Es ist lange her, dass die Lufthansa beim Bordprodukt positiv aufgefallen ist. Doch mit der nun finalen Ankündigung des in vielerlei hinsichtlich innovativen Allegris Produkts gelingt genau das – den Hintergedanken der Airline sollte man dabei nicht vergessen.
Drei zumindest minimal verschiedene First Class Suiten, sieben zumindest teilweise unterschiedliche Business Class Sitze – bei der Lufthansa gibt es in den Premiumklassen zudem kaum mehr einen Sitz, der genauso ist wie der andere. Wenngleich die Sitzplatzauswahl für Kunden zweifelsfrei nicht einfacher wird, so ist sie gleichzeitig doch enorm innovativ. Kunden können bei der Lufthansa zukünftig genau den Sitz wählen, der zum Reisezweck passt – das ist so ziemlich einzigartig, denn verschiedene Sitztypen gibt es natürlich schon lange und bei vielen Airlines, aber in keinem einzigen Fall in so vielen Varianten in einem Flugzeug. Doch aus reiner Großzügigkeit verbessert die Lufthansa ihr Bordprodukt nicht – neben dem Konkurrenzdruck dürfte insbesondere die Möglichkeit durch Zusatzgebühren zu verdienen, ein Grund für die Innovation sein.
Privatsphäre oder Gemeinsamkeit in der First Class
Die ungewohnte Innovation bei der Lufthansa zeigt sich schon bei der First Class, die aktuell nicht nur in die Jahre gekommen, sondern auch in allen Maschinen sehr ähnlich daherkommt. Man hatte zwar schon erwartet, dass die Lufthansa mit dem neuen Produkt hinsichtlich Privatsphäre und Platz neue Maßstäbe setzen würde.
Was aber wohl niemand gedacht hätte ist, dass die Lufthansa sogar noch ein Ass im Ärmel hat und neben der First Class Suite auch noch eine First Class Suite Plus vorstellen würde. Die Airline bietet zukünftig damit im Grunde genommen eine Mischung aus einer 1-1-1 und 1-2-1 Konfiguration, was es so noch bei keiner anderen Airline gibt. Der Mittelsitz nämlich ist eine Art Doppelsitz, bei dem es um den Preis und die Buchung noch viele Fragezeichen gibt. Klar scheint aber, dass man diesen Luxus wohl nicht für weniger als einen fünfstelligen Betrag für zwei Personen erleben wird.
Daraus ergibt sich dann auch, dass die beiden anderen Suiten sich zumindest minimal unterscheiden, denn während die “A-Suite” neben dem Eingang der Doppelsuite liegt, wird die “G”-Suite voraussichtlich komplette Privatpshäre bieten, da auf dieser Gangseite kein Eingang zur Doppelsuite zu finden ist. Diese minimale Unterscheidung gibt es auch schon bei wenigen anderen First Class Produkten – mir war sie etwa bei meinem Emirates Neue First Class Review aufgefallen. Man darf hoffen, dass sich die Lufthansa die “privatere” der beiden Fenster-Suiten nicht extra bezahlen lässt.
Doch das Thema schlechthin in den nächsten Monaten dürfte die Suite Plus sein, denn diese ist fraglos innovativ – ein solches Produkt bietet keine andere Airline. Die Lufthansa wird hier einen echten Doppelsitz bieten, der zu einem echten Doppelbett wird und zudem volle Privatsphäre bietet. Das einzige Produkt, das in eine ähnliche Richtung geht, ist die Residence von Ethiad Airways, die kommerziell allerdings kein Erfolg war. Dass die Lufthansa nun ein Produkt bieten wird, das es so sonst nirgendwo gibt, wäre vor wenigen Jahren vermutlich noch unvorstellbar gewesen.
Kaum ein Business Class Sitz gleicht dem anderen
Während bei der Lufthansa bislang fast jeder Business Class Sitz dem anderen glich, ist die Sitzplatzwahl zukünftig ein echtes Erlebnis. Blickt man von “oben” auf die Sitze, fällt schnell auf, dass es sage und schreibe sieben verschiedene Varianten gibt, wie man sitzen kann:
Auf der beiden Fensterreihen gibt es je zwei Varianten für die Sitze, die weiter weg vom Gang und näher am Gang sind. Das Besondere daran: Ganz vorne gibt es eine Suite mit Tür – hier darf man sich voraussichtlich auf einen satten Aufpreis freuen – die deutlich mehr Platz und Privatsphäre bietet. Danach folgen die normalen Sitze, die entweder näher am Fenster oder weiter weg von diesem sind und dann folgt ganz am Ende der Kabine noch einmal eine Art Mini-Suite mit mehr Privatsphäre und Platz. So etwas kennt man bislang von keiner anderen Airline, wobei man davon ausgehen kann, dass die Lufthansa sich dies auch bezahlen lassen wird.
Bei all der Auswahl kommt man schon als erfahrener Reisender kaum hinterher, zumal es auch in der Mitte nochmal drei verschiedene Sitztypen gibt. Vorne dürfen sich Passagiere auf eine Doppel-Suite freuen, danach folgen Einzelsitze, die ebenfalls durch Platz und Privatsphäre sprechen, eher alternierend normale Gangplätze folgen, die vermutlich das wenigst attraktive Bordprodukt darstellen. Und natürlich ist auch hier die letzte Reihe noch einmal anders, wenngleich diese nur mit minimal mehr Stauraum daherkommt und deshalb sicherlich nicht allzu besonders ist. Einige der Sitze kommen übrigens auch noch mit besonderen Details daher, etwa einem Bett mit Überlänge.
Dennoch fällt bei einem Blick auf die neuen Business Class Varianten der Lufthansa auf, dass der Innovationsgeist deutlich größer ist als bei vielen anderen Airlines. Das mag insbesondere deshalb überraschen, weil die Lufthansa lange auf eine große Konsistenz beim Bordprodukt gesetzt hat. Zukünftig soll es dagegen einen passenden Sitz für jeden geben. Was im ersten Moment nach edlen Motiven klingt, geht sicherlich auch damit einher, dass es zukünftig zusätzliche Gebühren für die Auswahl der beliebten Sitze gibt.
Neue Maßstäbe dürften auch die Preise und Aufpreise setzen
Dass die Lufthansa viel Wirbel machen kann, ist nichts Neues. Das neue Produkt ist immerhin schon seit Jahren angekündigt und wurde seitdem immer wieder aufgeschoben – mittlerweile scheint klar, dass es zumindest bezogen auf die First Class sogar erst im Jahr 2024 kommen wird. Den Start machen soll dabei der Airbus A350. Als Passagier sollte man sich darauf einstellen, dass das neue Produkt nicht nur in positiver Hinsicht einen neuen Standard setzen wird.
Man wird wohl auch damit zurechtkommen müssen, dass die Preise steigen werden. Das hat man auch schon bei anderen Produktinnovationen gesehen – so hat British Airways die Durchschnittspreise für die Business Class deutlich angezogen, seit man in vielen Maschinen die sogenannte Club Suite findet. Dazu kommt die allgemeine Preissteigerung in den Premiumklassen, sodass man damit rechnen muss, dass mit dem neuen Bordprodukt der Lufthansa auch die Preise steigen werden – bei der First Class gibt es gar Spekulationen, dass die Preise sich verdoppeln könnten.
Doch das wird nicht alles sein, denn die Lufthansa wird sich die Innovation und Flexibilität auch in anderer Hinsicht bezahlen lassen. So schön die vielen neuen Sitzplatzvarianten seien mögen, bedeuten sie auch eine neue Einnahmequelle für die Lufthansa. Das sogenannte “Unbundeling” hat bereits vor Jahren angefangen und sorgt für Zusatzeinnahmen, sei es für Koffer, Mahlzeiten, Getränke oder eben auch die Sitzplatzauswahl. Was in anderen Reiseklassen längst der Standard ist, dürfte auch in der Business und First Class mehr und mehr zur Norm werden.
Zwar wird die Lufthansa wohl keine Unterscheidung bei den Mahlzeiten oder dem Service innerhalb der Klassen vornehmen, aber schon jetzt ist sicher, dass sowohl die First Class Suite Plus als auch die Business Class Suiten mit Tür mit einem relevanten Aufpreis daherkommen – rechnen darf man mit einem mittleren dreistelligen, hier und da vielleicht auch vierstelligen Betrag. Ausgehen sollte man im Grunde sogar davon, dass auch die weiteren “besonderen” Business Class Sitze zukünftig extra kosten. Von der Swiss kennt man das schon von den sogenannten Thron-Sitzplätzen, bei denen eine Gebühr von 100 CHF für die Reservierung fällt wird, sofern man keinen höheren Miles & More Status hat.
Die nächsten Monate dürften spannend werden
Klar ist, dass die Lufthansa sich ihre Innovation bezahlen lassen wird. Doch vieles ist aktuell noch unklar, etwa die konkreten Aufpreise für die verschiedenen Sitztypen, der allgemeine Preisanstieg für die beiden Premiumklassen und nicht zuletzt die Routen, auf denen die Maschinen mit neuem Bordprodukt zum Einsatz kommen. Bis man das “Allegris” Produkt auf allen Strecken findet, werden sowieso noch viele Jahre ins Land ziehen. Bis dahin wird es für Passagiere ziemlich komplex, die richtige Strecke, den richtigen Jet und dann auch noch den richtigen Sitzplatz zu wählen. Die Lufthansa wird dabei allerdings sicherlich ihr Bestes tun, durch (Auf-)preise für eine gute Lenkungswirkung zu sorgen.