Im Rahmen unserer aireg Mitgliedschaft haben wir die Möglichkeit mit vielen spannenden Persönlichkeiten aus der Luftfahrtbranche in Kontakt zu treten und uns gemeinsam darüber auszutauschen, was wir in Zukunft von Sustainable Aviation Fuels (SAF) erwarten können.
Dazu haben wir eine Interviewreihe ins Leben gerufen, in der wir die verschiedensten Akteure aus dem Bereich nachhaltiger Flugkraftstoffe zu ihren beruflichen Tätigkeitsfeldern sowie den Herausforderungen und Perspektiven der Luftfahrt befragt haben. Meine heutigen Gäste sind Nils Bullerdiek und Ulf Neuling vom Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft (IUE) der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Sie forschen seit mehreren Jahren an verschiedensten Themen rund um die Herstellung und Markteinführung nachhaltiger Flugkraftstoffe.
Herr Bullerdiek, Herr Neuling, Sie sind beide an der TU Hamburg tätig. Mögen Sie sich und Ihre Forschungsbereiche kurz vorstellen?
Ulf Neuling: Natürlich. Unser Institut ist relativ groß und hat unterschiedliche Forschungsschwerpunkte. Es geht von Biomasse, Verbrennung, Emissionsreduktionen und Bio-Raffinerien, also der Herstellung von chemischen Wertstoffen, über Energiesysteme bis hin zu unserer Forschungsgruppe, in der wir uns insgesamt mit erneuerbaren Kraftstoffen befassen. Dort beschäftigen wir uns also neben Sustainable Aviation Fuels auch allgemein mit diesem Thema. Das betrifft dann die ganze Bandbreite flüssiger und gasförmiger biogener und strombasierter Kraftstoffe. In diesem Themenbereich leisten wir vor allem theoretische Forschungsarbeiten in Form von techno-ökologischen und ökonomischen Systemanalysen, oftmals in Kooperation mit Anlagenbetreibern, Industriepartnern oder anderen Hochschulen. Hierbei modellieren wir zum Beispiel Herstellungsverfahren für erneuerbares Kerosin detailliert und analysieren, wie der Prozess technisch ausgelegt werden kann, welche Effizienzen mit ihm realisiert werden können, wie viel Kraftstoff am Ende aus der jeweiligen Biomasse hergestellt werden kann oder welche Umweltauswirkungen entstehen.
Für diese Untersuchungen nutzen wir unterschiedliche Tools und Simulations-Software. Nachdem wir das Modellierungssystem aufgesetzt haben, können wir genauer nachvollziehen, was passiert, wenn man zum Beispiel Stroh als Rohstoff für Kerosin nehmen würde oder aber unterschiedlichste Abfälle. Gleichzeitig betrachten wir auch andere Kraftstoffherstellungsansätze wie die strombasierten Kraftstoffe. Da schauen wir dann, wie sich der Import von Wasserstoff im Vergleich zur nationalen Herstellung von Wasserstoff auswirken würde. Mithilfe unserer Modellierungen können wir also verdeutlichen, welche technischen und ökonomischen Parameter für die jeweiligen Kraftstoffe relevant sind, aber auch welche Umweltauswirkungen ihre Herstellung mit sich bringt. Darüber hinaus schauen wir uns auch noch die Auswirkungen von verschiedenen Regularien an und wie im regulatorischen Umfeld ein Markthochlauf gestaltet werden könnte.
Nils Bullerdiek: Genau, das ist eher mein Forschungsbereich. Ich arbeite am IUE in der Gruppe von Ulf Neuling, in der wir uns unter anderem auch mit dem Einsatz erneuerbarer Flugkraftstoffe im Luftverkehr beschäftigen. Insgesamt geht es dabei primär um die Bereitstellung und den Markthochlauf erneuerbarer Kraftstoffe im Luftverkehr. Innerhalb unserer Analysen untersuchen wir beispielsweise, welche technischen, ökologischen und ökonomischen Implikationen sich aus ihrer Bereitstellung ergeben können. Ich persönlich beschäftige mich im Rahmen meiner Forschung nun seit etwa drei Jahren vor allem damit, wie in Zukunft möglichst hohe SAF-Nutzungsanteile im Luftverkehr erreicht werden können. Dies ist ein komplexes Themenfeld bei dem es nicht nur die eine richtige Lösung oder den einen richtigen Ansatz geben kann.
Auch wenn es nicht die eine Lösung gibt, gibt es denn schon Ansatzpunkte?
Nils Bullerdiek: Ich unterscheide die Forschungstätigkeit gerne in drei wesentliche Handlungsfelder. Ein Handlungsfeld ist die Herstellung einer breiten Nachfrage nach SAF im Markt durch geeignete regulatorische Rahmenbedingungen und Instrumente, da die verschiedenen SAF-Optionen, die aus z. T. sehr verschiedenen Rohstoffen und auf Basis unterschiedlicher Technologien hergestellt werden können, auf absehbare Zeit wahrscheinlich teurer sein werden als fossiles Kerosin. Es gilt somit, eine flächendeckende SAF-Nachfrage im Markt zu erzeugen und eine SAF-Nutzung über Demonstrations- und Pilotvorhaben hinaus zu entwickeln. Hierfür bestehen verschiedene Möglichkeiten und Instrumente, beispielsweise Quotenmodelle. Ein weiteres Handlungsfeld ist der Aufbau von SAF-Produktionskapazitäten und die Bereitstellung geeigneter nachhaltiger Rohstoffe in ausreichenden Mengen. Sollen hohe SAF-Nutzungsanteile im Markt erreicht werden, dann muss die erzeugte Nachfrage schließlich auch durch ausreichende Mengen an SAF bedient werden können. Die heute eingesetzten Mengen sind noch sehr gering verglichen mit dem weltweiten Kerosinbedarf und können im groß-industriellen Maßstab bisher nur mittels einzelner Technologien erzeugt werden. Als weiteres Handlungsfeld neben der Erzeugung einer SAF-Nachfrage und der SAF-Bereitstellung betrachte ich den Einsatz von SAF aus operativer Perspektive. Dabei geht es um Handlungsbedarfe und Erfordernisse, um die operative Nutzung von SAF möglichst nahtlos zu gestalten. Hier kommen zum Beispiel Anrechnungskonzepte ins Spiel, mit denen eine Airline die Nutzung von SAF für sich beanspruchen kann.
Innerhalb dieser drei Handlungsfelder gibt es bereits viele Ansatzpunkte, Forschungstätigkeiten, Projekte und Akteure, um die Nutzung von SAF global voranzubringen. Jeden dieser drei Bestandteile betrachte ich in meiner Forschungsarbeit und im Rahmen verschiedenster Fragestellung genauer. Im vergangenen Jahr habe ich mich dabei vor allem mit Quotenmodellen beschäftigt und der Frage, inwiefern man mit diesem Instrument SAF in möglichst großen Mengen in den Markt bringen kann.
Darauf würde ich gerne noch ein bisschen weiter eingehen. Wie genau können Quoten beim Markthochlauf helfen?
Nils Bullerdiek: Hierbei muss eigentlich die Frage beantwortet werden, wie SAF-Optionen von Airlines möglichst umfassend nachgefragt und eingesetzt werden könnten, obwohl sie eine kostengünstigere fossile Kraftstoffalternative einsetzen können. Hierfür gibt es verschiedenste Ansätze, z. B. CO2-Steuermodelle, Subventionen oder eben Quotenmodelle. Durch Quotenmodelle würde man Airlines oder Kraftstofflieferanten dazu verpflichten, einen definierten Anteil an erneuerbaren Flugkraftstoffen einzusetzen. Die Einhaltung einer solchen Quote wird üblicherweise durch eine Pönale (Strafzahlung) gewährleistet, die von den Verpflichteten gezahlt werden muss, wenn sie die Quote nicht erfüllen. Derartige Strafzahlungen sind natürlich so auszugestalten, dass der Einsatz von SAF bzw. die Quotenerfüllung für den Verpflichteten wirtschaftlicher ist als die Zahlung der Strafe. Quotenmodelle bringen natürlich verschiedenste Vor- und Nachteile bzw. positive und negative Effekte mit sich – insgesamt sind sie aber vergleichsweise effektive Instrumente, beispielsweise gegenüber einer Besteuerung von fossilem Kerosin, um den SAF Einsatz gezielt zu fördern. Auf Europäischer Ebene zeichnen sie sich daher im Moment auch als das Mittel der Wahl ab.
Wie sieht es denn auf europäischer Ebene aus? Hat man da nicht das Problem, dass die europäischen Airlines sagen, dass sie gegenüber der Konkurrenz benachteiligt werden würden?
Nils Bullerdiek: Das ist definitiv eine mögliche und reale Konsequenz, da das Luftverkehrssystem international ausgerichtet und stark vernetzt ist. Airlines deren große Drehkreuze oder deren Heimatmarkt im Geltungsbereich einer Quote liegen, werden gegenüber internationalen Konkurrenten ökonomisch überdurchschnittlich hoch belastet. Um derartige ökonomische Belastungen und Wettbewerbsverzerrungen zu reduzieren, werden daher z. T. Ausgleichsmöglichkeiten in Betracht gezogen. Beispielsweise ließen sich Einnahmen aus dem Europäischen Emissionshandel dazu nutzen, um die ökonomischen Belastungen für europäische Airlines abzupuffern. In einem global stark vernetzten Sektor wie dem Luftverkehr wäre eigentlich immer eine global einheitliche Lösung bzw. globale Instrumente anzustreben – das ist aber in der Praxis mit sehr langen Implementierungszeiträumen verbunden. Praktisch sollte man somit versuchen, die Geltungsbereiche von Instrumenten so groß wie möglich zu gestalten, der Europäische bzw. EU-weite Rahmen ist dabei ein guter erster Schritt.
Bestimmte Kostensteigerungen, die schließlich wahrscheinlich an die Kunden weitergegeben werden, sind aus meiner Sicht nicht vollständig vermeidbar, wenn der kommerzielle Luftverkehr wirklich zeitnah und im großtechnischen Maßstab möglichst regenerativ und nachhaltig ausgerichtet werden soll. Die Nutzung von SAF wird dafür in den kommenden Jahrzehnten ein ganz zentraler Bestandteil sein.
Aber ist eine Quote Eurer Meinung nach trotzdem die Beste von den Optionen, die wir aktuell haben, um den Nutzungsanteil zu erhöhen?
Nils Bullerdiek: Es ist natürlich schwierig, etwas in einem komplexen System wie dem Luftverkehr bzw. dem Flugkraftstoffmarkt, der durch viele unterschiedliche technische, ökologische und ökonomische Anforderungen sowie Restriktionen und Interdependenzen gekennzeichnet ist, als die beste Option zu benennen. Die Eignung eines Instruments ist immer auch an die individuellen Rahmen- und Randbedingungen des Luftverkehrs gebunden und beispielsweise stark von definierten Zielen (z. B. Klimazielen) abhängig. Jede Option bzw. jedes Instrument ist gezwungenermaßen mit individuellen positiven und negativen Effekten verknüpft. Verfolgt man aber das Ziel, den Luftverkehr möglichst zeitnah möglichst nachhaltig auszurichten, ist der Einsatz von SAF unabdingbar und eigentlich schon kurzfristig erforderlich. Um dies im Markt wirklich umzusetzen, sind Quotenmodelle sehr wirksame Instrumente.
Ulf Neuling: Man kann ja immer sagen, das Beste ist relativ. Aber es ist auf jeden Fall ein wichtiger und effizienter Baustein auf dem Weg hin zu einem nachhaltigeren Luftverkehr. Es wird nicht alleine funktionieren, aber es gibt nun mal leider keine globale Lösung, sondern man wird mehrere Sachen miteinander kombinieren müssen. Und da ist so eine Quote schon mal ein wichtiger Anfang.
Könnt Ihr Euch schon vorstellen, wann so etwas auch in der Praxis kommen könnte? Gibt es da schon irgendwelche Fortschritte oder stagniert das eher?
Ulf Neuling: Da kann man tatsächlich sagen, dass die Realität uns mittlerweile eingeholt hat. Wir haben schon vor mehreren Jahren darauf hingewiesen, dass solche Modelle etabliert werden müssen, um SAF in den Verkehr zu bringen und inzwischen gibt es tatsächlich auf EU-Ebene Ansätze für eine Quote und auch in Deutschland gibt es nationale Überlegungen. Da hat sich tatsächlich viel getan.
Nils Bullerdiek: Ja, stimmt. In verschiedenen Europäischen Staaten wurden Quotenmodelle mittlerweile auf nationaler Ebene beschlossen (z.B. Norwegen und Schweden). In Deutschland wird auf nationaler Ebene eine Quote für strombasiertes Kerosin diskutiert. Auf Europäischer Ebene wird im Rahmen der Initiative „ReFuelEU Aviation“ aber vor allem auch eine Europäische Quote intensiv diskutiert und entwickelt. In den nächsten Wochen und Monaten werden dazu sicherlich weitere Ergebnisse kommuniziert.
Nichtsdestotrotz besteht weiterhin großer Handlungsbedarf für die Förderung von SAF, auch trotz intensiver Anstrengungen und diverser Aktivitäten die derzeit zu beobachten sind. Wir stehen gerade erst am Anfang eines breiten Markthochlaufs und bis wir SAF flächendeckend und zu hohen Anteilen im alltäglichen Flugbetrieb einsetzen können, werden noch einige Jahre vergehen und weitere Anstrengungen für ihre Förderung erforderlich sein. Der Markthochlauf von SAF sollte meines Erachtens in den kommenden Jahrzehnten als kontinuierlicher Prozess betrachtet werden, der fortwährend kritisch überprüft werden muss und bei dem die zukünftigen Entwicklungen, neue Technologien, Konzepte und Ideen kontinuierlich evaluiert werden müssen. Aber die vielen unterschiedlichen Aktivitäten, Förderprogramme und Anstrengungen zur Förderung von SAF sind unübersehbar – es tut sich im Moment sehr viel.
Fazit zum Gespräch mit Nils Bullerdiek und Ulf Neuling von der TU Hamburg
Nachdem ich bereits einige spannende Gespräche über die Zulassung oder die Produktion von nachhaltigen Flugkraftstoffen führen durfte, haben mir Nils Bullerdiek und Ulf Neuling noch einmal einen spannenden Einblick in die Arbeit der Wissenschaft gegeben. Aus ihrer Position heraus lassen sich die Fortschritte in der Praxis sehr gut einordnen und wie aus der „Vogelperspektive“ beobachten. Daher war es besonders spannend zu hören, was sich in den letzten Jahren alles getan hat – und dass die Einführung eine SAF-Quote aktuell wahrscheinlich das wirksamste Instrument ist, um die SAF-Nutzungsanteile wirklich signifikant zu erhöhen.