Die Bundesregierung will gemeinsam mit den Reiseveranstaltern alle Kunden zu Kreditoren machen – und damit das juristische Rückwirkungsverbot umgehen. Dies ist in vielerlei Hinsicht der falsche Schritt, zumal es andere Mittel gibt, die darbende Branche zu retten.

Das Coronavirus sorgt in ganz Deutschland für eine nie dagewesene Situation. Besonders stark betroffen ist davon die Reisebranche, denn an Reisen mag derzeit niemand denken. Es ist entsprechend absolut nachvollziehbar, dass über Staatshilfen und verschiedene Ideen zur Unterstützung der Branche nachgedacht wird. Auf Druck der Reiselobby hat sich die Bundesregierung allerdings zu einem falschen Schritt hinreisen lassen: Für alle vor dem 8. März 2020 sollen vorbehaltlich entsprechender Anpassungen des EU-Rechts nur noch Gutscheine statt Erstattung angeboten werden.

Verbraucher werden zu ungesicherten Kreditoren der Airlines

Es steht außer Frage, dass die Anbieter von Pauschalreisen genauso wie Fluggesellschaften in der aktuellen Situation Millionen oder gar Milliarden verlieren – jeden Monat. Es ist genauso richtig, dass eine Erstattung aller bereits eingegangen Kundenzahlungen die meisten Anbieter in die Insolvenz führen würde. Doch das ist kein Grund, um die geltende Rechtslage nachträglich zu beugen und damit Verbraucher unfrewillig zu Kreditoren der Fluggesellschaften und Pauschalreiseanbieter zu machen. Doch es wird noch schlimmer: Im Beschluss der Bundesregierung ist zwar bei Pauschalreisen eine Insolvenzabsicherung vorgesehen, ggf. durch eine staatliche Garantie, nicht aber bei Fluggesellschaften.

Das würde konkret bedeuten, dass Verbraucher nicht nur einen temporären Kredit an die Airlines geben, dieser wäre auch nicht besichert. Gerade in Zeiten, in denen die Zukunft von Fluggesellschaften so unsicher ist wie nie zuvor, ist dies absolut inakzeptabel. Ein Kredit mit Insolvenzabsicherung mag zumindest mit einem Blick auf die schwierige Lage der Branche noch irgendwie nachvollziehbar, doch ohne Absicherung durch den Staat würden Verbraucher auf einmal zu einer spekulativen Anlage in eine Airline gezwungen, ohne dies zu wollen. Diese “Anleihe” würden Passagiere ohne eine vorzeitige Einlösung für einen Flug laut dem Beschluss zwar nach dem 31. Dezember 2021 ausgezahlt bekommen, doch ob alle Fluggesellschaften dann überhaupt noch existieren, steht in den Sternen.

Warum aus moralischen Gründen ein Verzicht auf die Forderung zugunsten eines Gutscheins dennoch der richtige Weg sein könnte, habe ich in einem anderen Beitrag argumentiert.

Härtefallklausel könnte zu bürokratischem Monster werden

Die Bundesregierung sieht in ihrem Beschluss unter anderem auch eine Härtefallklausel vor. Sofern ein Gutschein statt einer Erstattung nicht zumutbar ist, muss das Geld innerhalb der üblichen Fristen von sieben bis vierzehn Tagen zurückgezahlt werden. Doch die Härtefallklausel wirkt in dieser Situation fast ein wenig fehl am Platz: Muss ein Verbraucher nun nachweisen, dass er keinen Kredit an eine Fluggesellschaft vergeben kann, obwohl er das sowieso nicht will? Wie genau soll ein solcher Nachweis überhaupt aussehen und wie will der Gesetzgeber bestimmten, was wirklich ein Härtefall ist?

Die Zahl der Härtefälle könnte in der aktuellen Situation nämlich deutlich größer sein, als sich das Corona-Kabinett das möglicherweise gedacht haben könnte. Zwar ist es sicher richtig, dass die gebuchte Reise ansonsten ja stattgefunden hätte und Verbraucher das Geld sowieso nicht zwingend für ihren Lebensunterhalt gebraucht hätten – doch das war vor der Coronakrise. Diese ist nämlich eben nicht nur für die Fluggesellschaften und Veranstalter existenzbedrohend, sondern auch für viele Verbraucher.

Ist ein Härtefall also jeder, der Einnahmeeinbußen hinnehmen muss? Ist ein Härtefall jeder, der in Kurzarbeit muss? Ist ein Härtefall jeder, der seinen Arbeitsplatz verliert? Möglicherweise gibt es so viele Millionen Härtefälle, die dann jeweils teuer und gesondert geprüft werden müssen. Wer dieses bürokratische Monster stemmen soll, ist völlig unklar. Eine sinnvolle Definition zu finden, erscheint zudem enorm kompliziert, denn das Coronavirus sorgt eben dafür, dass sehr viele Menschen auf einmal dringend auf Geld angewiesen sind – und eben nicht nur die Reisekonzerne.

Rückwirkende Änderung der Rechtslage zerstört das Vertrauen

Genauso schlimm wie die Sache selbst ist allerdings auch der Vertrauensverlust in das geltende Recht. Jeder Verbraucher kann verstehen, dass in der Coronakrise Hilfen für Fluggesellschaften und auch für Reiseanbieter notwendig sind. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass die Rechtslage einfach nachträglich ausgehebelt werden sollte. Im deutschen Recht gibt es genauso wie im EU-Recht ein sogenanntes ein Verbot von echter Rückwirkung von Gesetzen – auch im Zivilrecht. Genau dies könnte in dieser Situation allerdings der Fall sein, denn die Rechtslage beim Vertragsabbruch sah ganz klar eine vollständige Erstattung bei einer Absage der Reise seitens der Airline oder des Veranstalters – auch bei höherer Gewalt wie etwa einer Pandemie – vor.

In Hinblick auf die Fluggastrechte hat die Europäische Kommission dies auch just vor wenigen Wochen im Zuge neuer Richtlinien noch einmal bestätigt. Die Rechtslage ist demnach eigentlich klar: Fluggesellschaften müssen erstatten, wenn sie ihren Sitz in der Europäischen Union haben oder ein Flug ab der Europäischen Union geht. Dasselbe gilt nach geltender Rechtslage auch für Pauschalreisen. Die Bundesregierung aber möchte, dass dies für alle vor dem 8. März 2020 gebuchte Reisen, die wegen des Coronavirus gebucht werden, verändert werden. Wie dies mit dem Verbot einer Rückwirkung von Gesetzen vereinbar sein soll, erschient in vielerlei Hinsicht fraglich. Der Vertrauensverlust seitens Verbrauchern, die sich bei der Buchung auf die geltende Rechtslage verlassen, kommt noch dazu.

Die einzige Begründung hierfür könnte eine Berufung auf zwingende Gründe des Gemeinwohls sein, doch ob die Rettung von Fluggesellschaften und Reiseveranstaltern solche sind, erscheint mehr als fraglich. Nur dann wäre eine echte Rückwirkung möglich. Rechtlich gangbar könnte noch eine Lösung mit einer unechten Rückwirkung sein – diese gibt es dann, wenn künftig belastende Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpfen. Hierzu allerdings heißt es vom Bundesverfassungsgericht:

“Die unechte Rückwirkung ist mit den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes jedoch nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.”

Ob eben das in diesem Fall gegeben ist, können selbstverständlich nur die Gerichte entscheiden. Klar ist aber: Juristisch wäre eine solche Rückwirkung von Gesetzen kritisch. Vertrauensbildend wäre sie aber in jedem Fall nicht, selbst wenn die Gerichte sie schlussendlich bestätigen sollten.

Staat könnte Airlines und Veranstalter ebenfalls entlasten

Der Beschluss der Bundesregierung erscheint auch deshalb besonders fraglich, weil es auch ganz andere Mittel zur Entlastung der Airlines und Veranstalter gegeben hätte. Laut Reuters müsste beispielsweise die Lufthansa knapp 3,5 Milliarden Euro im zweiten Quartal an Kunden zurückführen, wenn sie jeden Euro erstatten würden. Bei British Airways wären es 3 Milliarden Euro, bei Air France-KLM oder easyJet allerdings nur eine hohe dreistellige Millionenzahl. Für diese Ausfälle könnten die Nationalstaaten, also etwa Deutschland bei der Lufthansa oder Condor, in der Form von unverzinsten Krediten aufkommen – sie würde dann die Rolle übernehmen, die im aktuellen Beschluss für die Verbraucher vorgesehen ist.

Dadurch, dass es wohl sowieso zu Staatshilfen für die europäischen Airlines kommen wird, erschließt sich nicht, warum man nicht auch diesen Aspekt direkt über die Hilfen absichert. Besser als Verbraucher individuell zur Kasse zu bitten und ein bürokratisches Monster mit einer unklaren Härtefallregelung zu schaffen, wäre dies auf jeden Fall. Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt: Es geht gerade beim Thema Flugscheine nicht nur um in der Europäischen Union ansässige Fluggesellschaften, sondern auch um die Airlines, welche Tickets mit einem Abflug in der Union storniert haben, aber nicht in der EU ansässig sind. Auch bei diesen würden Verbraucher unweigerlich zu Kreditoren werden.

Sollten die Airlines aber innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre Pleite gehen oder umfirmieren, würde der Zugriff auf mögliche Gelder nahezu unmöglich. Inwiefern es im Sinne der Unionsbürger sein soll, Kredite für Fluggesellschaften aus Japan, den USA oder etwa Thailand bereitzustellen, kann vermutlich auch die Bundesregierung nicht beantworten. Mit einer gezielten Hilfe für die Fluggesellschaften könnte man dies umgehen und dafür sorgen, dass nicht die Verbraucher, sondern der Staat dafür sorgt, dass Fluggesellschaften und Reiseveranstalter nicht in die Insolvenz rutschen.

Ein weiterer positiver Nebeneffekt dieses anderen Wegs der Rettung wäre, dass es nicht zu einem doppelten Vertrauensverlust: Zum einen in die geltende Rechtslage und zum anderen in die Buchung von Reisen. Wer jetzt sein Geld nicht zurückbekommt, der wird in Zukunft doppelt darüber nachdenken, ob er je wieder eine Vorauszahlung tätigen wird. Dieser Effekt könnte die Branche zukünftig komplett über den Haufen werfen, denn gerade bei Pauschalreisen, bei denen es zumindest bei Hotelbuchungen auch flexible Alternativen gibt, könnte dieser Vertrauensverlust nach der Krise zu einem noch größeren Problem werden als die aktuellen Liquiditätssorgen.

Fazit zur falschen Entscheidung der Bundesregierung

Die EU-Kommission kann noch den richtigen Weg gehen und sich gegen den Beschluss der Bundesregierung stellen und alternative Mittel vorschlagen – für Verbraucher bleibt ansonsten noch der in diesem Fall voraussichtlich erfolgversprechende Weg vor Gericht. Dennoch steht schon jetzt fest: Die Bundesregierung hat mit ihrem Beschluss einen Fehler gemacht, denn eine solche Entscheidung kostet viel Vertrauen und treibt einen unnötigen Keil zwischen Verbraucher und Reiseunternehmen. Mit anderen Mitteln wäre am Ende allen mehr geholfen als mit einer Gesetzesänderung, deren rechtliche Grundlage absolut wackelig erscheint.

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Autor

Moritz liebt nicht nur Reisen, sondern auch Luxushotels auf der ganzen Welt. Mittlerweile konnte er über 500 verschiedene Hotels testen und dabei mehr als 100 Städte auf allen Kontinenten kennenlernen. Auf reisetopia lässt er Euch an seinen besonderen Erlebnissen teilhaben!

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