In der heutigen Ausgabe unserer pro/contra-Reihe diskutieren Alex und Livia übers Auswandern. Dabei könnten ihre Meinungen fast nicht unterschiedlicher sein.
In unserer pro/contra-Serie diskutieren zwei unserer Autorinnen und Autoren im Artikel-Format über ein bestimmtes Thema. Die Themen reichen von aktuellen bis hin zu allgemeinen, wichtigen, oder einfach interessanten Themen, die uns – und hoffentlich auch Euch – derzeit bewegen. Jede Autorin und jeder Autor übernimmt dabei entweder den Pro- oder den Contra-Part, je nachdem, welche Seite, beziehungsweise welche Meinung vertreten wird. In dieser Ausgabe beschäftigen sich unser Autor Alex sowie unsere Autorin Livia mit der Thematik, ob sie sich vorstellen könnten auszuwandern, oder es wieder tun würden.
Alex – Auswandern kommt für mich nicht (mehr) infrage
Mittlerweile bin ich 29 Jahre alt und kann behaupten, einige spannende Länder dieser Welt gesehen zu haben. Mein unangefochtenes Reiseziel, zumindest für viele Jahre, waren dabei immer die USA. Selbst wenn ich dieses Reiseland komplett von der Karte streichen würde, kann ich die Anzahl der Reisen ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten wohl nicht mehr einholen. Und selbst wenn, ich kann es wirklich nicht mehr zählen, wie oft ich schon die USA gereist bin. Dementsprechend liegt es auch auf der Hand, dass die USA eines meiner Lieblingsländer über das eigentliche Urlaubsziel hinaus war. Ganz besonders für meine Eltern.
Es liegt also nicht fern, dass für viele Jahre ganz konkrete Auswanderungspläne für die USA auf dem Tisch lagen. Verschiedene Möglichkeiten und Wohnorte wurden diskutiert. Heute besitze ich ein Visum für die USA, aber keines, was mir den unbegrenzten Aufenthalt für den Rest meines Lebens erlauben würde. Und zum Glück ist das auch so. Denn über die Jahre hinweg hat sich das Bild über die USA und zum Auswandern generell gewandelt. Ich habe noch nie Dinge in Schwarz und Weiß gesehen und mir war schon immer klar, dass eine Auswanderung nicht mal im entferntesten Sinne mit Urlaub vergleichbar ist. Aber eine Auswanderung in die USA wäre sicherlich kein Zuckerschlecken geworden.
Die Liebe zu den Vereinigten Staaten rostet derweil langsam ein. Das hängt nicht nur mit den Entwicklungen in den USA selbst zusammen – denn seien wir mal ehrlich: Probleme können wir überall aufdecken -, sondern vor allem mit meiner Lust, mir noch unbekannte Orte dieser Welt zu entdecken. Dabei zieht es mich mittlerweile nicht nur mehr nach Kanada, sondern vor allem auch in östliche und südliche Himmelsrichtungen. In diesem Jahr habe ich meine erste Reise nach Asien absolviert, im vergangenen Jahr ging es zum ersten Mal in den Nahen Osten. Und wie kann ich das am besten machen? Von meiner Heimat Berlin aus.
Wenn ich die Welt entdecken möchte, muss ich dafür keinen Rucksack packen und drei Monate durch ein Land wandern, um Kultur und Menschen kennenzulernen – und schon gar nicht muss ich dafür auswandern, das habe ich in den letzten Jahren gelernt. Berlin bietet mir dafür den idealen Ausgangspunkt. Die Stadt liegt in Mitteleuropa und damit relativ zentral. Lediglich Australien, Neuseeland und Co. liegen sehr weit weg von meiner Heimat. Davon aber abgesehen fliege ich ohnehin gerne und viel, und sehe darin sogar eher den Vorteil. Mit dem Flughafen in Berlin und der Nähe zu Frankfurt und weiteren Luftfahrtdrehkreuzen Europas bieten sich mir damit viele gute Ausgangspunkte, um die Welt im Urlaub zu entdecken.
Action habe ich zudem schon genug im Alltag. Denn seien wir ein weiteres Mal ehrlich: Berlin ist einfach die beste Stadt der Welt. Viele unserer Leser kritisieren die Bundeshauptstadt für ihr Chaos und ihre Attitüde, doch genau das gehört zur Stadt und unserer DNA. Ich liebe die Unvollkommenheit und Schönheit dieser Stadt gleichermaßen und sehe keine andere Stadt, die mir all das bieten kann, was ich in Berlin habe. Denn von der Stadt abgesehen liegt hier mein Lebensmittelpunkt mit Familie, Freundin und Hund – und den würde ich ungern für eine andere Stadt auf dieser Welt aufgeben wollen.
Livia – Auszuwandern ist etwas vom besten, was ich je gemacht habe
Auswandern ist die große Schwester vom Reisen. Abgesehen vom Papierkram, wundert es mich deshalb auch nicht, warum es mir so Spaß macht. Anstatt nur vorübergehend an einem Ort zu sein, gibt mir Auswandern die Möglichkeit für eine längere Zeit in ein Land und eine Stadt einzutauchen. Traditionen zu übernehmen, tiefe Freundschaften zu schließen, die Sprache zu lernen, den Horizont zu erweitern – anzukommen in der Ferne.
Mit der gleichen DNA wie Reisen, beginnt Auswandern ganz ähnlich: ein fremder Ort, fremde Menschen und ganz viel Unbekanntes, das es zu entdecken gibt. Anders als beim Reisen schwindet diese Intensität der Entdeckungsfreude vermutlich nach einer Weile und ein Alltag entpuppt sich. So fremd und doch so komfortabel. So war zumindest meine Wahrnehmung. Ich war überrascht, wie schnell ich mich in meinem Kiez auskannte und wohlfühlte. Obwohl mir bis heute wahrscheinlich 75 Prozent von Berlin unbekannt sind, ist die Stadt doch mein Zuhause geworden.
Zudem habe ich durch das Auswandern in meinem Alltag immer ein wenig das Gefühl, auf einer Reise zu sein. Egal, ob bei einer Entdeckung einer lokalen Tradition, dem Kennenlernen von einer fremden Freundesgruppe oder einem Spaziergang durch einen neuen Park. So sehr, dass mein Bedürfnis nach einer tatsächlich langen und weiten Backpacking Reise sogar etwas schmälerte. Während ich früher am liebsten täglich spontan in ein fremdes Land aufgebrochen wäre, bin ich in Berlin fast etwas “häuslicher” geworden. Anstatt in den Himalaja zieht es mich seit je her in den Harz, wortwörtlich. Es gibt so viel direkt vor meiner Haustür zu entdecken, da konzentriere ich mich gerne mal darauf. Vielleicht bin ich gerade schon weit genug in der Ferne, um mein Fernweh für den Moment zu stillen.
Klar, die rosarote Brille einer Destination bleibt nicht bestehen. Anstatt entspannt Sightseeing zu machen, gehört zum Auswandern einen Job und eine Wohnung zu suchen, Versicherungen abzuschließen und zu putzen. Doch ich empfinde täglich aufs Neue eine große Faszination für Berlin und kann mir gerade mein Leben in keiner anderen Stadt vorstellen.
Mir ist bewusst, dass es deutlich schwierigere Auswanderungen gibt, als von Zürich nach Berlin zu ziehen, beispielsweise auf einen anderen Kontinent auszuwandern oder in eine komplett andere Kultur. Nichtsdestotrotz werde ich vermutlich mein Leben lang zum Team pro Auswandern gehören und es hoffentlich noch mehr als einmal versuchen. Denn wenn du einmal ausgewandert bist, dann bist du ja fast schon Profi darin 😉
Fazit zu den Argumenten für und gegen Auswandern
Alex und Livia verbinden mit dem Wort “Auswandern” ihre Reiselust. Während Livia diese auch gerne als richtige Auswanderung angeht, fühlt sich Alex in Berlin Zuhause und will dieses auch für kein Ziel dieser Welt aufgeben. Warum auch? Er kann jede Stadt, jedes Land und jede Region dieser Welt beliebig oft erkunden und macht das auch genauso. Ein längerer Aufenthalt ist für Alex also nicht notwendig. Und doch haben beide eine Gemeinsamkeit: Alex und Livia könnten sich (aktuell) keinen besseren Wohnort als Berlin vorstellen.