Kann Boeing die Kurve kriegen und zu alter Stärke zurückkehren? Oder zwingen die Krisen rund um die 737 MAX, 777X und den Dreamliner, sowie die Corona-Krise den US-Flugzeugbauer doch noch in die Knie? Diesen Fragen wollen wir uns mit Euch in der zweiten pro/contra-Ausgabe stellen!

In unserer pro/contra-Serie diskutieren zwei unserer Autoren im Artikel-Format über ein bestimmtes Thema. Die Themen reichen von aktuellen bis hin zu allgemeinen, wichtigen, oder einfach interessanten Themen, die uns – und hoffentlich auch Euch – derzeit bewegen. Jeder Autor übernimmt dabei entweder den Pro- oder den Contra-Part, je nachdem, welche Seite, beziehungsweise welche Meinung vertreten wird. In dieser Ausgabe von pro/contra beschäftigen sich Alex und Max mit der Frage, ob der US-amerikanische Flugzeugbauer Boeing aus der größten Krise der Unternehmensgeschichte wieder herauskommen wird. Und wenn ja – in welcher Form. Wenn nein – war es das dann für Airbus‘ größten Konkurrenten? Dabei wird Max den Pro- und Alex den Contra-Part übernehmen und entsprechend der Meinungen versuchen, diese zu stützen und zu vermitteln. Wir freuen uns auch auf Eure Meinung – wie schätzt Ihr die Situation bei Boeing mit Blick auf die Zukunft des Unternehmens ein? Diskutiert gern mit uns mit!

Pro: Ein Ende Boeings ist nicht denkbar

Wenngleich sich Airbus inzwischen zum größten Flugzeugbauer der Welt gemausert hat, hielt Boeing diesen Titel über viele Jahre. Und Boeing ist schließlich auch nicht „irgendein“ Flugzeugbauer, sondern in der Geschichte der Luftfahrt vielleicht sogar das wichtigste Unternehmen, besonders mit Blick auf das Aufkommen des Massentourismus, bezahlbarer Flugtickets und das Jet-Zeitalter (wenngleich Boeing nicht in dem Sinne der Vater des kommerziellen Düsenjets sein mag). Boeing 707, 747 und 737 sind wohl jedem ein Begriff und nur ein paar der geschichtsträchtigen Modelle des US-amerikanischen Unternehmens, die das Reisen für immer verändert haben. Der Hersteller blickt inzwischen auf eine 105-jährige Geschichte zurück, mit vielen Auf und Abs. Doch sicherlich dürfte Boeing noch nie in einer solchen Krise gesteckt haben, wie es aktuell der Fall ist.

Lufthansa Boeing 747

Das liegt bekanntermaßen nicht nur an der Coronavirus-Pandemie, die die Luftfahrtbranche trotz der Aufschwünge weiterhin sehr in Atem hält, sondern vor allem auch immer noch an den Folgen der beiden verheerenden Abstürze zweier Boeing 737 MAX, mit insgesamt 346 Toten und einem 20 Monate lang anhaltendem weltweitem Flugverbot, das inzwischen aufgehoben wurde. Doch der kurzzeitige Kassenschlager ist schon lange nicht mehr das einzige Sorgenkind der US-Amerikaner. Inzwischen bereitet auch die Boeing 777X dem Flugzeugbauer ständig neue Kopfschmerzen. Daneben tauchen immer wieder größere und kleinere Probleme bei der 787, dem Dreamliner, auf. Airlines und Passagiere sind verunsichert, verärgert und letztere sicherlich auch nicht selten verängstigt in ein Flugzeug der Marke Boeing zu steigen.

Ethiopian Airlines Boeing 737 MAX 8
Bild: Boeing

Und doch glaube ich, ja auch mit diesem immensen Scherbenhaufen, der noch lange nicht kleiner werden dürfte, dass Boeing sich – wenn auch womöglich erst in sehr vielen Jahre – langsam aber sicher von diesen Krisen erholen und womöglich sogar zu alter Stärke zurückfinden wird. Schließlich ist, oder war Boeing trotz des jahrelangen Missmanagements, der Korruption und gefährlichen Schludrigkeit, immer noch ein Vorzeigeunternehmen US-amerikanischen Ehrgeizes und der Ingenieurskunst. Auch wenn beides sicherlich stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Doch denke ich, dass es im Grunde genommen gar nicht „möglich“ ist, dass Boeing nicht mehr „sein“ wird – das werden die USA schlicht nicht zulassen (können). Schon wirtschaftlich würde ansonsten ein wichtiger Zweig weg brechen.

Natürlich bleiben viele Fragen offen, etwa wie Boeing aus dieser nie da gewesenen Krise entkommen möchte, gerade wo sich die Probleme weiterhin zu häufen scheinen. Einen ersten Kahlschlag erlebte das Unternehmen nach den Abstürzen der beiden MAX und dem Bekanntwerden der Korruption, dem fatalen Missmanagement und der vergifteten Unternehmenskultur. Zudem befindet sich Boeing bereits in einem Verkleinerungsprozess. Und vielleicht ist genau das „the way to go“ – ein deutlich kleinerer, „bereinigter“ Flugzeugbauer, mit einem entsprechend auch kleinerem Fokus. Wie der genau aussehen könnte, auch darüber kann man derzeit nur philosophieren. Wichtig ist für Boeing derzeit eigentlich nur, dass die Probleme mit den Flugzeugen behoben und das Vertrauen langsam aber sicher wieder hergestellt werden kann, auch wenn dies derzeit noch in weiter Ferne zu sein scheint.

Lufthansa 777-9/777X

Immerhin zeigt sich der Flugzeugbauer nun deutlich „offener“, kooperiert uneingeschränkt mit den Behörden, scheint sofort Maßnahmen zu ergreifen, wenn diese nötig werden, weist eigens auf (mögliche) Probleme hin, etc. pp. Auf der anderen Seite bleibt Boeing auch eigentlich nichts anders übrig, als genau so zu handeln. Hier ist vielleicht aber noch das Wie entscheidend: Wie geht Boeing mit neuen und alten Problemen um? Wie offen legt Boeing die Karten wirklich? Wie lange kann es so weitergehen? Wie will Boeing das Vertrauen der Kunden und Passagiere zurückgewinnen? Und so weiter… Es gibt unzählige und wichtige Fragen, die es zu klären gilt und Boeing befindet sich derzeit in einer unfassbar schlechten Verfassung, dennoch wird der US-amerikanische Flugzeugbauer, mit deutschen Wurzeln, früher oder später wieder die Kurve kriegen – davon bin ich überzeugt. Und das nicht nur aus Prestigegründen, sondern die Airlines und die Wirtschaft selbst werden ein großes Interesse daran haben, dass Airbus nicht alsbald ein Quasi-Monopol innehaben wird.

Contra: Könnte Boeing der Vergangenheit angehören?

Boeing ist trotz des Erfolgs vom europäischen Flugzeugbauer Airbus wohl noch immer die bekannteste Marke der Flugzeug-Industrie. Wie Max bereits beschrieben hat, ist die Geschichte des Flugzeugbauers aus Seattle mit Errungenschaften gespickt, die das Fliegen heute erst in dieser Art und Weise möglich gemacht haben. Die Krisen der vergangenen Jahre fressen sich jedoch tief ins Innere. Damit steht für mich bereits fest, dass der einst größte und unangefochtene Flugzeugbauer nie wieder zu alter Stärke zurückfinden und damit auch nicht mehr die Kurve bekommen wird. Abgesehen von der schwer kriselnden Zivilsparte bei Boeing laufen die Geschäfte im Fracht- und Militärbereich gut. Ein neuer Fokus, wie von Max angemerkt, wäre auch meiner Meinung nach der richtige Weg. Immerhin hat es McDonnell Douglas ebenfalls vorgemacht. Heute spielt dieser Flugzeugbauer jedoch keine Rolle mehr in der zivilen Luftfahrt. Ein Schicksal, welches auch Boeing ereilen könnte. Damit ist die Zukunft, auch mit angepassten Fokus, eine herbe Niederlage für Boeing – zumindest in meinen Augen.

Boeing 747 Everett

Schauen wir uns die Modelle an, die Boeing aktuell noch fertigt oder zumindest bis zuletzt ausgeliefert hat oder zukünftig plant auszuliefern. Die Boeing 737 hat über Jahrzehnte hinweg den Luftverkehr auf der Kurz- und Mittelstrecke weltweit geprägt. Das Ursprungsmodell ist 1967 zum Erstflug abgehoben. Der Flugzeugrumpf als Basis mit all seinen Gegebenheiten drumherum hat bereits seine Grenzen längst überschritten. Dies wurde Boeing mit der Weiterentwicklung zum Verhängnis. Die Boeing 737 MAX 8 mit ihren zwei Abstürzen stürzte Boeing erst so richtig tief in die noch heute andauernde Krise. Zwar findet der US-amerikanische Flugzeugbauer noch immer Abnehmer – United bestellte erst kürzlich 200 weitere Modelle dieser Serie – doch mittlerweile zehrt Boeing nur noch vom ehemaligen Ruf, die geschäftlichen Beziehungen und den fehlenden Alternativen. Denn um ehrlich zu sein: Airbus könnte die mit Abstand besten Flugzeuge bauen, befindet sich aber unter normalen Umständen längst an der Kapazitätsgrenze.

Boeing 737 MAX Westjet

Ein weiteres Modell ist die Boeing 747-8. Zugegeben: Milliarden in die Entwicklungsarbeit mussten für die Weiterentwicklung der Boeing 747 nicht mehr fließen. Dafür konnte man mit ihr immerhin die nächste Epoche heutiger Flugzeugmodelle einläuten. Neue Triebwerke sorgen für einen effizienteren Treibstoffverbrauch und einer deutlich leiseren Geräuschkulisse. Neben einigen Bestellungen der Frachtvariante 747-8F hat sich die Queen of the Skies jedoch nicht mehr zum Verkaufsschlager entpuppt. Zeitgleich hat Airbus den A380 auf den Markt gebracht und musste dafür viele Milliarden Euro verbraten. Der Ausgang der Geschichte ist heute bekannt. Die Boeing 747-8 ist das aktuell sicherste und einzige Flugzeug des Boeing-Portfolios ohne Probleme, floppte jedoch genauso.

Boeing 747-8 Lufthansa

Weiterentwicklungen sind im Hause Boeing gerne gesehen. Diese sind erwartungsgemäß günstiger. Die Modelle, auf die sie basieren, haben sich zumeist schon etabliert und erfreuen sich großer Beliebtheit – so auch bei der Boeing 777. Die Weiterentwicklung mit dem Namen Boeing 777X sollte jedoch bereits längst in der Luft sein. Immer und immer wieder kam es zu Verzögerungen. Zum einen mussten Entwickler nach den Abstürzen der Boeing 737 MAX vom Projekt abgezogen werden, zum anderen sorgt das Flugzeug für Kopfzerbrechen bei den Entwicklern. So kündigte die FAA erst kürzlich an, dass das Flugzeug noch zu viele Mängel aufweisen würde und mit einer Zulassung nicht vor 2023 zu rechnen sei. Die Boeing 777X konnte davon abgesehen bisher nicht zum Verkaufsschlager werden, Vorbestellungen halten sich in Grenzen. Die wenigen Abnehmer, darunter neben der Lufthansa auch Cathay Pacific, Emirates und Qatar Airways, äußern ihren Unmut.

Boeing 777 Anflug

Die letzte große Innovation aus dem Hause Boeing ist die 787, die auch auf den Namen Dreamliner hört. Eine neue Generation von Triebwerken wurde eingeführt, eine neue Art der Herstellungstechnik hat sich mit ihr etabliert. Die Außenhülle besteht aus leichteren Verbundstoffen. Alles zusammen hat ein deutlich effizienteres Flugzeug geschaffen und sollte die starke Zukunft von Boeing einläuten. Die Auftragsbücher sehen gut aus, doch in der Vergangenheit wurden auch hier enorme Missstände beim Herstellungsprozess der Modelle aufgedeckt. Konsequenzen gab es dafür jedoch noch nicht. Doch an der Boeing 787 kristallisiert sich ein weiteres Problem heraus: falsche Strategie. Ursprünglich wollte Boeing auch ein Modell für die Kurzstrecke herausbringen und damit einen Nachfolger zur Boeing 767 auf den Markt bringen. Letztlich wurden die Pläne verworfen und lediglich die Modelle -8, -9 und -10 werden gefertigt.

Condor Boeing 757

Das führt zum nächsten Problem bei Boeing: keine Innovationen. Flugzeuge wie die Boeing 757 und 767 waren die idealen Lückenfüller bei den Anforderungen der Fluggesellschaften. Beide Flugzeuge wurden für die Kurz- und Mittelstrecke entwickelt und wurden später erfolgreich auf der Langstrecke eingesetzt. Nachfolger für sie gibt es nicht. Airbus hat hingegen die A320-Familie weiterentwickelt und bietet mit dem Airbus A321LR und XLR die passende Alternative zur Boeing 757. Boeing hingegen hat die Pläne einer neuen Boeing 757 nach ersten Entwicklungen ebenfalls verworfen. Generell scheint der Wille für neue Flugzeuge in Seattle abhandengekommen zu sein. Auch bei Flugzeugen mit alternativen Antriebsmöglichkeiten fehlt es an Optionen. Dafür hat sich der Flugzeugbauer ein sehr hohes Ziel selbst gesteckt. Ab 2030 sollen alle neuen Flugzeuge mit Biokraftstoff oder sogenannten Sustainable Aviation Fuel fliegen. Gleichzeitig arbeitet der Flugzeugbauer mittlerweile eng mit der NASA an einer Hybrid-elektrischen 737-Nachfolgerin. Meiner Meinung nach Bemühungen, die zu spät erfolgen und die Boeing eben nicht mehr die Kurve kriegen lassen.

Fazit zu Boeings möglicher Zukunft

Wird Boeing wieder die Kurve kriegen und zu alter, oder neuer Stärke zurückfinden? Oder ist der Untergang des prestigeträchtigen US-Flugzeugbauers längst besiegelt? Darüber lässt sich derzeit nur spekulieren, auch wenn die Situation bei Boeing derzeit natürlich – und auch weiterhin – katastrophal ist. Möglichkeiten gibt es viele, doch wohin diese führen, kann uns letztlich nur die (nahe?) Zukunft sagen. Das Wichtigste ist in erster Linie natürlich die Sicherheit der Passagiere, die nun wirklich oberstes Gebot haben sollte. Aber eines ist sicher beim Thema Boeing: Langweilig wird es so schnell ganz sicher nicht!

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Autor

Max saß irgendwann häufiger in einem Flugzeug als in einer Straßenbahn, und kam so nicht umhin sich immer mehr mit den Themen rund um das Sammeln von Meilen, sowie den besten Flug- und Reisedeals zu beschäftigen. Auf reisetopia teilt er mit euch die neusten Deals und wichtigsten Tipps!

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  • So eine Frage kann nur ein Europäer stellen.

    In den Staaten ist Boeing “systemrelevant”, wie man bei uns so schön sagt, da wird der “ausländische” Airbus, der auch nicht über jeden Tadel erhaben ist, erheblich kritischer gesehen als die (ja, problembeladene) Boeing.

  • Wenn Boeing Pleite geht und Donald Trump unter der Brücke haust, dann ist alles möglich. Im Ernst: nur ein kurzer Blick auf https://www.boeing.com/defense/ und man sollte frohen Mutes in die Zukunft von Boeing blicken. Bei Airbus ist es so ähnlich, nur sind hier die Verflechtungen der diversen EU-Mitglieder samt deren Regierungen offensichtlicher, was ich global gesehen, für einen Nachteil halte.

  • Boeings Manager haben sich für den Gewinnmaximierungsweg entschieden…ohne Rücksicht auf Verluste an Menschenleben….der Ex Ceo sitzt leider immer noch nicht im Gefängnis, sondern wurde mit 60 Millionen Dollar abgefunden…das ist die Realität in den USA, niemand kann der Firma noch vertrauen…

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