Es ist mittlerweile zwei Wochen her, dass der Ethiopian Airlines Flug 302 nur wenige Minuten nach dem Start abstürzte. Zahlreiche Menschen verloren bei dem Absturz der noch neuen Boeing 737 MAX ihr Leben. Als wahrscheinliche Ursache konnte man mittlerweile das neue MCAS-System von Boeing konkretisieren. Verantwortliche sprechen mittlerweile von eindeutigen Ähnlichkeiten zum Absutz der Lion Air Maschine vergangenen Oktober.
Die Boeing 737 MAX sollte Boeings neuer Selbstläufer werden. Zahlreiche Bestellungen hatte der amerikanische Flugzeugbauer bereits auf der Liste. Innovativer, umweltfreundlicher und dank neuer Systeme sicherer sollte das Flugzeug sein. Doch genau diese Systeme scheinen Beoing nun zum Verhängnis zu werden. Ganz besonders steht dabei das MCAS System des Flugzeugbauers im Fokus. Es ist wohl der Grund für gleich zwei Flugzeugabstürze der jüngsten Zeit. Aus Sicherheitsgründen bleiben derzeit alle Maschinen des Typs am Boden.
Ein neues System als Ursache für die Abstürze?
Erst im vergangenen Oktober war eine Maschien des Typs Boeing 737 MAX abgestürzt. Lion Air Flug 610 stürzte zwölf Minuten nach dem Start ab. Erste Ermittlungen ließen auf ein technisches Problem schließen. Spätere Auswertungen der Flugdatenschreiben und Stimmrekorder verstärkten diese Annahme und konkretisierten die Probleme auf ein spezielles System: das neue MCAS-System von Boeing.
Das System wurde speziell für die Boeing 737 MAX entwickelt. Diese verfügt über größere Triebwerke, die höher angebracht sind als bei dem Vorgängermodell. Die Positionierung der Triebwerke kann in einigen Situationen zu einer Beeinflussung des Flugverhaltens führen. Damit ein Störmungsabriss verhindert werden kann, wird die Nase der Boeing 737 MAX in bestimmten Situationen automatisch durch das MCAS nach unten gedrückt. Hierzu kann das System das Höhenruder entsprechend trimmen.
Ähnlichkeiten zwischen den beiden Abstürzen der Boeing 737 MAX
In beiden Fällen geht man mittlerweile davon aus, dass sich das MCAS fälschlicherweise einschaltete. Die Aktivierung des Systems könne bei den Piloten zu Verwirrung geführt haben, weil diese infolgedessen falsche Daten der Anstellwinkel-Sensoren erhalten hätten, nimmt man mittlerweile an. Während die Ermittlungen zum Absturz der Lion Air Maschine bereits vor längerem begannen, laufen die Ermittlungen zum Ethiopian Airlines Absturz weiter auf Hochtouren.
Der äthiopische Verkehrsminister Dagmawit Moges sprach zuletzt aber von deutlichen Ähnlichkeiten zwischen den beiden Vorfällen. Das würden die Ermittlungen bereits jetzt zeigen. Genaue Details hierzu gab es von Seiten der Regierung allerdings nicht. Trotzdem wird vermutet, dass dem Minister zum Zeitpunkt der Stellungnahme bereits ausführlichere Informationen vorlagen als jene, die uns bislang bekannt sind. Diese könnten auch im Zusammenhang mit der Auswertung des Flugdatenschreibers und des Stimmrekorders der Ethiopian Airlines Maschine stehen.
Verfehlungen in Sicherheitstest der Boeing 737 MAX
Noch vor der Stellungnahme der äthiopischen Regierung veröffentlichte die Seattle Times einen erschreckenden Bericht zur Boeing 737 MAX. Darin geht es vor allem um die Sicherheitstests des neuen Flugzeugs. Recherchiert wurde der Beitrag vom langjärhigen Luftfahrtjournalisten Dominic Gates. Er zeigt in seinem Bericht zahlreiche Verfehlungen in der Systemsicherheitsanalyse von Boeings MCAS auf. Zudem habe die FAA einige Sicherheitsüberprüfungen an Boeing selbst übertragen, um den Prozess der Genehmigung zu beschleunigen.
Falsche Angaben
In seinem Bericht geht Gates auf drei gravierende Details der Systemsicherheitsanalyse ein. Der erste Punkt betrifft dabei den Wirkungsradius des MCAS. So sei dieses in den Tests dazu in der Lage gewesen, die Trimmung des Höhenruders mehr als vier Mal so stark zu verstellen als ursprünglich angegeben.
Wiedereinschalten des MCAS
Der zweite Punkt führt an, dass Boeing nicht berücksichtigt hat, wie sich das System bei einem Eingriff der Piloten verhalten würde. Konkret geht es dabei um den Fall, in dem der Pilot merkt, dass der Eingriff in das Flugverhalten vom MCAS stammt und es dem Piloten gelingt, dieses auszuschalten. Boeing habe hier verkannt, dass sich das MCAS jederzeit wieder erneut hätte einschalten können. Das wiederum hätte zu einem erneuten Eingriff in das Flugverhalten geführt und die Trimmung des Höhenruders wiederum verstellt.
Fehlerhafte Klassifizierung
Zudem sei ein möglicher Systemfehler des MCAS von Boeing falsch klassifiziert worden. Statt “katastrophal” habe man einen Systemfehler lediglich als “gefährlich” eingestuft. Trotzdem hätte schon diese Klassifizierung ein Nachdenken über die Aktivierung des Systems aufgrund eines einzigen Sensors erfordert.
Darüber hinaus habe die FAA einige weniger kritische Bewertungen an Boeing abgegeben, während wichtigere technische Bewertungen von der FAA selbst ausgeführt wurden. In einer Stellungnahme der FAA zum Absturz der Boeing 737 MAX in Äthiopien beteuert die Organisation, die weitere Aufklärung zu unterstützen. So helfe auch ein Team vor Ort bei der weiteren Ursachenermittlung. Bis diese endgültig geklärt sei, bleibe die Boeing 737 MAX am Boden.
Die Seattle Times konfrontierte Boeing schon 11 Tage vor dem Absturz der Ethiopian Airlines Maschine mit den Erkenntnissen, die nun veröffentlicht wurden. In einer späteren Stellungnahme äußert sich ein Verantwortlicher von Boeing nur in dem Maße, dass man während der Entwicklung, Planung und Zertifizierung intensiv mit der FAA zusammengearbeitet habe. Zudem plane man für die nächste Zeit den Rollout einer Softwareoptimierung für alle Boeing 737 MAX Maschinen.
Hätten zwei Sicherheitssysteme die Abstürze verhindern können?
Die New York Times scheint derweil eine Möglichkeit gefunden zu haben, die die Abstürze vielleicht hätte verhindern können. Dahinter stecken zwei Sicherheitsfunktionen für die Boeing 737 MAX, die jedoch nicht zur Standardausstattung gehören. Stattdessen müssen sie als Sonderausstattung erworben werden. Konkret handelt es sich dabei um eine Warnlampe und eine Datenanzeige. Während die Warnlampe aktiviert wird, wenn die beiden Anstellwinkel-Sensoren der Maschine unterschiedliche Daten liefern, stellt die Datenanzeige die Angaben der Sensoren optisch im Cockpit dar. So hätten die Piloten die abweichenden Werte gleich erkennen können.
Beide Systeme sind aber wie gesagt keine Standardelemente der Boeing 737 MAX. Von den Luftsicherheitsbehörden sind diese auch nicht vorgeschrieben und werden von Boeing deshalb als Sonderausstattung verkauft. Für viele Airlines ist das Grund genug, die Systeme deshalb nicht zu verbauen. So besaßen weder die Maschinen von Lion Air noch jene von Ethiopian Airlines diese beide zusätzlichen Sicherheitssysteme. Aber auch Norwegian entschied sich bei der Bestellung vorerst gegen den Einbau der Systeme. Southwest entschied sich demgegenüber erst nach dem Absturz der Lion Air Maschine zum Einbau der Warnlampe. Es gibt aber auch Airlines, die die zusätzlichen Sicherheitssysteme verbaut haben, etwa American Airlines.
Mit Sonderausstattungen verdienen Flugzeughersteller, ähnlich wie Autohersteller, gutes Geld. Nach Angaben der Financial Times lassen sich durch Sonderausstattungen bis zu 5 Prozent des Flugzeugwertes an Zusatzeinnahmen generieren. Oftmals geht es dabei um Designfragen. Aber auch einige Sicherheitssysteme, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, werden von den Flugzeugherstellern als Sonderausstattung angeboten. Boeing hat aber mittlerweile reagiert. Zumindest die Warnlampe im Cockpit wird künftig zur Standardausstattung der Boeing 737 MAX gehören.
Fazit zu den neuen Details um die Boeing 737 MAX Unglücke
Bis die Ursache des Ethiopian Airlines Absturzes endgültig feststeht, kann es wohl noch etwas dauern. Derzeit arbeiten zahlreiche Teams vor Ort und anderswo an der Auswertung der Flugdatenschreiber, der Stimmrekorder und dem allgemeinen Flugverhalten der Maschine. Auch wenn es noch keine offizielle Bestätigung dazu gibt, rückt Boeings MCAS immer weiter als Ursache in den Fokus. Neben den erschreckenden Erkenntnissen aus dem Bericht der Seattle Times erscheint es fast schon fahrlässig, dass Boeing die von der New York Times entdeckten Sicherheitssysteme nicht standardmäßig verbaut. Inwieweit diese die Abstürze aber wirklich hätten verhindern können, werden wir wohl nicht erfahren. Es bleibt jedenfalls zu hoffen, dass es auch bei einer Nachrüstung nicht noch einmal zu solchen Problemen an Bord kommt. Ob und wann die Boeing 737 MAX dann auch wieder in die Luft darf, werden uns wohl die nächsten Tage und Wochen zeigen müssen.
Der Punkt mit dem Fehler in der Systemarchitektur ist ein wenig falsch beschrieben, man spricht bei Safety-Effects beispielsweise von Minor, Hazardous und Catastrophic. Das sind aber Anforderungen an die Systemarchitektur, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein entsprechendes System ausfällt.