In den letzten Wochen häuften sich auf allen Wirtschafts- und Reiseportalen die Berichte über die finanzielle Lage der Lufthansa Group – auch hier bei reisetopia. Doch wie sind die Quartalsergebnisse einzuordnen und was bedeuten sie für die Zukunft der Airline? Was wird in der Berichterstattung gerne ausgelassen und wie schätzte die Airline die eigene Entwicklung dieses Jahres noch zu Beginn ein? All diese Fragen habe ich mir immer wieder gestellt und bin daher tiefer in die Recherche eingestiegen – was ich dabei herausgefunden habe, zeige ich Euch in diesem Artikel.

Zunächst überraschte die Lufthansa Group Ende Oktober damit, dass sie kurz vor der eigentlich geplanten Veröffentlichung schon vorläufige Quartalszahlen bereitstellte und dass die dort ausgewiesenen Verluste nicht ganz so stark zugenommen hatten, wie manch einer vermutete – Grund war der verhältnismäßig gute Sommer. Jetzt, nachdem die Neuigkeiten etwas gesackt sind, Ruhe eingekehrt ist und die Welt verstärkt auf Themen wie die US-Wahl, die Impfstoff-Entwicklung und die bevorstehende Weihnachtszeit blickt, habe ich mich noch einmal intensiver mit den Finanzberichten der Lufthansa Group beschäftigt und versuche einige Punkte, die mir dabei als besonders interessant vorkamen, noch einmal detaillierter zu beleuchten, einzuordnen und zu kommentieren.

Minus 1,3 Milliarden Euro im dritten Quartal

Aufgrund dessen, dass die Lufthansa Group eine Aktiengesellschaft ist, unterliegt sie strengen Offenlegungs- und Publikationspflichten. Diese ermöglichen es einem jeden Bürger, Einblick in die Geschäftsberichte der Gruppe zu erhalten. Die Lufthansa Group veröffentlicht dafür unter anderem auf ihrer Webseite unter dem Punkt “Investor Relations” die wichtigsten Informationen über die finanzielle aber auch strategische Entwicklung des Konzerns. Hier hat man Einblick in alle Geschäfts- und Quartalsberichte seit 2008 und genau auf dieser Seite habe ich den Vorjahresbericht und den aktuellen Quartalsbericht noch einmal genauer unter die Lupe genommen.

Quelle: Lufthansa Group

Im dritten Quartal, also in den Monaten Juli bis September, machte die Lufthansa Group – wie ja bereits bekannt ist – konzernübergreifend einen operativen Verlust von rund 1,3 Milliarden Euro. Addiert man die beiden vorherigen Quartale hinzu, entstanden in 2020 bisher operative Verluste in Höhe von 4,2 Milliarden Euro. Hierzu sei gesagt, dass diese Werte die Kennzahl “Adjusted EBIT (Earnings before Intrests and Taxes)” abbilden – also den angepassten Gewinn vor Zinsen und Steuern, bereinigt um Sondereffekte – nicht also das finale Konzernergebnis. Dies ist allerdings vollkommen legitim, da der operative Geschäftserfolg ja nicht durch die gezahlten Steuern oder Zinsen definiert wird. Der “EBIT” wird gerne als Vergleichsgröße genutzt, da die Effekte der Steuern und Zinsen, die sich bei verschiedenen Unternehmen aus der gleichen Branche stark unterscheiden können, herausgerechnet werden und somit bessere Vergleichbarkeit gegeben ist.

Die Lufthansa Group nutzt hier allerdings nicht nur den “EBIT”, sondern einen “Adjusted EBIT” – also sind noch an irgendeiner Stelle Anpassungen vorgenommen worden, die vermutlich Einmaleffekte darstellen und daher nicht zur Vergleichbarkeit beitragen würden, da nicht zu erwarten ist, dass solche Effekte in Zukunft wieder in dem Ausmaß vorkommen. Diese Effekte müssen dennoch selbstverständlich angegeben sein und ich finde sie an dieser Stelle interessant zu erwähnen, da diese “Adjustments” in diesem Jahr nicht unerheblich waren. In den letzten neun Monaten wurden Abschreibungen auf Flugzeuge und Nutzungsrechte an 110 Flugzeugen vorgenommen, die man aufgrund der Krise in einen Langzeitparkmodus überführt hat. Diese Abschreibungen beliefen sich dabei auf über 1,4 Milliarden Euro. Ebenfalls in einmalig großer Höhe abgeschrieben wurden Reservetriebwerke und Flugsimulatoren, die daher auch aus der Berechnung des regelmäßigen operativen Ergebnisses herausgenommen wurden.

Die Erwähnung an dieser Stelle soll keinerlei Kritik an der Rechnungslegung darstellen oder den Vorwurf erwecken, dass Dinge verschwiegen werden, sondern lediglich darauf hinweisen, dass hinter einem Quartalsverlust von 1,3 Milliarden Euro – beziehungsweise 4,2 Milliarden Euro über die letzten neun Monate – noch mehr steckt, als auf den ersten Blick deutlich wird. Schaut man nämlich nur auf den EBIT – ohne die Adjustments herauszurechnen – liegt der Quartalsverlust bei 2,4 Milliarden Euro und der Verlust von Januar bis September bei 5,9 Milliarden Euro.

Was man am Anfang des Jahres noch erwartet hat

Besonders spannend finde ich es, Jahresberichte in der Retrospektive zu lesen. Denn neben dem großen Zahlen-basierten Teil, der für viele vermutlich abschreckend wirkt, gibt es bei großen Konzernen auch öffentlich zugängliche Chancen- und Risikoberichte sowie Aussagen über die Zukunftsprognosen. Meiner Meinung nach ist es wichtig zu rekapitulieren, was am Anfang eines Jahres für das kommende Jahr vorausgesagt wurde und inwiefern das dann eingetreten ist. Daher habe ich einen Blick in den Geschäftsbericht 2019 geworfen. Dieser wurde Anfang März 2020 veröffentlicht – also zum Zeitpunkt des Aufflammens des Pandemiegeschehens.

Wenn man die Einleitung, beziehungsweise den Brief des Vorstands liest, fühlt man sich wie in eine andere Zeit zurückversetzt:

2019 war erneut ein anspruchsvolles Jahr für die globale Airline-Industrie. Die Abschwächung des weltweiten Wirtschaftswachstums, Handelskonflikte, Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Brexit sowie Überkapazitäten vor allem im deutschen Markt und der daraus resultierende Preisverfall haben auch die Geschäftsentwicklung der Lufthansa Group beeinflusst.

Brief des Vorstands an die Aktionäre aus dem Geschäftsbericht 2019

Aus der heutigen Perspektive kann man vermutlich nur noch müde darüber lächeln, das Jahr 2019 als anspruchsvoll bezeichnet zu haben und die genannten Probleme scheinen in der heutigen Situation kaum mehr eine Medienmitteilung wert zu sein. Aber wie dem auch sei, man ahnte dennoch zu diesem Zeitpunkt bereits, dass das Jahr eine Reihe an Schwierigkeiten mit sich bringen könnte. Diese wurden an anderer Stelle des Geschäftsberichtes dann noch weitergehend beleuchtet.

Auf den ersten Blick war ich allerdings überrascht, denn unter den Chancen und Risiken stehen “Pandemische Erkrankungen” erst an letzter Stelle, nach “Unsichere wirtschaftliche Rahmenbedingungen” wie etwa durch den Brexit oder “Krisen, Kriege, politische Unruhen oder Naturkatastrophen”, womit unter anderem Terroranschläge gemeint sind.

An anderer Stelle, im Prognosebericht, wird dann aber deutlicher, dass die Coronapandemie als wirklich große Herausforderung angesehen wird. So wird ein Branchenausblick gegeben, bei dem selbst das Worst-Case Szenario besser klingt, als sich die Lage dann schlussendlich entwickelt hat.

In einem Worst-Case-Szenario, welches eine extensivere Ausbreitung des Coronavirus unterstellt, rechnet die IATA mit einem Umsatzrückgang von 113 Mrd. USD, was einem Rückgang von 19% entspricht. […] Für die zehn wichtigsten westeuropäischen Märkte inklusive Deutschland wird in diesem Szenario ein Rückgang der Passagierzahlen um 24% und ein entsprechender Rückgang des Umsatzes von 37 Mrd. USD erwartet.

Prognosebericht der Lufthansa aus dem Geschäftsbericht 2019

Man sieht deutlich, dass 2020 selbst das Worst-Case-Szenario deutlich übertroffen hat und dieses um Längen zu positiv gerechnet war. Aktuell liegt die Prognose der IATA zum Rückgang des Gesamtverkehrs bei 66 Prozent – und wurde dabei immer und immer weiter nach unten korrigiert.

Hinsichtlich einer Finanzprognose für das kommende Jahr mag man sich bereits zum Zeitpunkt der Erstellung des Jahresberichtes 2019 nicht festlegen, sondern versichert, dass – sofern sich belastbare Prognosen errechnen lassen – diese in den Quartalsberichten 2020 erläutert werden.

Der Absatz zu den Chancen und Risiken des kommenden Jahres 2020 endet dann mit einer Aussage, die treffender wohl nicht hätte sein können: “Es besteht somit das Risiko, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Virusausbreitung schwerwiegender sind als prognostiziert”. Wie recht man damit haben sollte, spiegelt sich dann in den Quartalszahlen des Jahres 2020 wider.

Was die nächsten Monate bringen können

Im Chancen- und Risikobericht des dritten Quartals 2020 hat die Corona-Pandemie einen ganz anderen Stellenwert. Alle zuerst genannten Punkte betreffen nun die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen, und lediglich in einer Randnotiz werden die zum Anfang des Jahres noch so präsenten Themen wie der Brexit angeschnitten.

Unverändert ist auch, dass noch kein detaillierter Finanzausblick für das Geschäftsjahr 2020 genannt wird und man sich weiterhin auf die Aussagen aus dem März beruft, in denen man von einem deutlich niedrigeren operativen Ergebnis ausgeht, dessen Höhe man allerdings nicht einzuschätzen vermag. Dass diese Aussage zu einem so weit fortgeschrittenen Punkt im Jahr immer noch wiederholt wird, zeigt, mit wie viel Unsicherheit man dem letzten Quartal des Jahres 2020 entgegenblickt. Denn auch das wurde im Quartalsbericht deutlich: Die Lage hat sich nach einer leichten Erholung im Sommer wieder dramatisch verschlechtert. Daher ist sich die Lufthansa Group auch bewusst, dass “die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Branche und das Unternehmen […] sich aufgrund der Corona-Pandemie weltweit in einem noch nie dagewesenen Maße verschlechtert” haben.

Dennoch gibt sich der Konzern hinsichtlich seines Fortbestandes und seiner Liquiditätslage optimistisch.

Der Konzern ist in der Lage, auch weiteren Belastungen der Corona-Pandemie standzuhalten. In den kommenden Wintermonaten wird die Nachfrage nach Flugreisen aufgrund des globalen Infektionsgeschehens und der damit verbundenen Reisebeschränkungen voraussichtlich niedrig bleiben. Die Konzernairlines werden nach aktueller Planung im vierten Quartal nur maximal 25% der Vorjahreskapazität anbieten, um sicherzustellen, dass der Flugbetrieb auch weiterhin einen positiven Cashbeitrag leistet. Gleichzeitig arbeitet die Lufthansa Group intensiv an Restrukturierungsmaßnahmen in allen Geschäftsbereichen, um kurz- und mittelfristige Kosteneinsparungen zu erzielen und die operativen Mittelabflüsse zu minimieren.

Auszug aus der Ad-hoc-Meldung zu den vorläufig veröffentlichten Quartalszahlen

Die Liquidität lag am Ende des dritten Quartals sogar über dem Vorjahresniveau – dennoch ist das nur auf den ersten Anschein eine positive Nachricht, denn die Liquidität stammt zum Großteil aus den staatlichen Stabilisierungspaketen (diese wurden zu Ende September allerdings noch nicht vollständig abgerufen). Gleichzeitig liegt die Nettokreditverschuldung 34 Prozent über der des Vorjahreszeitraums und die Eigenkapitalquote ist stark gesunken.

Zwar konnten in den vergangenen Monaten die operativen Aufwendungen erheblich gesenkt werden, es ist aber dennoch zu erwarten, dass die Verluste weiterlaufen und womöglich im vierten Quartal noch weiter ansteigen. Auch das Q1 des Jahres 2021 wird vermutlich nicht den großen Befreiungsschlag bringen und so muss man sich fragen, wie lange das Liquiditätspolster unter den aktuellen Voraussetzungen noch hält oder ob irgendwann neue Maßnahmen nötig sind.

Abschließende Worte zu den Quartalsergebnissen der Lufthansa

Nachdem ich mich eingehend mit den Quartals- und Geschäftsberichten der Lufthansa Group auseinandergesetzt habe, muss ich sagen, dass sich viele meiner Fragen vom Anfang geklärt haben, ich aber an der einen oder anderen Stelle doch überrascht wurde. So finde ich es wirklich erwähnenswert, dass der Konzern selbst im dritten Quartal keine konkreten Finanzprognosen für das Jahresende zu geben vermag, obwohl es sich nun wirklich langsam dem Ende zuneigt. Darüber hinaus – und das ist auch das, was ich am spannendsten an der Recherche fand – ist es bemerkenswert, wie sich das Narrativ rund um das Coronavirus vom Geschäftsbericht 2019 bis zum aktuellen Quartalsbericht gewandelt hat und wie ernst die Lage auf allen Seiten genommen wird und wie optimistisch selbst die Worst-Case-Szenarien zu Beginn des Jahres noch gewesen sind. In Hinblick auf die zukünftige Entwicklung sind die aktuellen Zahlen zwar besorgniserregend, aber unter diesen Umständen bleibt der Konzern zumindest für die nächste Zeit handlungsfähig. Auch scheinen die ersten Restrukturierungsmaßnahmen, die den Mittelabfluss stoppen sollen, zu wirken und es bleibt zu hoffen, dass auch langfristigere Maßnahmen bald anfangen Früchte zu tragen.

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Autorin

Wenn Anna unterwegs ist, ist sie in ihrem Element. Selten ist sie mehr als ein paar Tage am selben Ort. Der nächste Kurztrip oder eine Fernreise stehen immer schon in ihrem Kalender. Nach ihrem Tourismus-Studium konnte sie ihre Leidenschaft zum Beruf machen und teilt auf reisetopia.ch ihre Erfahrungen, Tipps und News aus der Reisewelt mit euch.

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