Müssen weitere Fluggesellschaften Sitze aus Flugzeugen ausbauen, um mit weniger Personal fliegen zu dürfen? Wir haben uns die aktuelle Personalsituation in der deutschen Luftfahrt angesehen und bei den Airlines nachgefragt.
easyJet in Großbritannien sieht sich gezwungen, Sitze aus Flugzeugen zu entfernen, um mit weniger Personal fliegen zu dürfen. In Amsterdam weiß der Flughafen nicht mehr wohin mit Passagieren und KLM sieht sich gezwungen, den Ticketverkauf zu schließen. Auch in Deutschland droht ein Chaos an den Flughäfen. Bereits in den vergangenen Wochen konnte man das erleben. Mit den Feiertagen und bevorstehenden Sommerferien spitzt sich die Situation immer weiter zu. Wir haben bei den Fluggesellschaften nachgefragt und schätzen die aktuelle Personalsituation in der deutschen Luftfahrt ein.
“Wir haben aktuell keinen Personalmangel”
Zwei Jahre später und die Corona-Pandemie scheint überwunden? Während Experten vor weiteren Virusvarianten und hohen Dunkelziffern bei den Infektionszahlen warnen, gibt es eine weitere, direkte Auswirkung der zwei vergangenen Pandemie-Jahre. Die zivile Luftfahrt versucht sich zu erholen. Weltweite Grenzöffnungen ermöglichen dies, die Nachfrage nach Auslandsreisen steigt rapide. Doch vielleicht zu schnell für eine Branche, die noch immer mit den ersten Auswirkungen zu kämpfen hat? Vor circa zwei Jahren, als die Pandemie den Luftverkehr nahezu zum Erliegen gebracht hat, musste Personal entlassen werden. Das führt mittlerweile zu gravierenden Personalengpässen. Für Aufsehen sorgte zuletzt easyJet.
easyJet kündigte nämlich vor wenigen Wochen an, die Sitzplatzkapazität der Airbus A319-Flotte in Großbritannien von 156 auf 150 Sitzplätzen reduzieren zu müssen, wie aeroTELEGRAPH berichtete. Das ermöglicht der Fluggesellschaft, mit nur drei statt vier Kabinenmitgliedern zu fliegen. Die Rechnung ist einfach: Pro 50 Sitzplätze muss ein Kabinenmitglied im Flugzeug vorhanden sein. Die Sitzplatzreduzierung soll vorerst nur für den britischen Teil der Flotte gelten, wenn auch diverse Exemplare in Europa registriert und für easyJet Europe unterwegs sind. Wir haben bei easyJet nachgefragt, ob ein ähnliches Szenario auch in Deutschland denkbar wäre.
Eine Stellungnahme von easyJet zum Sachverhalt gab es aber bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht. Dafür hat die Fluggesellschaft jüngst bekannt geben müssen, sogar das Personal am Berliner Standort reduzieren zu müssen, wie unter anderem airliners.de berichtete. Als Gründe führt die Fluggesellschaft zu hohe Flughafengebühren und eine weniger hohe Nachfrage als ursprünglich erwartet an. Bis zu 250 Mitarbeiter könnten ihren Job verlieren, gegebenenfalls aber Unterschlupf bei Eurowings finden. Die Lufthansa Group sieht sich allgemein gut für den bevorstehenden Sommer aufgestellt. Wir haben auch in der Konzernzentrale, beim Kranich, nachgefragt.
Die Frage, ob die Lufthansa mit internen Personalengpässen zu kämpfen hat, beantwortet eine Sprecherin der Fluggesellschaft wie folgt:
Wir haben aktuell keinen Personalmangel, da wir in der Krise keine Kündigungen ausgesprochen haben, sondern mit den Sozialpartnern Krisenvereinbarungen treffen konnten.
Dem schließt sich übrigens auch TUIfly Deutschland an:
Letztlich können wir nur sagen, dass wir keinen Personalengpass bei TUI fly erwarten.
Mittlerweile hat auch easyJet Deutschland zur Situation Stellung bezogen. Dabei verweist eine Pressesprecherin der Airline vor allem auf die Situation in Großbritannien. easyJet Europe sei demnach von den derzeitigen Personalengpässen nicht betroffen:
In diesem Sommer betreiben wir unsere britische A319-Flotte gemäß den CAA-Vorschriften mit maximal 150 Passagieren und drei Besatzungsmitgliedern an Bord. Dies ist ein effizientes Verfahren für den Betrieb unserer Flotte und macht unseren Flugbetrieb in diesem Sommer robuster und flexibler, wenn wir voraussichtlich zu den Flugzahlen von 2019 zurückkehren.
Neben easyJet, Lufthansa und TUIfly Deutschland haben wir auch bei Condor zur aktuellen Situation nachgefragt, jedoch keine Antwort erhalten. Ob die Situation bei den Fluggesellschaften aber so stabil bleibt, kann ebenfalls bezweifelt werden. Denn ein Konflikt bei der Lufthansa scheint sich ebenfalls zuzuspitzen. Flugbegleiter, die im sogenannten SMK-Modell angestellt sind, beklagen eine zu hohe Arbeitsbelastung bei zu geringen Gehältern. Vor allem in den Sommerferien arbeiten die Teilzeitkräfte deutlich mehr. Mit der aktuellen Inflation und dem Gehaltsverzicht zu Beginn der Krise sahen sich die circa 2.700 Flugbegleiter der Lufthansa bereits zu einem Streik gezwungen.
Gewerkschaft und Airline bestätigen indes jedoch Verhandlungen. Ob das auch für den Streit zwischen Management und Cockpit-Besatzung gilt, ist fraglich. Bereits zu Beginn des Jahres erfuhr der Kranich eine massive Krankheitswelle. Ob dies mit dem Corona-Virus oder gar der derzeitigen Arbeitssituation zu tun hatte, darüber lässt sich nur spekulieren. Denn die Lufthansa ist direkt auch von Personalengpässen betroffen, die sie gewissermaßen selbst herbeigeführt hat, aber nicht mehr in der eigenen Hand liegen. Die Lufthansa Group veräußerte nämlich die LSG Skychefs, das Cateringunternehmen.
Besonders in den vergangenen Wochen kommt es hier zu massiven Engpässen beim Catering auf der Kurz- und Mittelstrecke. So kommt es, dass sowohl in der Economy Class an Speisen und Getränken zum Kauf als auch in der Business Class an den vollen Menüs mangelt. Eine Problematik, die sich bereits seit Wochen hinzieht und über die wir ebenfalls bereits berichtet haben. Flugbegleiter meldeten sich daraufhin bei uns und bestätigten die Umstände, für die sich mitunter die Flugbegleiter auch selbst schämen. Entsprechende Maßnahmen scheint die Führung indes nicht unternehmen zu wollen.
So oder so lässt sich feststellen, dass der Haussegen durchaus schief hängt. Dazu kommen aber weitere Probleme, die die Airlines nicht beeinflussen können.
Engpässe an Flughäfen führen zu Kollaps
Bereits in der vergangenen Woche sorgte der Flughafen Düsseldorf für Negativschlagzeilen. Die Wartezeiten an den Sicherheitskontrollen sind zu lang. Flüge werden verpasst. Doch der Flughafen Düsseldorf scheint längst kein Einzelschicksal mehr zu sein. Auch der Flughafen Frankfurt warnt bereits vor den bevorstehenden Sommerferien und langen Wartezeiten. Doch nicht nur an den Sicherheitskontrollen fehlt es an Personal, auch bei der Abfertigung und dem Catering beispielsweise. Daher sollten sich Reisende auf längere Abflug- und Ankunftszeiten einstellen.
Dementsprechend sah sich die Lufthansa zum Beispiel gezwungen, über die Osterfeiertage mehrere Flüge zu annullieren, um den kompletten Zusammenbruch bei der Passagier- und Flugzeugabfertigung zu vermeiden. Die Lufthansa sieht sich selbst zwar gut für die Sommerferien aufgestellt, gibt sich aber durchaus besorgt, wenn es um die Abfertigung an den Flughäfen in den Sommerferien geht:
Wir sind für den Sommer gut aufgestellt, haben operativ viele Maßnahmen umgesetzt oder arbeiten noch an Umsetzungen. Dennoch wissen wir schon heute, dass das System mit der steil steigenden Buchungsnachfrage belastet ist. Besonders bei unseren Systempartnern zeigt sich hier ein anhaltender Personalmangel, der auch im Sommer zu Verzögerungen führen könnte. Wir arbeiten hier gemeinsam an Lösungen, um in den Sommermonaten gut auf die große Zahl Reisender vorbereitet zu sein.
Dazu kommen mehrere Krankmeldungen, wie zuletzt am Flughafen Hamburg. Diese Auswirkungen, und eine geschlossene Landebahn, sorgte für Verspätungen von bis zu zwei Stunden, die letztlich auch beabsichtigt von vielen Abflügen in Kauf genommen wurden. Das berichtete unsere Kollegin Lena, die das Schauspiel vor kurzer Zeit selbst miterleben durfte. Die Flughäfen versuchen kurzfristig gegenzusteuern. Doch nicht nur national, auch international scheint die Branche mit den Auswirkungen zu kämpfen haben. Christi Himmelfahrt sorgte in den Niederlanden für wiederholt lange Wartezeiten bei den Check-in-Schaltern sowie Sicherheitskontrollen. Der größte Flughafen des Landes – Amsterdam Schiphol – droht im endgültigen Chaos zu versinken, dabei ist der Flughafen auch eines der wichtigsten Drehkreuze des Kontinents.
Die Situation führt dazu, dass Passagiere bis auf den Vorplatz des Flughafens anstehen mussten. Verpasste Flüge gehören zum Programm, sodass sich KLM sogar gezwungen sah, den Ticketverkauf für alle Flüge bis einschließlich Sonntag einzustellen. Passagiere mit Tickets an diesem Wochenende dürfen kostenfrei sogar auf alternative Flüge zu späteren Abflugzeiten umbuchen. So wird die Luftfahrt vorerst auch weiterhin mit massiven Engpässen beim Personal zu kämpfen haben. Selbst wenn Fluggesellschaften personell gut aufgestellt sein sollten, wie es auch Lufthansa und TUIfly bestätigen, so dürfte der größte Unsicherheitsfaktor die Abfertigung an den Flughäfen sein, und das nicht nur in Deutschland.
Schnell lösbar wäre das Problem nur mit mehr Personal – doch das fehlt nicht umsonst. Krisenvereinbarungen werden längst nicht jedes Unternehmen geschlossen haben. Und selbst wenn, wäre das keine Garantie, Personal schnell wieder reaktivieren zu können. Denn zur Wahrheit gehört leider auch, dass viele Menschen in den vergangenen zwei Jahren andere Jobs als sicherere Alternative gewählt haben. Das durfte ich persönlich zuletzt auch in der Hotellerie erfahren. Auch hier fehlt es massiv an Personal. Dabei galt das Personal in beiden Branchen als außerordentlich loyal. Einmal am Flughafen – immer am Flughafen. Doch der Riss dürfte nachhaltig und nicht so schnell zu heilen sein, sodass wir alle uns auf längere Wartezeiten an Flughäfen und weitere Komplikationen einstellen müssen.
Wie sieht es bei Euch aus? Habt Ihr bereits die Auswirkungen an den Flughäfen zu spüren bekommen?