Spätestens mit der Pleite von airberlin gab es in Deutschland eine immer wieder aufkommende Diskussion über ein Monopol und eine Dominanz der Lufthansa. Doch wie sieht es im europäischen Markt generell aus: Ist die Lufthansa bereits übermächtig?

Der deutsche Luftfahrtmarkt wird seit jeher von der Lufthansa dominiert, airberlin war zwar über einige Jahre ein großer Konkurrent, ist mittlerweile aber verschwunden. Doch da der europäische Luftfahrtmarkt generell als Ganzes betrachtet wird, ist die Monopolfrage eher eine europäische Diskussion. Auch auf dieser Ebene kann man sich allerdings fragen, ob die Lufthansa mittlerweile eine Übermacht aufgebaut hat. Gemeinsam mit ihren Töchtern transportiert die Lufthansa mehr Passagiere als jede andere Airline der Welt, fliegt mehr Ziele an und hat eine größere Flotte. Doch sind das auch wirklich Zeichen für eine echte Übermacht?

Rasantes Wachstum durch Zukäufe

Wer einen Blick auf die Zahlen wirft, der sieht bei der Lufthansa Group eine schier rasante Entwicklung. Noch im Jahr 2006 sah die Zahl der beförderten Passagiere wie folgt aus:

  • Lufthansa Group: 59,1 Millionen Passagiere
  • International Airlines Group: 63,2 Millionen Passagiere
  • Air France-KLM: 73,5 Millionen Passagiere

Nur elf Jahre später sieht die Welt ganz anders aus, denn die Lufthansa Group hat die Zahl ihrer Passagiere in der Zwischenzeit mehr als verdoppelt:

  • Lufthansa Group: 130,4 Millionen Passagiere
  • International Airlines Group: 104,83 Millionen Passagiere
  • Air France-KLM: 98,72 Millionen Passagiere

Man sieht gut, dass keiner der beiden großen Konkurrenten der Lufthansa die Passagierzahl auch nur annähernd so stark steigern konnte, der wichtigste Konkurrent auf dem Festland (Air France-KLM) wurde nicht nur überholt, sondern im Prinzip sogar schon abgehängt. Eine andere Airline in der Zwischenzeit noch stärker gewachsen: Ryanair und zwar um den Faktor drei. Mit der Lufthansa direkt konkurriert haben die Iren aber nur äußerst selten.

brussels airlines
Auch Zukäuft haben das Wachstum der Lufthansa Group befeuert

Im Bereich der sogenannten Netzwerkairlines ist zudem noch das Wachstum zweier anderer Airlines zu erwähnen: Turkish Airlines hat die Passagierzahl in derselben Zeit vervierfacht, Aeroflot sogar mehr als verfünffacht. Als echte Konkurrenten in Europa sind beide Airlines aber nicht zu sehen, immerhin befinden sie ihre Basen deutlich zu weit im Osten, wodurch sie mit der Lufthansa eigentlich nur im Asien-Geschäft konkurrieren. Dasselbe gilt auch für die rasant gewachsenen Golfairlines. Blickt man also nur auf Kerneuropa sieht man deutlich: Die Lufthansa ist durch Zukäufe sowie anderes Wachstum zum klar dominierenden Spieler aufgestiegen.

Geografischer Vorteil befeuert das Wachstum

Wenngleich das System der Netzwerkairlines immer wieder in Frage gestellt wird, zeigt sich gerade im Vergleich zu British Airways und Air France ein entscheidender Vorteil der Lufthansa: Die Geografie. Kein anderes relevantes Hub in Europa liegt so zentral wie München und Frankfurt. Doch damit nicht genug, auch Zürich und Wien liegen äußerst zentral und bieten sich für eine Netzwerkairline ideal an. Blickt man dagegen auf London oder Madrid, die Hubs der IAG-Airlines, sieht man einen klaren Wettbewerbsnachteil. Durch den Neuzugang Aer Lingus (Dublin) wird es nicht besser.

Air France und KLM haben zwar geografisch ebenfalls recht gute Voraussetzungen, im wichtigen Markt in Osteuropa konnten die beiden Airlines aber nie Fuß fassen. Ironischerweise ist gerade Großbritannien das Land, in dem die niederländische KLM am meisten Ziele anfliegt – sogar mehr als British Airways. Dazu kommt, dass alle vier Hubs der Lufthansa Group auch wirtschaftlich eine gewisse Stärke mitbringen. Nein, keine der Städte kann bezüglich der Bedeutung mit London mithalten, relevanter als Madrid oder Amsterdam sind die Hubs der Lufthansa Group im wirtschaftlichen Sinne aber allemal. Genau durch diese Kombination kann die Lufthansa ihre Position immer wieder manifestieren.

Flughafen München
Die geografische Lage der Lufthansa Hubs ist ein enormer Vorteil

Gelungen ist der Lufthansa dabei zudem im Prinzip ein Gesamtsieg in Osteuropa. Allein bei einem Vergleich der Kernmarken ergibt sich für die Konkurrenz ein im Prinzip unfassbares Bild. Beispielhaft sei das an Rumänien gezeigt. Hier fliegen die drei jeweils größten Airlines der drei Netzwerkairlines die folgenden Ziele an:

  • Air France: Bukarest (ein Ziel)
  • British Airways: Bukarest (ein Ziel)
  • Lufthansa: Bukarest, Cluj, Sibiu, Timisoara (vier Ziele)

Ein Einzelfall, der mit der deutschen Historie und der großen Diaspora zu tun hat? Mitnichten, wie sich am Beispiel von Polen zeigt. Die Verkehrszahlen zwischen Polen und Großbritannien sind beispielsweise größer als die zwischen Deutschland und Polen und dennoch zeigt sich bei einem Blick auf die Ziele das folgende Bild:

  • Air France: Warschau (ein Ziel)
  • British Airways: Krakau, Warschau (zwei Ziele)
  • Lufthansa: Breslau, Danzig, Kattowitz, Krakau, Lubin, Posen, Rzeszow, Warschau (acht Ziele)

Dieses Spiel könnte man noch weiter spielen, wie man möchte. Es gibt sogar gleich mehrere Länder, in denen die Lufthansa Group die einzige der großen Netzwerkairlines ist, zum Beispiel in Moldawien.

Praktische Allianzen zur Stärkung der Macht

Doch die Lufthansa hat nicht nur durch ihre Geografie einen entscheidenden Vorteil, auch die Stärke der eigenen Allianzen spielt eine große Rolle. Gemeint ist damit nicht nur die Star Alliance, denn darüber hinaus arbeitet die Lufthansa in den wichtigsten Märkten mit dem jeweils mitunter wichtigsten Spieler zusammen. Beispiel USA: Hier hat die Lufthansa mit United einen enorm wichtigen Partner und fliegt zudem selbst zu insgesamt 20 (!) Zielen. Die Zahl der täglichen Flüge des Joint Ventures beläuft sich auf eine dreistellige Zahl. Die Konkurrenz lässt sich hier allerdings nicht lumpen, denn auch Air France und KLM (mit Partner Delta) und ganz besonders British Airways (mit Partner American Airlines) sind enorm stark auf dem Markt vertreten. British Airways beispielsweise steuert ab London sogar 27 Ziele in den USA an.

Delta Boeing 767 Landung
Bei Flügen in die USA ist auch die Konkurrenz sehr stark

Die Lufthansa allerdings hat sich deutlich besser diversifiziert als die anderen Airlines. Im wichtigsten Markt, den USA, gibt es zwischen den Allianzen eher einen Gleichstand. Schon in Kanada aber ist die Lufthansa dank des Joint Venture Partners Air Canada klar im Vorteil. Auch in anderen aufstrebenden Märkten läuft die Lufthansa der Konkurrenz davon: In China kann beispielsweise British Airways mit seinen Partnern überhaupt nicht mehr mithalten (die Lage von Hongkong als Hub von Cathay Pacific ist hierfür schlichtweg kaum für Umstiege geeignet), in Afrika sind Air France und KLM trotz der klaren Startvorteile durch die ehemaligen Kolonien mittlerweile nur noch auf einem ähnlichen Niveau wie die Lufthansa Group.

Ironischerweise ist es der Lufthansa zudem gelungen auf einer Route mittlerweile die besten Verbindungen anbieten zu können, auf der andere Allianzen einen klaren Vorteil haben sollten: Auf der nach Australien. British Airways ist in einer Allianz mit der dominanten Qantas und fliegt sogar selbst noch nach Australien. Dazu kommt Cathay Pacific als perfekt platzierter Partner in Südostasien mit einem modernen Drehkreuz “in der Mitte”. Und dennoch gelingt es der Lufthansa, gemeinsam mit Air New Zealand, Air China und Singapore Airlines, den Markt immer weiter zu erobern. Nicht zuletzt deshalb, weil die Lufthansa auch außerhalb der Allianz nach Partnern sucht: Die recht junge Zusammenarbeit mit Cathay Pacific auf Flügen nach Australien scheint bereits Früchte zu tragen – eine Erweiterung ist im Gespräch.

Übermacht in Europa erscheint unwahrscheinlich

Doch so sehr die Lufthansa bei einer Gesamtbetrachtung alles richtig macht (im Detail läuft sicherlich an der einen oder anderen Stelle, etwa bei Eurowings, so einiges schief) bleibt eine komplette Übermacht in Europa unwahrscheinlich – schon allein auf Grund der weiter wachsenden Konkurrenz der Billigflieger. Dazu kommt ein weiterer Faktor: Bahnverbindungen in Deutschland und auch innerhalb von Europa werden immer schneller, auch grenzüberschreitend. Auf Strecken wie von Paris nach Stuttgart oder Frankfurt, von Brüssel nach Köln oder von Madrid nach Marseille braucht man bereits heute eigentlich nicht mehr in ein Flugzeug steigen – mit dem Zug ist man meist schneller. Dieser Faktor wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten größer werden und damit zu einer Konkurrenz für die Lufthansa Group.

Swiss CS 100
Swiss und Lufthansa haben an ihren Hubs bislang kaum Konkurrenz

Der Standortvorteil könnte sich gerade auf kürzeren Strecken nämlich irgendwann zu einem Nachteil entwickeln, denn die gute Infrastruktur an allen fünf Lufthansa Hubs sorgt auch dafür, dass andere Verkehrsmittel attraktiver werden – deutlich stärker als etwa in London, wo relevante Zugverbindungen in andere Länder (mit Ausnahme von Amsterdam, Brüssel und Paris) vermutlich auch in den nächsten Jahrzehnten nicht zu einem relevanten Szenario werden. Dazu kommt eine verstärkte Marktöffnung nach der Pleite von airberlin: easyJet und Ryanair sind in Deutschland angekommen und werden mit Sicherheit bleiben. Noch ist die Lufthansa in Frankfurt und München recht einsam, was die Konkurrenzsituation angeht. Das wird sich in den kommenden Jahren allerdings zweifelsfrei ändern.

Natürlich wird man also auch in einigen Jahren noch mit einigen Monopolstrecken kämpfen müssen, auf denen die Lufthansa echte Monopolpreise erheben wird, sie werden allerdings weniger werden. Das sieht man bereits heute in Ländern wie Polen, wo Ryanair das Preisgefüge der stolzen Staatsairline LOT völlig zerstört hat oder in Rumänien, wo TAROM nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Auch wenn die Lufthansa eine wahre Übermacht entwickelt hat und gerade bei Flügen in entlegenere Regionen von Europa oft die einzige Option ist, bleibt ein echtes Monopol ein unwahrscheinliches Szenario. Die Lufthansa hat besser gewirtschaftet als die zwei großen Konkurrenten und hat die Standortvorteile ideal umgemünzt, unendlich skalieren lassen sich diese Faktoren allerdings nicht – das zeigt sich bereits an den Debatten rund um Gebühren in Frankfurt und eine dritte Startbahn in München.

Fazit zur Übermacht der Lufthansa in Europa

Kein anderer Markt hat sich in den letzten Jahren so stark verändert wie die Luftfahrt. Wenn die Lufthansa Group in zehn Jahren ihre Passagierzahlen verdoppeln kann, scheint auch in den nächsten zehn Jahren alles möglich. Die Standortvorteile der Lufthansa könnte zu einem Nachteil werden, der bislang robuste deutsche Markt und sein hohes Preisniveau könnte deutlich preisintensiver werden und auch auf der Langstrecke brechen langsam andere Zeiten an. Spätestens wenn Norwegian mit Langstreckenflügen ab Deutschland beginnt und spätestens wenn Ryanair und Co auch an den Lufthansa Hubs richtig angreifen, wird die Übermacht der Lufthansa wieder bröckeln. Aktuell allerdings darf die Lufthansa getrost als dominanter Spieler auf dem Markt bezeichnet werden.

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Autor

Moritz liebt nicht nur Reisen, sondern auch Luxushotels auf der ganzen Welt. Mittlerweile konnte er über 500 verschiedene Hotels testen und dabei mehr als 100 Städte auf allen Kontinenten kennenlernen. Auf reisetopia lässt er Euch an seinen besonderen Erlebnissen teilhaben!

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  • #Umpackstation
    LH hat genug Ressourcen sich mit solchen neuen Spielsachen zu diversifizieren – auch ein Zeichen von Macht 😉 freu mich auf Bilder wie die wohl aussehen/funktionieren mag…

  • Kleine kosmetische Korrektur, die die These nicht gefährdet und nicht verändert: AirFrance fliegt ebenfalls Krakau an und Breslau wird durch Hop!, also AF ebenfalls bedient (werden). In Lublin ist allerdings LH dank Codesharepartner bmi anwesend, dafür direkt in Lodz (ex Muc) und Bydgoszcz (ex Fra) vertreten. Viele Grüße!

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