlich: Es geht uns mies. Emotional und wirtschaftlich. KLM rät Kunden vom Buchen ab, Burger King wirbt für McDonald’s und auch sonst versinkt die Welt im (politischen) Chaos. Aus BWL-er-Perspektive hoffen wir auf einen post-pandemischen Konsumrausch, denn Geld ausgeben? Das können wir. Wir blicken in die von uns geschaffenen Abhängigkeiten und quälen uns mit dieser angeblichen Wahl: Die Wirtschaft retten, oder die Erde? Diese Aussage dürfte auch ohne Covid ausreichend ironisch klingen.

„Nein, es spricht nichts gegen eine Parisreise. Auch nicht gegen einen Louvre-Besuch. Es spricht nur etwas dagegen, es sich dabei so einfach wie möglich zu machen. Der Besuch des Louvres, genau wie des schiefen Turms, der Sagrada Familia oder der Akropolis gerät schlichtweg zum Fast Food, wenn man sich keine Mühe gibt. Und Fliegen ist der Inbegriff des Mühelosen. Es ist zu einfach und zu billig. Ökonomisch mag das für viele Endverbraucher schön sein. Aber man wackelt halt dann auf ausgelatschten Pfaden anderen Touristen hinterher, weil man sich selbst eigentlich nicht vorbereitet hat auf eine Reise. Musste ja nicht, man kann ja noch einmal kommen, kostet ja nix.“

Die ZEIT: Der dumme Weltbürger

Nur: Das kann so nicht weitergehen. Kommerzielle Linienflüge von München nach Lübeck? Für’s Meeting mal eben nach Tokio? Samstagnacht mit Ryanair ins Berghain? Unmoralisch, unnötig und außerdem Existenz-bedrohend. Schon klar: nicht für uns, aber eben für unsere Erde, die schlichtweg alternativlos ist. Nur, vielleicht zu Recht fragt sich der schuftende Familienvater: Wieso trifft es eigentlich mich? Was ist mit meinem Ski-Urlaub an Weihnachten, wenn ein beliebiger Minister dreimal pro Monat im Privatflugzeug um den Globus jettet? Und ist es – für mich als Studentin mit ziemlich überschaubarem Einkommen – wirklich die Lösung, einen 200-Euro Lufthansa-Flug zu buchen, wenn’s easyJet schon für ‘nen Fuffi macht? Und wem ist damit geholfen?

Versteht mich nicht falsch: Ich verzichte auf Fleisch, kaufe möglichst viel Vintage und achte sorgfältig auf Mülltrennung. Denn es ist keine Option, die eigene Verantwortung zu leugnen. Nur: Es hilft nicht, das Fliegen grundsätzlich zu verteufeln. Wir müssen die von uns geschaffenen Abhängigkeiten wahrnehmen, um sie zu überkommen. Wir brauchen wirtschaftliche Alternativen, billigere Bahn-Tickets, politische Entscheidungen und ja – hin und wieder den Mut zum Verzicht. Was wir nicht brauchen? Noch mehr Billigflieger, Schuldzuweisungen und außerdem Flugscham! 

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Autorin

Lilli ist am liebsten in den Wolken - und das nicht nur mit ihrem Kopf. Schon als Kind tourte sie mit einer Tanzgruppe durch Europa, heute ist Fernweh ihr ständiger Begleiter. Wenn sie sich nicht gerade mit ihrem Studium in Berlin beschäftigt, sitzt sie irgendwo auf der Welt hinter ihrem Laptop und berichtet für Euch über die angesagtesten Travel News rund um den Globus - direkt hier auf reisetopia.de!

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  • Sehr lesenswerter Artikel, der die Situation und die öffentliche Debatte der vergangenen Monate pointiert nachzeichnet. Zutreffendes Fazit, wie ich finde.

  • Nun, als dieses Flygskam hierzulande aufkam, im Jahr 2019, habe ich meine Kollegen in Schweden gefragt, was da bei Ihnen im Norden los sei? Die Antwort war, dass kaum einer davon gehört hat und es hauptsächlich eine alternative, stark grüne Minderheit verwendet. Hier wurde es dargestellt, als wenn in ganz Schweden niemand mehr ein Flugzeug besteigen würde… Tatsächlich kümmert es die meisten Schweden gar nicht – die sind froh, wenn sie im Sommer mal in den Süden können. Nur in Deutschland ist dieser Fanatismus und Fatalismus noch weiter stark verbreitet. Früher war es mal der Kaiser, dann das Deutschtum, dann wiederum für einen Teil Deutschlands der Sozialismus und sein Lauf und heute retten wir nichts weniger als die ganze Welt… Da kann ich nur den Kopf schütteln und sage ganz klar – nicht mit mir. Ich fliege und fahre gern und lass mit das von niemanden nehmem, denn die Erde wird es auch noch in einer Million Jahre geben, die Menschen aber wahrscheinlich nicht. Und wie sagte such Darwin, nicht die Stärksten, nicht die Größten, auch nicht die Kleinsten, sondern die Angepassten werden in der Evolution Erfolg haben.

  • “Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon”, sagte Augustinus Aurelius und “um zu begreifen, daß der Himmel überall blau ist, braucht man nicht um die Welt zu reisen”, fand einst Goethe. Er meinte aber auch: “Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen.” Wer hat nun Recht ? Für mich ist das Reisen die schönste Nebensache der Welt, verzichtbar, aber mit Suchtpotential. Ich bin ein Genussmensch und liebe das Leben. Ich mag Kreuzfahrten und genieße es meine Meilen in der Business-Class zu verprassen. Ich esse gerne ein saftiges Steak und umgebe mich mit schönen Sachen. Soll ich mich dafür schämen ? Muss ich mich dem Diktat des grünen Zeitgeistes unterwerfen und mir ständig ein schlechtes Gewissen machen, weil ich Gretas Gebote missachte und den Klimawandel als ein Naturereignis ansehe, das der Mensch nicht rückgängig machen kann ? Ich trenne auch den Müll und achte auf Nachhaltigkeit, aber ich nehme mir die Freiheit mein Leben zu leben wie ich es für richtig halte. Dazu gehört nun auch mal das Fliegen und zwar ohne Scham. Ich wollte das mal loswerden und rufe allen zu: “seht das Leben nicht so verbissen , Ihr habt nur eins”. In diesem Sinne, carpe diem.

  • Ein toller Kommentar, besonders der Abschluss. Ich weiß um die Schädlichkeit des Fliegens, und dennoch war der Flughafen mein bester, schönster, geliebtester Arbeitsplatz. Er fehlt mir als Rentnerin doch ein wenig, in dieser Zeit bin ich aber froh, in Rente zu sein.

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