Die Deutsche Bahn ist so unpünktlich wie nie und Verspätungen sind an der Tagesordnung. Doch was viele nicht wissen ist, dass die Bahn eine sehr interessante Kulanzregel bietet – wir werfen ein Blick aufs Detail und einen Mythos, der sich als falsch erweist.

Es ist nicht immer ganz einfach, zu durchschauen, welche Rechte man als Fahrgast oder generell als Reisender hat. So gibt es jeweils auf Ebene der Europäischen Union Verordnungen für die Fluggastrechte sowie die Fahrgastrechte, allerdings sind diese recht umfangreich und keineswegs jedem bekannt.

Weiterhin können die Unternehmen selbst natürlich auch noch über diese Regeln hinausgehen. Positiv fällt dabei ausgerechnet die Deutsche Bahn auf, wie wir Euch in unserem neuen Guide zum Verbraucherschutz auf Reisen vorstellen möchten!

Welche Kulanzregelungen gibt es bei der Bahn

Als Fahrgast oder Flugreisender hat man deutlich mehr Rechte als man im ersten Moment annehmen mag, was immer wichtiger wird. Schon länger ist bekannt, dass die Bahn viele Probleme mit Unpünktlichkeit hat. Leider machen in der Praxis nur sehr wenige Reisende von Ihren Fahrgastrechen Gebrauch, was teils an einer schwierigen Durchsetzbarkeit liegt, teils aber auch an fehlender Information.

Bei der Bahn kommt es regelmäßig zu Verspätungen

Bei der Deutschen Bahn geht es insbesondere um Letzteres, denn sowohl die Regeln in der Theorie als auch die Handhabung in der Praxis sind vergleichsweise einfach. Dennoch stehen Reisende oft lange in der Schlange oder am Bahnsteig, obwohl sie bereits auf dem Weg zu ihrem Ziel sein könnten.

Die 20 Minuten Kulanzregel

Konkret können Reisende ohne zusätzliche Bestätigung einfach mit einem anderen Zug weiterfahren – unabhängig vom Tickettyp oder der Zugbindung – wenn eine Verspätung von mehr als 20 Minuten am Zielbahnhof zu erwarten ist.

Ab 20 Minuten greift bei der DB die Kulanzregel

Das klingt einfach, aber ist es das auch in der Praxis? Kurioserweise ja, denn wenngleich ich selbst bereits vielfach erlebt habe, dass an diese Regelung keiner glaubt, ist es bei Verbindungen im Fernverkehr tatsächlich ganz einfach.

Das liegt auch daran, dass man die Regelung sehr übersichtlich und klar formuliert auf der Webseite der Deutschen Bahn findet und im Zweifel immer vorzeigen kann. Hier heißt es simpel formuliert:

Wenn zu erwarten ist, dass Sie Ihren Zielbahnhof (laut Fahrkarte) mit einer Verspätung von mindestens 20 Minuten erreichen, können Sie Ihre Fahrt bei nächster Gelegenheit oder zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen. Dabei müssen Sie nicht zwingend die gleiche Route nehmen wie ursprünglich geplant, lediglich der Zielbahnhof muss übereinstimmen.

Sie können auch andere, nicht reservierungspflichtige Züge nutzen. Haben Sie ein Ticket mit Zugbindung, ist diese aufgehoben. Dafür benötigen Sie keine gesonderte Bestätigung des Zugbegleiters.

Information zu Verspätungen auf der Webseite der Deutschen Bahn

Wichtig ist hier noch ein Blick auf die genaue Formulierung, denn die Rede ist von der erwarteten Verspätung am Zielbahnhof und nicht der Verspätung am Abfahrtsbahnhof. So kann es theoretisch sein, dass ein um 30 Minuten verspäteter Zug, der in Berlin startet, mit nur noch 10 Minuten Verspätung in München ankommt.

Pünktlichkeit der Deutschen Bahn bis Januar 2024 (Quelle: Deutsche Bahn)

Wenngleich es hier an einer klaren Regelung fehlt, habe ich in der Praxis noch nie Probleme erlebt, bei einer Verspätung ab angezeigten 25 Minuten am Abfahrtsbahnhof einfach einen anderen Zug zu nehmen.

Mein IC ist ausgefallen, kann ich einen ICE nutzen?

Wie oben schon aufgezeigt, entfällt bei einer zu erwartenden Verspätung von mindestens 20 Minuten am Zielbahnhof die Zugbindung. In diesem Fall könnt Ihr, auch wenn Ihr eine IC-Fahrkarte gelöst habt, einen ICE zum Zielort nutzen. Umgekehrt ist dies ebenfalls möglich.

Beachten solltet Ihr jedoch, dass Eure ursprüngliche Sitzplatzreservierung für den regulären Zug im Ersatzzug keine Gültigkeit hat. Habt Ihr also Sitzplatz 82 im IC nach Hamburg reserviert, könnt Ihr nicht einfach Sitzplatz 82 im ICE nach Hamburg nutzen. Auch hierfür könnt Ihr jedoch eine Entschädigung beantragen.

Bei einigen Verspätungen oder Zugausfall ist die Zugbindung aufgehoben

Ferner gilt: Wenn die DB nicht innerhalb von 100 Minuten nach der fahrplanmäßigen Abfahrtszeit des verspäteten oder ausgefallenen Zuges über die Möglichkeiten der Weiterreise informiert, kann die Reise auch mit anderen Zügen (z.B. Flixtrain, Nightjet), einem Reisebus oder einem Bus des Regionalverkehrs fortgesetzt werden.

Die dadurch entstandenen Kosten werden Euch über das Servicecenter Fahrgastrechte erstattet. Beachtet dabei, dass diese Anträge auf Notwendigkeit und Angemessenheit überprüft werden und anschließend über die Bewilligung entschieden wird.

Gilt diese Regelung für alle Ticketarten?

Grundsätzlich gilt die 20 Minuten Regelung für alle Arten von Tickets, einschließlich Sparpreis- und Flexpreis-Tickets. Bei Sparpreis-Tickets ist die Zugbindung entsprechend aufgehoben, sobald die Verspätung am Zielbahnhof mindestens 20 Minuten beträgt.

Was ist, wenn ich eine Umsteigeverbindung gebucht habe?

Auch wenn einzelne Züge innerhalb einer Buchung weniger als 20 Minuten Verspätung haben, greift die Regel. Voraussetzung ist lediglich eine zu erwartende Verspätung von mindestens 20 Minuten am Zielbahnhof. Ist dies gegeben, könnt Ihr einfach in einen Alternativzug umsteigen.

Fernzüge versuchen Ihre Verspätungen bei Abfahrt im Fahrtverlauf auszugleichen

Auch bei verspäteten Anschlusszügen greift die Regel. Hier könnt Ihr sowohl einen anderen Zug nach Kiel nutzen als auch Eure Entschädigungsansprüche geltend machen. Eine Beispielsituation zeigt das Eisenbahn-Bundesamt auf:

Fahrgast F möchte mit dem Zug von Darmstadt nach Kiel fahren. Die Fahrkarte hat 117 Euro gekostet. Der Regionalzug soll um 13.48 Uhr in Frankfurt am Main ankommen; der vorgesehene Anschlusszug soll um 13.58 Uhr nach Kiel abfahren und dort um 18.46 Uhr ankommen. Der Regionalzug hat in Frankfurt am Main aber 30 Minuten Verspätung, so dass F den Zug nach Kiel verpasst. F kommt erst um 20.02 Uhr in Kiel an. Da F sein Ziel mehr als 60 Minuten verspätet erreicht, erhält er 25 % des Fahrpreises, also 29,25 Euro, erstattet. (Quelle: EBA)

Ist ein Stempel oder Nachweis durch einen Bahn-Mitarbeiter notwendig?

Die kurze Antwort lautet nein: Meiner Erfahrung nach ist das Personal in solchen Fällen immer locker mit der Situation umgegangen. Einen Nachweis über die zugrundeliegende Verspätung musste ich noch nie vorweisen, die reine Information über den Sachverhalt hat jedes Mal ausgereicht.

Dennoch lohnt es sich, auf Nummer sicher zu gehen, wenngleich die Mitarbeiter der Deutschen Bahn digital prüfen können, ob ein Zug verspätet ist oder nicht. Ausreichend dafür ist ein Screenshot aus dem DB-Navigator, auf dem deutlich wird, dass der Zielbahnhof mehr als 20 Minuten nach der geplanten Ankunftszeit erreicht wird.

Bei einer Umsteigeverbindung ist es ratsam, einen Screenshot zu machen, der belegt, dass der Anschlusszug voraussichtlich verpasst wird. Besonders bei stark frequentierten Routen kann es hilfreich sein, zusätzlich einen Screenshot zu machen, der zeigt, dass die nächstmögliche Verbindung zu einer Ankunftsverspätung von über 20 Minuten führen würde.

Im DB Navigator könnt Ihr aktuelle Verspätungen einsehen

Alternativ könnt Ihr auch auf traditionelle Methoden zurückgreifen: Ein Foto der Anzeigetafel am Bahnhof, das eine erwartete Verspätung von mehr als 20 Minuten dokumentiert, ist ebenso zweckdienlich.

American Express Reisekomplettschutz von AXA Partners

 
  • Reiseabbruch- und Reiserücktrittsversicherung
  • Auslandskrankenversicherung mit umfangreichem Schutz
  • Keine American Express Kreditkarte notwendig
  • Viele weitere Versicherungen: Schlüssel, Tickets, Gepäck, Bargeld, Haftpflicht

Ein reiner Mythos ist hingegen, dass man für die Nutzung eines anderen Zuges bei einem Ticket mit Zugbindung (z.B. Sparpreis), auch bei einer Verspätung immer einen Stempel oder einen anderen Nachweis durch einen Bahn-Mitarbeiter benötigt. Das stimmt so nicht und wurde mittlerweile von der Bahn selbst deutlich auf Ihrer Webseite formuliert:

Haben Sie ein Ticket mit Zugbindung, ist diese aufgehoben. Dafür benötigen Sie keine gesonderte Bestätigung des Zugbegleiters.

Information auf DB Webseite

Verpasste Anschlusszüge durch das Anstehen im Reisezentrum sollten so für viele der Vergangenheit angehören.

Bei Problemen mit Eurer Reiseverbindung helfen Euch die Fahrgastrechte

Komplizierter wird es, wenn das ursprünglich gebuchte Ticket für den Nahverkehr und nicht den Fernverkehr ist. Solltet Ihr dann auf einen Fernverkehrszug ausweichen wollen, muss für die Strecke erst ein Fernverkehrsticket gelöst werden, das Euch dann später zurückerstattet wird.

Diese Regelung wiederum greift nicht bei besonders stark reduzierten Tickets wie etwa dem Deutschland Ticket, sodass Ihr in diesem Fall die Ausweichverbindung im Fernverkehr selbst zahlen müsstet.

Deutsche Bahn geht über gesetzliche Regelungen hinaus

Die Bahn wird gerne gescholten, allerdings muss man dem Unternehmen mit Blick auf die Regelung bei Verspätungen auch Lob zukommen lassen.

Die EU beschließt eine Verordnung zu den Fahrgastrechten

Die EU-Verordnung zu den Fahrgastrechten zeigt nämlich auf, dass erst bei einer Verspätung von mindestens 60 Minuten eine Alternative angeboten werden muss:

Muss entweder bei der Abfahrt oder im Falle eines verpassten Anschlusses oder eines Zugausfalls vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass bei Ankunft am Zielort gemäß Beförderungsvertrag die Verspätung 60 Minuten oder mehr betragen wird, so bietet das Eisenbahnunternehmen, das den verspäteten oder ausfallenden Dienst betreibt, dem Fahrgast unverzüglich an, sich für eine der folgenden Möglichkeiten zu entscheiden, und trifft die dazu notwendigen Vorkehrungen:

a) Erstattung des vollen Fahrpreises unter den Bedingungen, zu denen er entrichtet wurde, für den Teil oder die Teile der Fahrt, der bzw. die nicht durchgeführt wurde bzw. wurden, und für den Teil oder die Teile, der bzw. die bereits durchgeführt wurde bzw. wurden, wenn die Fahrt nach den ursprünglichen Reiseplänen des Fahrgastes sinnlos geworden ist, gegebenenfalls zusammen mit einer Rückfahrt zum ersten Ausgangspunkt bei nächster Gelegenheit;

b) Fortsetzung der Fahrt oder Weiterreise mit geänderter Streckenführung unter vergleichbaren Beförderungsbedingungen bis zum Zielort bei nächster Gelegenheit;

c) Fortsetzung der Fahrt oder Weiterreise mit geänderter Streckenführung unter vergleichbaren Beförderungsbedingungen bis zum Zielort zu einem späteren Zeitpunkt nach Wahl des Fahrgastes.

EU-Verordnung zu den Fahrgastrechten

Fahrgastrechte der Deutschen Bahn

Neben der 20 Minuten Kulanzregel formuliert die Deutsche Bahn auch Fahrgastrechte ab einer Verspätung von 60 Minuten:

  • Möglichkeiten bei über 60 Minuten erwarteter Verspätung:
    • Volle Erstattung: Nichtantritt der Reise mit vollständiger Erstattung des Fahrkartenpreises.
    • Teilerstattung: Abbruch der Reise mit Erstattung für den nicht genutzten Streckenanteil.
    • Rückreise mit Erstattung: Abbruch der Reise und Rückkehr zum Ausgangsbahnhof mit vollständiger Erstattung, wenn die Reise keinen Sinn mehr macht. Die Erstattung erfolgt beim Servicecenter Fahrgastrechte.
  • Entschädigung bei Verspätung:
    • 25 Prozent Entschädigung: bei einer Verspätung von 60 bis 119 Minuten am Zielbahnhof.
    • 50 Prozent Entschädigung: bei einer Verspätung von 120 Minuten oder mehr.

Um bei der Deutschen Bahn eine Entschädigung zu beantragen, könnt Ihr entweder das Online-Formular in Eurem Kundenkonto auf bahn.de oder der DB Navigator App nutzen.

Am Einfachsten lassen sich Entschädigungen über die DB Navigator App beantragen. Ich selbst nutze die App immer, wenn ich einen Entschädigungsantrag stelle.

Samer von reisetopia

Alternativ könnt Ihr das Fahrgastrechte-Formular verwenden, das Ihr online herunterladen könnt oder in einem DB-Reisezentrum erhaltet. Das ausgefüllte Formular muss anschließend per Post an das Servicecenter Fahrgastrechte gesendet oder in einem Reisezentrum abgegeben werden.

Fahrgastrechte bei FlixTrain

Der Konkurrent Flixtrain hingegen bietet keine 20 Minuten Kulanzregel. Hier habt Ihr lediglich Anspruch auf die nachfolgend formulierten Fahrgastrechte von Flixtrain ab einer Verspätung von 60 Minuten am Zielbahnhof.

Flixtrain bietet weniger kulante Fahrgastrechte

Flixtrain formuliert die Fahrgastrechte wie folgt:

  • Erreichung des Zielbahnhofs mit über 1 Stunde Verspätung:
    • Stornierungsoption: Reiseabbruch mit vollständiger Erstattung des Fahrkartenpreises oder des Preises für den nicht genutzten Teil der Reise.
    • Rückreisemöglichkeit: Anspruch auf eine Rückfahrt zum Ausgangspunkt, wenn der Reisezweck durch die Verspätung hinfällig wird.
    • Alternative Beförderung: Fortsetzung zum Zielbahnhof beim nächstmöglichen Termin oder nach eigener Wahl zu einem späteren Zeitpunkt, einschließlich Ersatztransport bei Betriebsunterbrechungen.
  • Entschädigungsanspruch bei Fortsetzung der Reise:
    • 25 Prozent Entschädigung: bei einer Verspätung von 1 bis 2 Stunden.
    • 50 Prozent Entschädigung: bei einer Verspätung von über 2 Stunden.
  • Kein Entschädigungsanspruch: Wenn bereits vor dem Fahrkartenkauf über eine Verspätung informiert wurde.

Wann erhalte ich keine Entschädigung?

Die Entschädigungs-Regelung findet keine Anwendung bei Verspätungen, die bereits bei der Buchung bekannt waren oder bei außerordentlichen Ereignissen, bei denen die Bahn keinen Einfluss auf die Verspätung hat (z.B. Betreten der Gleise, Kabeldiebstahl, Polizeieinsätze oder Bombenentschärfungen.)

Die 20 Minutenregelung hebt die Zugbindung auf

Fällt der Zug aufgrund eines Streiks aus, bleibt der Fahrgastrechtsanspruch bestehen. Die 20 – Minuten Kulanz Regel gilt jedoch immer. Habt Ihr eine Fahrkarte erworben, die Euch von A nach B bringen soll, habt Ihr einen Anspruch darauf, auch dort anzukommen, ungeachtet der Gründe für die Verspätung.

Fazit zur Kulanzregelung der Deutschen Bahn

Wer mit einem EC, IC oder einem ICE unterwegs ist, kann ab nur 20 Minuten Verspätung und ohne gesonderte Bestätigung durch die Bahn einen anderen Fernverkehrszug nehmen, auch mit alternativer Streckenführung. Wer einen IC Fahrschein hat, kann dann auch einen ICE nutzen. Das gilt auch für Tickets mit Zugbindung und funktioniert auch in der Praxis problemlos. Das Anstehen im Reisezentrum sollte so für viele der Vergangenheit angehören – gerade in Zeiten immer weiter zunehmender Verspätungen dürfte das ein Segen sein!

Ihr habt spannende Informationen, Euch fehlen wichtige Themen oder Ihr habt einfach eine Anregung für neue Content Ideen? Dann sendet sie uns über dieses Formular!

Autor

Moritz liebt nicht nur Reisen, sondern auch Luxushotels auf der ganzen Welt. Mittlerweile konnte er über 500 verschiedene Hotels testen und dabei mehr als 100 Städte auf allen Kontinenten kennenlernen. Auf reisetopia lässt er Euch an seinen besonderen Erlebnissen teilhaben!

Fragen? In der reisetopia Club Lounge auf Facebook beantworten wir Eure Fragen.