Seit nunmehr über einem Jahr wütet die Covid-Pandemie weltweit, ein klar datiertes Krisenende ist nur noch ein weit entfernter Traum. Im Rahmen einer neuen Interviewreihe sprechen wir mit Experten und Branchenkennern, Luftfahrtmitarbeitern und Krisen betroffenen über direkte und indirekte Auswirkungen der Pandemie, individuelle Ansichten, Hoffnungen, Meinungen – und natürlich die Zukunft. Für unser erstes Gespräch klärte uns Herr Sefan Hein über seine Tätigkeit bei Rolls-Royce und Entwicklungen des Unternehmens am Berliner Standort auf.
Dies ist der zweite Teil unserer neuen Interviewreihe, im ersten Teil sprachen wir mit Stefan Hein über Krisen- und Katastrophenpolitik der internationalen Luftfahrt und die Einflussnahme der Covid-Pandemie auf Klimaschutzstrategien und Nachhaltigkeit im globalen Flugverkehr. Teil I ist am 1. August erschienen und hier nachzulesen.
Stefan Hein ist langjähriger Mitarbeiter von Rolls-Royce Deutschland und Bezirksgruppenleiter der DGLR Berlin Brandenburg. Im Kontext dieses Interviews fungiert er nicht als offizieller Vertreter. Sämtliche im Gespräch erwähnten Statements, Meinungen und Äußerungen sind subjektiv und entsprechen keiner offiziellen Darstellungsweise des Unternehmens.
Der Standort Dahlewitz war ursprünglich für die Entwicklung von kleinen und mittleren Triebwerken für Business- und Regionaljets vorgesehen – Ändert sich der Fokus?
SH: Hierzu muss man erst einmal erwähnen, dass Rolls-Royce Dahlewitz nicht der einzige Standort ist. Es gibt einen zweiten Standort in Oberursel, in der Nähe von Frankfurt. Hier werden einige Produktionsteile gefertigt, die Endmontage passiert allerdings in Dahlewitz. Die Triebwerke, die wir hauptsächlich in Dahlewitz produzieren, sind Triebwerke für Geschäftsreiseflugzeuge, und in diesem Sektor beeinflussen wir die Luftfahrt sehr stark – mit einer Ausnahme. Wir haben aus unseren Triebwerken für Geschäftsreiseflugzeuge ein Triebwerk abgeleitet, das ein früheres McDonnell Douglas-Flugzeug angetrieben hat, also die heutige Boeing 717, die inzwischen leider aus der Produktion gegangen ist. Das war unser Geschäft für die Passagierluftfahrt in den vergangenen Jahren und diese Triebwerke kommen auch wieder zurück, weil die Flugzeuge eben noch unterwegs sind. Mit ‚zurück‘ meine ich natürlich in den Service und die Wartung.
Rolls Royce hat dadurch, dass es diese Triebwerke hier in Deutschland entwickelt, ein enormes Know-How gesammelt. Das führt dazu, dass diejenigen Kollegen, die irgendwann ausscheiden bei Rolls-Royce, an die Universitäten gehen und dort Ihr Wissen weitergeben können. Dort haben sie Keimzellen gebildet, die in sogenannte Universal Technology Center (UTCs) übergegangen sind.
In Deutschland gibt es insgesamt vier Universitäten, die solche UTCs betreiben, die Universitäten in Cottbus, Dresden, Karlsruhe und Darmstadt. Das sind Lehrstühle oder auch Fachstühle, die von Rolls-Royce mit. Drittmitteln unterstützt werden. Rolls-Royce bringt dort also Wissen und Expertise ein – aber natürlich auch Geld – und erhält im Gegenzug Technologie, (fachlichen Fortschritt) und Wissenschaft. Wir befinden uns oft an den Grenzbereichen zwischen Forschung und Entwicklungen, die wir in die Entwicklungsbereiche übertragen. Teilweise müssen wir beispielsweise Modelle aufsetzen, und mit sogenannte Rig-Tests überprüfen, um nachzuweisen, inwiefern die Teile aus der Forschung einen Weg in die Entwicklung finden können. Auf diese Weise wird der Weg von der Forschung in die Entwicklung gleichzeitig von den Universitäten, aber auch von den Ingenieuren begleitet.
BR715 ist für die Boeing 717 sowie die Tu-334 entwickelt worden – hat man sich bewusst für die zivile Sparte geöffnet und war dies ein Fehler? Beide Modelle gelten als nicht erfolgreich bzw. wurden nie umgesetzt. Die Boeing 717 wurde als gefloppt bezeichnet, wenn auch das Modell sehr beliebt bei Airlines ist. Auf der anderen Seite ist die Triebwerksfamilie, wie bereits angesprochen wurde, für die Businessjets entwickelt worden. Wie sieht die Langzeitstrategie dieser Triebwerksfamilie aus, auch völlig ungeachtet von Corona?
SH: Aktuell sieht es so aus, dass wir aus dieser BR700 Triebwerksfamilie eine weitere entwickelt haben, das ist die Pearl Triebwerksfamilie. Hierfür sind neueste Entwicklungen und technische Errungenschaften mit eingeflossen. Wir haben mittlerweile drei Triebwerke dieser Familie, die wir an unsere Kunden ausliefern – aktuell natürlich nur in der Entwicklung, nicht in der Produktion.
Pearl 700 beinhaltet 3D-gedruckte Teile – Was ist der Gedanke dahinter gewesen? Kann der 3D-Druck grundsätzlich in der Fertigung eine größere Rolle übernehmen?
SH: Hier müssen wir noch einmal einen kleinen Schritt zurückgehen, denn ich selbst habe mit diesen Technologien in meiner täglichen Arbeit nichts zu tun. Ich bin auch nicht in der Produktion tätig, sondern in der Entwicklung und der Triebwerksleistungsrechnung, also in sehr theoretischen Bereichen. In meiner Arbeit geht es viel um Theorie, um Vorhersagen zu Triebswerksverhalten und Validierungen durch Tests, auch darum, der Produktion das Alterungsverhalten der Triebwerke vorauszusagen. Das bedeutet, dass ich von der Produktionsseite des 3D-Drucks fast keine Ahnung habe. Ich kann Ihnen aber sagen, dass der 3D-Druck eindeutige Möglichkeiten aufweist, kleinere Serien an hochwertigen Teilen zu fertigen, die dann im Endeffekt leichter und optimierter sind. Dazu wird der Kraftfluss direkt in den Bauteilen mit berücksichtigt, um das jetzt mal theoretisch auszudrücken. Strukturell könnte man sich das vorstellen wie einen Knochen, mit dessen Vernetzungsstrukturen im Inneren. Auf diese Weise wird deutlich Gewicht gespart.
Also es geht bei den 3D-Drucken um das Gewicht der Teile, die Einfachheit der Teile – man kann verschiedene Teilegruppen zusammenführen und daraus ein Teil machen. Dazu hätte man früher drei, vier Einzelteile zusammenschrauben müssen, heute werden zum Beispiel die Schrauben an Gewicht eingespart. Doch in diesem Bereich stehen wir alle sehr am Anfang und haben noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.
Pearl 700 wurde optimiert und für die Leistungsfähigkeit gefeiert. Andere Triebwerkshersteller setzten schon früher auf Nachhaltigkeit und geringere Lärmbelastung – Wieso spielt das bei Triebwerken für Businessjets bislang keine große Rolle? (Beispiel A320neo, Boeing 737 MAX)
SH: Natürlich ist das ein sehr großes Thema, zumal hier gleich zwei Dinge zusammenfallen: Je effizienter ein Triebwerk wird, desto besser kann man es betreiben, desto länger kann das Flugzeug in der Luft bleiben, ohne weiteren Kraftstoff zu benötigen. Also in der Richtung ist auf jeden Fall die Nachhaltigkeit mit der Effizienzsteigerung verbunden. Wir gehen aber auch weitere Schritte und versuchen, die Triebwerke auch mit Sustainable Aviation Fuels (SAFs) Betriebs-tauglich zu machen.
Wir bekommen diese Kraftstoffe und fahren unsere Triebwerke damit auf die Prüfstände, um diese dann später auch zulassen zu können, also sprich mit diesen Kraftstoffen zertifizieren zu können. Teilweise als Mischung, teilweise als hundertprozentige SAF-Kraftstofflösung für die Triebwerke. Also das Thema ist sehr stark, aber wir sind da eben immer noch auf den Verbrenner fixiert oder ausgerichtet, und das wird wohl leider auch noch einige Jahrzehnte so bleiben. Wir können zwar viele neue Technologien entwickeln, im Moment wird aber – und auch in nächster Zukunft – die Wirkungsgradsteigerung und Effizienz im Vordergrund stehen, und damit die Nachhaltigkeit auch bedingt.
Wir sind natürlich bei Rolls-Royce sehr dazu bestrebt, uns dahingehend weiterzuentwickeln und werden später auch vermehrt auf elektrische Antriebe umstellen – oder auf Kombinationen von Gasturbinen, also eben Verbrenner, und elektrischen Antrieben, sogenannten Hybridenantrieben. Da gibt es also einige neue Konzepte, die wir in der Zukunft auch mit Universitäten wie Cottbus weiterentwickeln werden, und die auch schon durch die Presse gegangen sind.
Ich weiß nicht, inwiefern Sie tatsächlich Einblicke geben können in die Marktprognosen von Rolls-Royce, aber wir hatten eben ja bereits den zivilen Geschäftsreiseverkehr angesprochen, der vermutlich in den kommenden Jahren eher abnehmen wird. Auf der anderen Seite haben wir bei der General Aviation in Frankfurt ein unglaublich hohes Flugaufkommen gesehen. Müssen wir das also eher als kurzfristige Veränderung wahrnehmen oder könnte man sich auch im Kontext eines potenziellen Inlandsflugverbotes vorstellen, dass es hier zu einer langfristig und nachhaltigen Umstrukturierung kommen wird?
SH: Natürlich, hier wird in den kommenden Jahren vermutlich ein erster Schritt der Verdrängung vom zivilen und hin zu vermehrtem Privatverkehr passieren. Natürlich werden einige der großen Flugzeuge verschwinden und durch mehrere kleinere Maschinen ersetzt, aber, diese aktuelle Zunahme des Privatflugverkehrs im vergangenen Jahr hat tatsächlich eher etwas mit den Pandemie-Regeln zu tun. Wenn zwischen zwei Ländern die Möglichkeit besteht, zu reisen, ohne die anschließenden 14 Tage in Quarantäne zu verbringen, dann kann ich das machen. Wenn ich dann aber Gefahr laufe, eventuell nicht mehr nach Hause zurückzukommen, weil sich die Situation in der Zwischenzeit verschlechtert hat, dann kann ich als etwas höherer Geschäftsführer natürlich viel besser mit einem Geschäftsreisejet fliegen.
Wir haben im letzten Jahr die Erfahrung gemacht, dass der Geschäftsreiseverkehr innerhalb der USA tatsächlich mehr oder weniger gleich geblieben ist, oder teilweise sogar zugenommen hat, weil es diese Art von Einschränkungen dort nicht gab. In Amerika konnte man jederzeit ohne Einschränkungen von Küste zu Küste fliegen, sodass es hier auch kaum einen Einbruch gab.
Kommen wir nun zu unserer tatsächlichen Abschlussfrage, die ein wenig gelöst ist von den bisherigen Themengebieten. John Leahy, ein bekannter und viele Jahre (zurecht) gefeierter Chefeinkäufer bei Airbus traf zuletzt einige Aussagen zum Airbus A380, die wir gern ein wenig konkreter einordnen würden. Unter anderem resümierte Leahy auch über die Frage, warum die Maschine trotz allem in diesem Ausmaß floppte, und formulierte in diesem Kontext Vorwürfe gegenüber Rolls-Royce, dass man Falschangaben zum Leistungsstand der Triebwerke machte beziehungsweise effizientere Entwicklungen von Triebwerken versteckt gehalten hat. Nun ja, würden Sie eventuell Ihre Meinung hierzu mit uns teilen?
SH: (lacht). Also, um es mal so zu formulieren: Der Mann hat Unrecht. Der Airbus A380 ist ein eigenes Flugzeug mit einer eigenen Flugzeugklasse, das eigene Triebwerke bekommen hat, die nur für diese Maschine zugeschnitten waren. Die Anzahl der verkauften Flugzeuge ist aber weit hinter dem zurückgeblieben, was Airbus prognostiziert hatte. Das heißt, die Fertigung und der Verkauf dieser Triebwerke war nicht wirtschaftlich, sie sind aber trotzdem fertig gebaut worden, auch um laufende Verträge nicht zu verletzen.
Das ist aber natürlich ein sehr heißes Eisen, nach dem Sie mich hier fragen, und ich werde dazu natürlich keine persönliche Meinung abgeben können, dürfen oder wollen, nur so viel vielleicht, dass ich diese Triebwerke sehr mochte. Die Trent 900 ist ein sehr gutes Triebwerk, hat uns viel gelehrt und in Technik und Anwendung weitergebracht. Insofern war es natürlich sehr schade, dass der Kostenaufwand zu hoch war.
Leahy hatte das weiterführend dann selbst einmal angesprochen, dass Airbus wohl grundsätzlich lange zu zögerlich war, und es in der gesamten Produktionskette immer wieder zu starken Verspätungen bei dem A380 kam, und das die Enttäuschung natürlich sehr groß war, als die solange angepriesene A380-900 dann nicht kam. Vielleicht wäre es anders tatsächlich effizienter gewesen – zumindest ist das die Aussage von Leahy selbst.
SH: Nun ja, das lassen wir mal so stehen (lacht).
Mit diesen Worten haben wir uns auch bei Herrn Stefan Hein verabschiedet. Die Einblicke zu seinen Tätigkeiten bei Rolls-Royce und der Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt waren sehr aufschlussreich und interessant. Daher gebührt ihm an dieser Stelle nochmal ein ganz besonderes Dankeschön!