Die Passagierzahlen im dritten Quartal steigen und würden unter normalen Umständen genug Anlass für Optimismus in einer gesamten Branche geben. Die Grenzschließungen weltweit lassen die Sorgenfalten aber wieder tiefer werden.
Während erste Länder aus Sorge vor der neuen Virusvariante Omikron bereits wieder ihre Grenzen schließen, fürchten Airlines eine Wiederholung des Frühjahrs 2020. Dementsprechend laut sind bereits die ersten Stimmen, die sich gegen das Vorgehen der meisten Staaten weltweit äußern. Die Airlines bekommen bereits jetzt die Auswirkungen zu spüren und verzeichnen nach starken letzten Monaten den ersten Nachfragerückgang, wie Reuters berichtet. Doch sind Grenzschließungen überhaupt eine gerechtfertigte und wirksame Vorgehensweise im Kampf gegen das Virus?
Alles wieder von vorne?
Nachdem erste Länder auch außerhalb Europas die Grenzöffnung forciert haben, und mit der Grenzöffnung der USA ein wahrer Boom ausgelöst wurde, schien die gesamte Reise-Branche wieder “back on track” zu sein. Das spiegelte sich auch in den Aktienkursen der größten Airlines weltweit wider. Die Passagierzahlen stiegen zwar zuletzt ebenfalls an, Sorgen dürfte aber vor allem die neue Virusvariante Omikron bereiten, die bereits jetzt nicht nur aus medizinischen Gründen ihr Unwesen treibt. Die Gewinnaussichten auf der transatlantischen Langstrecke werden durch sie auch wieder getrübt. Darüber hinaus hinterlässt das Virus eine ohnehin bereits vulnerable Branche vor vielen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten. Um ein paar Beispiele zu nennen: Die Übernahme von Air Europa kann nicht vorangetrieben werden. Neben Airlines wie der Lufthansa, die besonders stark abhängig von der Langstrecke sind, bestätigen auch Reiseveranstalter wie DER Touristik den aktuellen Trend. Nach einem starken Herbst gehen die Buchungszahlen zurück, die Stornierungsanfragen steigen indes.
Trotz der weiterhin positiven Tendenzen äußern die ersten Airline-Chefs weltweit ihre Bedenken. Sie befürchten die Wiederholung des Schauspiels aus dem Frühjahr 2020, als die meisten Airlines ihre Flotten grounden oder gar die Insolvenz anmelden mussten. easyJet sieht sich bereits jetzt den Auswirkungen der neuen Virusvariante ausgeliefert und verzeichnet einen ersten Rückgang der Buchungszahlen. Am lautesten Alarm schlägt indes Tim Clark, Chef von Emirates, dessen Fluggesellschaft verhältnismäßig gut durch die Corona-Pandemie bisher gekommen ist. Sollten weitere Länder ihre Grenzen für bestimmte Länder oder gar gänzlich schließen, würde dies ein erhebliches Trauma in der Luftfahrtbranche mit sich ziehen. Doch noch wollen nicht alle Airlines das Ende des Jahres 2021 abschreiben. Ein Sprecher von Iberia möchte noch keine Vorhersage treffen und demonstriert die Stärke und Flexibilität der gesamten Branche in den letzten Monaten.
I would say probably by the end of December, we’ll have a much clearer position. But in that time, December is a very important month for the air travel business. If that is lost, or the winter is lost to a lot of carriers, there will be significant traumas in the business, certainly the aviation business and the periphery.
Tim Clark bei der Reuters Next Conference
Die Auswirkungen lassen sich auch in den Ergebnissen von easyJet wiedererkennen. Dennoch konnte sich der britische Lowcost Carrier in den vergangenen Monaten mit einem optimierten Netzwerk, profitablen Zusatzprodukten und die Kostenumstrukturierung sicher und gut gewappnet aufstellen, wie aus der Pressemitteilung der Airline hervorgeht. Die Verluste vor Steuern betragen 1.136 Mio. Pfund und sind damit besser als die Markterwartungen ursprünglich hergegeben haben. Dementsprechend dürfte der Dezember mit den Feiertagen und dem Jahreswechsel richtungsweisend für die meisten Airlines und die gesamte Branche werden, wie auch Tim Clark hervorgehoben hat. Während Länder wie Deutschland noch verhältnismäßig moderate Einreisebestimmungen in Bezug auf die neue Virusvariante umsetzen, schließen andere Länder wie Hongkong oder Japan wieder gänzlich ihre Grenzen oder verschieben geplante Grenzöffnungen wie Australien.
Berechtigte Sorgen oder falscher Umgang?
Doch sind die Sorgen überhaupt berechtigt? Auch das Personal der Lufthansa äußert Bedenken. Die Airline will am 1. Dezember das Buy-on-Board-Menü “Onboard Delights” auch auf der Langstrecke einführen und zudem andere Serviceleistungen ebenfalls hochfahren. Die Belegschaft der größten deutschen Airline kritisiert indes den Zeitpunkt der Einführung. Trotz steigender Passagierzahlen leidet auch die Lufthansa unter massiven Verlusten. Dementsprechend sei es nachvollziehbar, dass die Airline nach neuen Möglichkeiten Ausschau hält, zusätzliche Einnahmen zu generieren. Die Personalvertretung verweist indes auf die Empfehlungen der EASA, wozu sich auch die Lufthansa bekannt hat. Demnach sollen jegliche Kontaktpunkte unter Besatzungsmitgliedern und mit Passagieren an Bord nach Möglichkeit eingeschränkt werden.
Während sich der Virologe Drosten besorgt zur neuen Virusvariante Omikron äußert und valide Daten der kommenden Tage und Wochen abwarten möchte, weist der Hamburger Virologe Schmidt-Chanasit die Wirksamkeit von Grenzschließungen im Interview mit airliners.de von der Hand. Diese würden die Ausbreitung bestenfalls verlangsamen. Tatsächlich sieht man bereits jetzt, dass sich die neue Variante weltweit ausbreitet – selbst in Ländern, die auch weiterhin sehr restriktive Einreisebestimmungen durchsetzen. Zudem könnten die ersten Fälle bereits vor einigen Monaten auch hierzulande aufgetreten sein. Dementsprechend kritisiert auch der Präsident Südafrikas das Vorgehen vieler Länder, die die erneute Grenzschließung vorantreiben. Er verweist auf das Abkommen der G7-Staaten, unterentwickelte Staaten nicht den ohnehin schlechten wirtschaftlichen Voraussetzungen mit Grenzschließungen auszusetzen und fordert mehr Impfstoff für den Kontinent.
Fazit zu den aktuellen Entwicklungen
Nach einem starken Sommer machte sich Zuversicht breit. Die Passagierzahlen stiegen kontinuierlich an, auch durch Grenzöffnungen wurden – wie in den USA – vorangetrieben. Airlines wie die Lufthansa, die massiv von transatlantischen Verkehr zwischen Europa und Nordamerika abhängig sind, sahen sich bereits wieder auf einem guten Weg. Die neue Virusvariante Omikron könnte dem Aufschwung jedoch einen Strich durch die Rechnung machen und eine ohnehin bereits vulnerable Branche endgültig zurückwerfen. Dementsprechend warnen Airline-Chefs bereits jetzt vor den Auswirkungen der Grenzschließungen weltweit – und das nicht ohne Grund. Experten unterstreichen die ungerechtfertigte Vorgehensweise und verweisen darauf, dass Grenzschließungen nicht die Wirksamkeit garantieren würden, die man suggeriert oder erwarten würde.