Mögliche Privilegien für Geimpfte betonen eine neue Klassifizierung dieser Gesellschaft, die Covid-19 etabliert. Das ist unfair, sagen Medien und Meinungsmacher – und das vielleicht zu Recht. Doch ein Blick auf die Alternativen zeigt: Es ist der einzige Weg zurück in die Freiheit, und außerdem ein guter. Ein Versöhnungs-Versuch.

Handtuchverbote für Hotelliegen, Imagewandel der DB, Alkoholmissbrauch auf Langstreckenflügen: In dieser Serie mit dem Titel “Lasst uns reden” widmet sich unsere Kolumnistin Lilli einmal monatlich den wichtigen und nichtigen Aspekten des Reisens. Eine gesellschaftspolitische Kolumne in Zeiten von landesweitem Fernweh.

Wann immer die politische Führung eines Landes eine Entscheidung trifft, gibt es dazu Mitwisser, Meinungen – und meist eine Menge Diskussionen. Oft sind diese Debatten weitgehend sinnfrei, so beispielsweise die von leidenschaftlichen Maskengegnern etablierte Frage, ob wir in einigen Jahren alle Segelohren tragen, nun ja. Doch es gibt auch diese Debatten, die nicht nur richtig sind, sondern auch wichtig – und eine solche polarisiert derzeit die europäische Reiseindustrie: Dürfen geltende Beschränkungen für geimpfte Personen wegfallen? Eine Frage, für die es weit weniger richtige Antworten gibt, als anfangs vielleicht gedacht.

Vaccination Mood Jpeg

Um dies einmal vorwegzunehmen: Diese Debatte ist aktuell (noch) eine theoretische, die mitunter gewisser Konditionen bedarf. Der Wissenschaft fehlt es an finalen Antworten auf nicht ganz unwesentliche Fragen, wie die der (potenziell auch weiterhin möglichen) Übertragbarkeit, oder gar der nach einer tatsächlichen Wirkung des Stoffes, abseits der wirklich schweren Verläufe und natürlich Risikopatienten, wie ein Beitrag der Deutschen Welle verdeutlicht. Auch die Verteilungsfrage ist eine schwierige; für nach aktuellem Informationsstand bestmöglichen Schutz braucht es mindestens zwei Dosen pro Patient, eine Rechnung die nicht aufgeht – und mit Sicherheit nicht fair ist.

Und dennoch ist eine Debatte um mögliche Lockerungen für gegen Covid geimpfte Personen aus verschiedenen Gründen richtig. Erstens: Diskussionen sind das Mittel zum Zweck einer demokratischen Gesellschaft, weil a) demokratisch und b) notwendig, um einen gesellschaftlichen Konsens aus einem mehr oder minder mysteriösen Meinungspool zu etablieren. Auch hier kommen dann häufig diese Fragen zum bevorstehenden Kurzurlaub zum Beispiel, die wir uns eigentlich längst sparen könnten. Versteht mich nicht falsch, zu fragen ist nicht unberechtigt, nur: Die Antwort geht uns schlicht Nichts an. Inwiefern die Nachbarn individuellen Verzicht üben oder bestehende Möglichkeiten unter geltenden Auflagen gar maximal ausnutzen, das darf man zwar moralisch verwerflich finden – doch die Entscheidung liegt bei einem selbst, denn Solidarität, Mitgefühl und die Bereitschaft zum Verzicht geschehen nun mal selbstbestimmt.

Freiheitsrückgabe als Grundrecht – nicht Sonderrecht

Mit der Impfstrategie ist das anders. In Deutschland sind aktuell knapp eineinhalb Millionen Menschen geimpft – das ist vergleichsweise wenig. Und doch soll sich diese Zahl in den kommenden Monaten rapide potenzieren. Die Landesregierungen der EU-Mitgliedsstaaten debattieren nun potenzielle Privilegien für gegen Covid geimpfte Personen; der Ruf nach einem „Impfpass“ schallt besonders aus den südeuropäischen Ferienregionen entgegen, deren Wirtschaftlichkeit an stagnierenden Buchungszahlen der Tourismusindustrie zugrunde geht. „Geimpfte Personen müssen frei reisen dürfen“, forderte zuletzt der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis. Doch was politische Stimmen wie die des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder zuletzt mit dem missverständlichen Begriff der „Privilegien“ betiteln, ist doch viel grundsätzlicher, als es diese Debatte klingen lässt: Es ist der einzige Weg zurück in die Freiheit.

In einem in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Kommentar aus der vergangenen Woche schreibt der justizpolitische Journalist Wolfgang Janisch:

Nach dem Grundgesetz ist zumindest die grobe Linie klar. Rechtfertigungsbedürftig ist die Beschränkung der Freiheit, nicht ihre Lockerung .

Justizpolitischer Journalist der Süddeutschen Zeitung, Wolfgang Janisch

Damit liegt die juristische Antwort dieser Frage auf der Hand. Es geht um die Rückgabe von Grundrechten, nicht Sonderrechten, so Janisch. Ein Blick auf die Alternativen tut sein Übriges: Wenn gegen Covid geimpfte Personen auf den Rest der Gesellschaft „warten“ müssten – wäre das fair? Vielleicht. Der (An-)Reiz einer Impfung dahin? Wahrscheinlich.

Absente Alternativen und Privilegien, die keine sind

Empirische Alternativen gibt es ohnehin wenig. Es ist die zweite, dritte oder vierte Welle, die aktuell Europa überschwemmt, und blickt man auf benachbarte Strategen in Großbritannien oder Schweden fällt der Wunsch nach Herdenimmunität eben doch sehr schnell den grassierenden Todeszahlen zum Opfer. Und doch geht es bei diesem Transfer unserer Freiheit um Privilegien, die keine sind – und eigentlich keine sein sollten. Wir alle sind am Ende unserer Kräfte, für die es schon lange keinen Maßstab mehr gibt: Es ist in Ordnung nicht mehr zu wollen, die Hoffnung zu verlieren, zu resignieren.

Impfung Moodbild

Blicken wir also auf diese Privilegien, die geimpften Personen bald zustehen sollen, entfaltet sich vor uns das so goldene Porträt unserer eigenen, uneingeschränkten Freiheit: Wir träumen von Restaurantbesuchen und Strandspaziergängen, von einem Leben, das wir einmal kannten – und allzu gerne wieder hätten. Dass diese Spritze für viele Personen aber bedeutet, ein erstes Mal in diesem Jahr ein bekanntes Gesicht am eigenen Krankenbett zu empfangen, verschwindet im Angesicht dieser zum Greifen nahen Zukunftsaussichten leider viel zu oft in den Kommentarspalten.

Die Pandemie ist nicht fair, doch wir können es sein

Und doch ist diese Klassifizierung problematisch. Ähnlich problematisch vermutlich, wie der schon im Frühjahr letzten Jahres etablierte Begriff der “Systemrelevanz”. Natürlich ist die Rückgabe der Grundrechte an ausgewählte Einzelpersonen per Definition unfair. Nur, es gibt keine faire Alternative, und auch keinen anderen Weg in Richtung Normalität. Die Chance auf das ganz große Abenteuer bleibt für uns Normalsterbliche ohnehin dieselbe, wenn Test- und Quarantänepflicht es einem aktuell wert sind. Doch je höher die Zahl der landesweit immunen Personen, desto höher die Chance auf individuelle Freiheit. Diese Pandemie ist nicht fair – doch sie gibt uns die Chance, es selbst zu sein.

Und mal ehrlich: fühlt es sich wirklich so ungerecht an, den ältesten und schwächsten Individuen unserer Gesellschaft den Vortritt zu lassen und ihnen bestmöglichen Schutz zu gewähren? Dass Tante Emma mit 92 Jahren und einem Pflaster am Arm den Erstflug ihrer einjährigen Europa-Reise besteigt, ist ohnehin unwahrscheinlich. Aber können wir das auch von uns selbst behaupten?

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Autorin

Lilli ist am liebsten in den Wolken - und das nicht nur mit ihrem Kopf. Schon als Kind tourte sie mit einer Tanzgruppe durch Europa, heute ist Fernweh ihr ständiger Begleiter. Wenn sie sich nicht gerade mit ihrem Studium in Berlin beschäftigt, sitzt sie irgendwo auf der Welt hinter ihrem Laptop und berichtet für Euch über die angesagtesten Travel News rund um den Globus - direkt hier auf reisetopia.de!

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  • Eine gute Kolumne. Endlich auch mit Meinung. Sie kann mir gefallen, muß mir aber nicht.

    Zum Satz, daß die Impfung der einzige Weg aus der Pandemie ist, sage ich NEIN.
    Einerseits ist noch nicht eine wirkliche große Pandemie mit Impfen weltweit beendet worden. Und wir denken beim Impfen auch gerne nur an die Industrienationen.
    Zum anderen wird viel zu wenig Augenmerk auf wirksame Medikamente gelegt.
    Interessant ist dazu, daß die covid19
    Pandemie auf dem Rückzug sein könnte. Und das liegt nicht an den wenigen geskritzen Impfdosen.

    Auszug aus aktueller Meldung der WHO auf ntv :

    Zwar gibt es in vielen Ländern noch steigende Fallzahlen, aber auf globaler Ebene sei der Trend “ermutigend”, heißt es in dem WHO-Bericht.

    In absoluten Zahlen sinken vor allem in Europa und Nord- sowie Südamerika die Fallzahlen, auf Wochensicht zuletzt um fast eine halbe Million Neuinfektionen. Der Großteil des Rückgangs geht auf die USA zurück, wo fast 200.000 weniger Fälle gemeldet wurden. Aber das Phänomen ist nicht auf diese Kontinente beschränkt: Fünf der sechs WHO-Regionen verzeichneten zuletzt einen Rückgang der neuen Corona-Fälle von mehr als 10 Prozent pro Woche. Die Zahl der neu gemeldeten Todesfälle sank laut WHO ebenfalls die zweite Woche in Folge. Mit 88.000 neu gemeldeten Todesfällen waren es zuletzt rund 10 Prozent weniger im Vergleich zur Vorwoche.

  • Bisherige Erfahrungen mit Impfstoffen gegen andere Coronaviren deuten darauf hin, dass eine sterilisierende Immunität schwer zu erreichen sein wird. Warum? So wie die Impfungen jetzt sind, also intramuskulär in den Arm, ist es relativ schwer, eine wirklich gute mukosale Immunantwort zu erzielen. Durch die intramuskuläre Impfung wird eine systemische Immunantwort stimuliert, die vor allem im Blutkreislauf stattfindet. Aber das Virus vermehrt sich nicht im Körperinneren, sondern vor allem in den Schleimhäuten. Die Körperabwehr an den Grenzen zur Außenwelt, die mukosale Immunreaktion, ist eine andere als im Blut und in den Organen. Der Impfstoff kommt also streng genommen am falschen Ort zum Einsatz und erzeugt möglicherweise deswegen keine sterile Immunität. Ein Grund dafür ist, dass in den Schleimhäuten ein anderer Antikörpertyp dominiert, das Immunglobulin A (IgA). Wer eine Corona-Infektion hinter sich hat, trägt in den Schleimhäuten viele für das Coronavirus spezifische IgA-Antikörper. Zwar zeigen Studien, dass auch die Impfungen eine sehr gute Antikörperantwort erzeugen – doch das ist bisher nur für das im Blut zirkulierende Immunglobulin G nachgewiesen. Wenn wir eine richtig gute mukosale Immunität haben wollen, müssen wir auch über die Schleimhäute immunisieren. Ein Ansatz, direkt an der Eintrittspforte der Atemwegserreger zu impfen, sind Nasensprays. Eine Impfung über die Nase stellt besondere Sicherheitsanforderungen – die Nasenschleimhaut ist über die Riechkolben direkt mit dem Gehirn verbunden. Bis solche Impfstoffe zur Verfügung stehen, wird es also noch dauern.
    Wunderschön nachzulesen im neuesten Spektrum-Heft.

  • Für mich kommt eine Impfung überhaupt nicht in Frage.
    Ich esse ja auch keinen Gentechnisch veränderten Mais. Warum sollte ich mir dann gentechnisch veränderte Virus Bausteine spritzen lassen? Da kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln.
    Sollte ich durch meine Einstellung wirklich Nachteile haben beim Fliegen zum Beispiel, dann wird die Reisebranche an mir eben nichts mehr verdienen.

  • Zum Glück ist das nur die private Meinung der Kolumnistin! Wie kann man so ein Vorhaben unterstützen, wenn noch nicht einmal klar ist, wie und ob die Impfung überhaupt wirkt? Ob man danach noch ansteckend sein kann? Von den eventuellen Langzeitfolgen ganz zu schweigen

    • Weil sie komplett recht hat, falls die Impfung sterile Immunität verleiht, dann entfällt nämlich die Grundlage der Beschränkungen. Grundrechte sind nunmal Individualrechte.

  • Was ist das denn? “Diskussionen sind der Zweck zum Mittel einer demokratischen Gesellschaft, weil a) demokratisch und b) notwendig…?” Liebe Lilli, diese Kolumne war leider unlesbar. So sehr ich die Bemühungen um große Worte und die Kraft der deutschen Sprache schätze: diese Kolumne war unlesbar. Ich habe mich trotzdem tapfer durchgekämpft. Diskussionen sind aller Wahrscheinlichkeit Mittel zum Zweck.

    “Auch hier kommen dann häufig diese Fragen zum bevorstehenden Kurzurlaub zum Beispiel, die wir schon alle nicht mehr hören können. Versteht mich nicht falsch, zu fragen ist nicht unberechtigt (weil demokratisch).” Seit wann ist die Erlaubnis fragen zu dürfen ein Grundmerkmal einer Demokratie?

    “benachbarte Strategen wie Großbritannien oder Schweden” Strategen sind Personen; Länder können lediglich von Strategen ausgearbeitete Strategien haben.

    Welche Formel benutzt Du zur Berechnung der “Wirtschaftlichkeit an stagnierenden Buchungszahlen der Tourismusindustrie”? Die Wirtschaftlichkeit der südeuropäischen Länder leidet bestimmt durch stagnierende Buchungszahlen.

    Das war leider nix. Eine sehr enttäuschendes Stück reisetopia-Literatur.

    • Hi Hans, lieben Dank für das ausführliche Feedback. Die in oben stehender Kolumne angesprochene Debatte ist aktuell selbstverständlich eine theoretische, in welcher einige (nicht unwesentliche) Variablen noch schlichtweg nicht geklärt sind. In diesem Punkt gebe ich Dir absolut Recht, wie Du meinen Einfügungen am Anfang des Textes entnehmen kannst. Darum soll es hier allerdings nicht gehen. Oben stehende Argumentation zielt nicht auf die Frage ab, ob die Impfung tatsächlich der richtige Weg aus dieser Pandemie sein kann. Vielmehr geht es darum, die individuelle Ablehnung rein aus “Fairness”-Gründen zu hinterfragen, insbesondere vor dem Kontext der Impfung als aktuell einzigen von der Politik in Aussicht gestellten Lösungsweg. Die Berücksichtigung potenzieller wissenschaftlicher Einschränkungen traue ich unseren Lesern tatsächlich selbstständig zu; hier geht es schlicht um die emotionalen Aspekte dieser Thematik. Liebe Grüße

  • Man kann auch ohne Impfung zur Normalität zurückkehren. Aber wenn es um Impfungen geht…würde eine Diskriminierungsklage anstreben wenn jemand vor mir geimpft wird und dadurch mehr Rechte hat als ich. Wir mussten schon genug durchmachen. Und auch Bundesländer die sich an Regeln gehalten haben müssen privilegiert behandelt werden. Z.B. Berlin hat hohe Zahlen und Hamburg fast keine. Also müssen Hamburger mehr Rechte und Möglichkeiten haben.

      • Wie kann man in der jetzigen Situation anfangen über Privilegien zu sprechen wo noch nicht mal klar ist wie es nach der Infung weitergeht, zur Zeit ist alles dicht, ich glaube es gibt erst einmal wichtigere sache als durch die welt zu reisen, erst mal die Pandemie unter Kontrolle bringen und dann reisen
        Azch mir wurden im letzten Jahr einige Flüge von qatar gecancelt die Erstattung hat etwas gedauert aber na u d, was soll ich denn in Ländern wo uch erst in Quarantäne muss und nicht sicher bin ob ich wieder nach Hause komme
        Erst mal um Sachen kümmern die wichtig sindund das sind reisen mit Sicherheit zur Zeit nicht

      • Hi Stefan, wie Du meiner Argumentationsweise in oben stehendem Artikel entnehmen kannst, stimme ich Dir weitgehend zu. Dieser Diskurs zu möglichen Privilegien für geimpfte Personen ist allerdings nicht durch uns als Medium angestoßen worden, sondern durch politische Stimmen unserer Landesregierung. Wir als Journalisten gehen hier lediglich unserer Pflicht nach – zu berichten und eine viel diskutierte Debatte thematisch einzuordnen. Dass wir unsere Plattform nachweislich nicht für Reisepropaganda nutzen, sondern universal über für die Reisebranche und ihre Vertreter wichtige Aspekte schreiben, sollte durch die thematische Vielfalt auf unserer Startseite ersichtlich sein 🙂 Viele Grüße

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