Die Corona-Krise ist eine außergewöhnliche Situation und die bislang grĂ¶ĂŸte Krise des 21. Jahrhundert – nicht nur, aber insbesondere fĂŒr Fluggesellschaften. Doch ist es deshalb richtig, dass Kunden den Airlines einen Kredit geben mĂŒssen und welche Rolle spielt die eigene Moral?

Die Corona-Pandemie hat sich in den letzten Tagen und Wochen zu einer fĂŒr Millionen Menschen lebensbedrohlichen Krankheit entwickelt, wirtschaftliche Interessen mĂŒssen dem Ziel eines Schutzes von Risikogruppen daher ohne jeden Zweifel hinten angestellt werden. Dennoch stellt sich gerade in der Reise-Branche fĂŒr immer mehr Unternehmen ebenfalls die Existenzfrage. Besonders stark betroffen sind Fluggesellschaften, die derzeit ihre LiquiditĂ€t mit einer zweifelhaften Maßnahme schĂŒtzen: Sie erstatten Flugpassagieren trotz anders lautender Bestimmungen kein Geld mehr. Ist das in dieser Ausnahmesituation in Ordnung und wie sieht die moralische Perspektive aus?

Die genaue Rechtslage zu Stornierungen und Erstattungen sowie dem Alternativangebot zu Gutscheinen & Umbuchungen haben wir in diesem Guide ausfĂŒhrlich beleuchtet!

Kostenfreie Umbuchungen statt Stornierungen

Als besonders kundenfreundlich gelten Fluggesellschaften seit jeher nicht: Ob bei einem Schreibfehler im Namen, bei einem Fehler beim Datum oder auch in Ausnahmesituationen – Kunden werden fast immer zur Kasse gebeten. Doch geltende Regularien und auch nationale Rechtslagen (etwa im Rahmen der EU-Verordnung) haben zumindest in einem Fall bislang immer eine vollstĂ€ndige Erstattung vorgesehen. Wenn ein Flug vonseiten der Fluggesellschaft gestrichen oder aufgrund von Einreisebestimmungen im Zielland nicht angetreten werden kann, erhielten Kunden unabhĂ€ngig vom Tarif das Geld zurĂŒck – daran haben sich in den letzten Jahren auch fast alle Airlines gehalten.

Genau damit ist es in Zeiten der Corona-Krise nun vorbei, denn wÀhrend es zweifelsfrei richtig und nachvollziehbar ist, in einer solchen Situation auf EntschÀdigungen im Sinne der EU-Verordnung zu verzichten, ist eine Erstattung doch auch weiterhin vorgesehen. Dies wurde in den letzten Tagen seitens der zustÀndigen Stelle auch noch einmal bekrÀftigt. Doch die RealitÀt sieht anders aus, so schreibt die Lufthansa etwa hinsichtlich von Flugstreichungen durch Corona:

Die GĂŒnstig-Tochter Eurowings setzt auf dieselben Bestimmungen, bietet allerdings keinen 50 Euro Discount. Dieselben Bedingungen haben auch die anderen Airlines der Lufthansa Group (alle außer Eurowings mit 50 Euro Gutschein) veröffentlicht, von einer Möglichkeit fĂŒr eine Erstattung ist nirgendwo die Rede. Angeblich soll es laut einem Tweet der Lufthansa-Tochter Swiss allerdings auch weiterhin Erstattungen geben, wann wird allerdings nicht erklĂ€rt:

Doch es sind nicht nur die Airline der Lufthansa Group, die eine Stornierung mit keinem Wort erwĂ€hnen und gar nicht erst als Option darlegen. So bietet Air Canada zwar angeblich eine gebĂŒhrenfreie Stornierung, allerdings gibt es nur einen Gutschein fĂŒr 12 Monate und nicht etwa Geld zurĂŒck:

Auch bei Emirates sieht die Policy nicht anders aus. So werden auf der entsprechenden Seite zwar verschiedene Optionen angeboten, eine kostenfreie Stornierung mit RĂŒckerstattung ist aber keine:

Nun könnte man noch zahlreiche weitere Beispiele heraussuchen, doch die Geschichte ist fast ĂŒberall dieselbe. Vor wenigen Tagen waren Erstattungen teilweise noch möglich, mittlerweile haben aber selbst zuvor flexiblere Airlines wie Singapore Airlines oder eben auch Emirates ihre Policy so verĂ€ndert, dass Erstattungen grundsĂ€tzlich nicht mehr erwĂ€hnt sind. Auch bei einem Anruf an der Hotline oder bei den meisten ReisebĂŒros heißt es: Umbuchungen oder Gutscheine sind möglich, Erstattungen allerdings nicht – der Grund ist meine eine von der Airline veröffentlichte Policy, an die sich Hotline-Mitarbeiter genauso wie ReisebĂŒros halten mĂŒssen. Eine positive Ausnahme scheint fĂŒr den Moment noch Delta, wo Passagiere auch weiterhin eine vollstĂ€ndige Erstattung erhalten.

Verbraucher können eine Erstattung erzwingen

Nun können Airlines ihre Regeln natĂŒrlich nicht selbst festlegen, gibt es doch nationale und internationale Regularien. Besonders wichtig ist hier fĂŒr AbflĂŒge ab Deutschland oder FlĂŒge mit Airlines innerhalb der EuropĂ€ischen Union die EU-Verordnung zu den Fluggastrechten. Diese wurde seitens der Kommission zuletzt im Lichte von Corona mit weiteren Guidelines ergĂ€nzt. Hier heißt es konkret:

This situation has to be distinguished from the situation where the carrier cancels the journey and offers only a voucher instead of the choice between reimbursement and rerouting. If the carrier proposes a voucher, this offer cannot affect the passenger’s right to opt for reimbursement instead.

Heißt im Klartext: Ein Passagier hat auch in dieser Situation weiterhin ein Anrecht auf eine Erstattung. Eine Sache sollte man hierbei aber im Blick haben: Die Kommission kann zwar Guidelines veröffentlichen, rechtliche Bindung haben diese allerdings nicht. Die Entscheidung obliegt weiterhin dem EuropĂ€ischen Gerichtshof. Zwar ist eine andere Auslegung der Rechtslage aufgrund der aktuellen Situation möglich, aber nicht besonders wahrscheinlich. Dennoch sollte man zumindest im Blick haben, dass es kein endgĂŒltiges Urteil gibt, welches ein Recht auf eine Erstattung in der aktuellen Situation aufzeigt – ein gewisses Risiko bleibt fĂŒr Verbraucher also, auch wenn sie sich fĂŒr den Klageweg entscheiden. Eine ausfĂŒhrlichere EinschĂ€tzung hierzu, findet Ihr auch in unserem Guide zu den Fluggastrechten in Zeiten des Coronavirus.

Möglicherweise wĂŒrden Airlines das Geld allerdings sowieso erstatten, sobald Passagiere den Weg der Klage gehen. Es ist entsprechend davon auszugehen, dass man eine Erstattung ĂŒber den Rechtsweg erzwingen kann. Dabei stellen sich allerdings zwei Fragen: Mit welchen möglichen Kosten ist das verbunden und wie lange dauert eine Erstattung am Ende? Zwar sollte man als Prozessgewinner oder mit Rechtsschutzversicherung nicht auf den finanziellen Kosten sitzen bleiben, den Aufwand rund um die Klage hat man aber dennoch – ob Fluggastrechte-Portale wie Flightright, FĂ€lle mit Blick auf die unklare Situation aktuell ĂŒbernehmen, ist zudem unklar.

LiquiditÀt bei Airlines zu belassen könnte diese retten

Es steht zweifelsfrei fest, dass das Handeln der Airline gegen gĂ€ngiges RechtsverstĂ€ndnis verstĂ¶ĂŸt und auch mit einem Handeln nach Treu und Glauben wenig zu tun hat. Doch in der Not ist es um die Gesetzestreue eben oft nicht allzu gut bestimmt. Nun wird ein falsches Handeln am Ende sicherlich nicht dadurch gerechtfertigt, dass es keine Alternative gab – eine solche Auslegung gibt das Strafrecht in keinem Land dieser Welt her. Doch es gibt aus Sicht von Verbrauchern noch eine zweite Perspektive und diese lĂ€sst sich auf eine entscheidende Frage herunterbrechen:

Möchte ich lieber einen Gutschein oder das Geld komplett verlieren?

Zu Recht ergibt sich die Frage, warum man das Geld komplett verlieren sollte, wenn man sich gegen einen Gutschein und fĂŒr eine erzwungene Erstattung entscheidet? Die Antwort darauf ist vergleichsweise einfach: WĂŒrden die Airlines aktuell alle Tickets erstatten, wĂ€re eine Insolvenz fĂŒr die allermeisten wohl unausweichlich – das gilt zumindest fĂŒr nicht-staatliche Airlines und sofern sie keine staatliche Hilfe erhalten. Das wĂŒrde konkret bedeuten, dass man am Ende keinen Cent wieder bekommt, wie man auch bei der Pleite von airberlin gesehen hat. Mit einem Flugticket ist man in der Nahrungskette der GlĂ€ubiger bei einer Insolvenz am Ende eben immer ganz unten.

Die Insolvenz einer Airline wĂ€re die schlechteste Lösung fĂŒr alle

Infrage stellen darf man sicherlich, ob die Perspektive bei staatlichen oder semi-staatlichen GlÀubigern anders sein sollte? Diese Fluggesellschaften werden ziemlich sicher nicht in die Insolvenz gehen und werden wohl auch kaum liquidiert, wie die Geschichte rund um Alitalia seit Jahren zeigt. Hier könnte eine erzwungene Erstattung also aus Kundensicht der richtige Weg sein, denn eine Insolvenz und damit ein gesamter Forderungsfall ist unwahrscheinlich. Dasselbe gilt dann, wenn staatliche Hilfen sowieso geplant sind.

Kunden oder Steuerzahler zahlen am Ende die Rechnung

Die Ironie der aktuellen Situation ist allerdings sowieso, dass am Ende wohl kaum eine Fluggesellschaft weltweit die aktuelle Krise ohne Staatshilfen ĂŒberleben kann – Erstattungen fĂŒr Kunden hin oder her. Das wiederum, lĂ€sst zwei SchlĂŒsse zu: Zum einen bezahlt man am Ende vermutlich sowieso “mit dem eigenen Geld” fĂŒr die Rettung, zum anderen spricht das wiederum dafĂŒr, dass man sein Geld dennoch zurĂŒckfordern kann. Immerhin wird die jeweilige Airline wohl sowieso gerettet, dann eben nur mit dem Geld der Gesellschaft und nicht primĂ€r dem eigenen Geld. Dabei sollte man immer im Blick haben: Es geht in beiden FĂ€llen eher um LiquiditĂ€tshilfen als um eine direkte Rettung mit Geld, ob nun bei einem Gutschein fĂŒr Kunden oder einem staatlichen Hilfskredit.

Dabei stellt sich am Ende fast schon eine moralische Frage: Ist es richtig, dass ich als Kunde der Airline einen “privaten” Anteil an der Rettung per LiquiditĂ€tsspritze leiste oder finde ich es besser, dass der Staat als Gemeinschaft die LiquiditĂ€t gewĂ€hrt? Ist es am Ende besser, dass auch diejenigen, die ĂŒberhaupt nicht fliegen als Teil der Allgemeinheit etwas zur Rettung beisteuern oder sollten diejenigen ĂŒberproportional belastet werden, die den Service auch nutzen? Ein falsch und richtig gibt es bei der Antwort auf diese Frage wohl kaum, zumal ein aktives Ticket bei einer Airline auch nicht unbedingt dafĂŒr spricht, dass man den Service hĂ€ufig nutzt – beim Timing der aktuellen Krise kann die Familie, die einmal im Jahr verreist genauso Pech haben, wie ein GeschĂ€ftsreisender, der trotz Dutzender FlĂŒge im Jahr eben aktuell kein aktives Ticket hat, GlĂŒck haben.

Fest steht allerdings, dass bei der ForderungsĂŒbernahme durch einen Kunden zwingend eine staatliche Sicherung gegen eine Insolvenz vorliegen muss. Nur dann wĂ€re eine solche Lösung akzeptabel.

Freiwillige Gutscheine mit langer GĂŒltigkeit sind der richtige Weg

In einer Pandemie, wie wir sie nie zuvor gesehen haben, gibt es ohne Zweifel viele Entscheidungen, die nicht fĂŒr jeden fair und am Ende sicher auch nicht gerecht sind. Auch deshalb sollte man die aktuelle Situation von Fluggesellschaften differenziert sehen. Was dabei zweifelsfrei zu kritisieren ist, ist die Art der Kommunikation. Keine Airline sagt, dass sie eigentlich erstatten mĂŒsste und alle Fluggesellschaften tun so, als wĂ€re es absolut in Ordnung nur Umbuchungen anzubieten. Den Vogel schießt dabei die Swiss ab, die folgenden Satz kommuniziert: “Wir sind zurzeit auf keinem unserer KanĂ€le in der Lage, RĂŒckerstattungen zu bearbeiten” – wohlgemerkt ohne Anmerkung, ob Erstattungen denn irgendwann wieder möglich sein werden.

Die Lufthansa Gruppe mĂŒsste Kunden Gutscheine bieten

Doch es ist dennoch nachvollziehbar, dass Erstattungen eben nicht oder kaum möglich sind, immerhin wĂŒrde dies wohl unweigerlich das Ende oder eine zwingend notwendige und schnelle staatliche Rettung der Airlines erzwingen. Ist es deshalb fair, dass Verbraucher, die möglicherweise in der aktuellen Situation genauso auf LiquiditĂ€t angewiesen sind, diese verschenken mĂŒssen? Definitiv nicht, aber in gewissem Maße ist die Situation auch ausweglos, denn die Airlines können wohl kaum erstatten, selbst wenn sie wollten. Gefragt ist deshalb am Ende ein kundenfreundlicher Mittelweg und genau bei diesem hat besonders die Lufthansa Group noch Aufholbedarf.

Die richtige Lösung sind dabei freiwillige Reise-Gutscheine mit einer GĂŒltigkeit von mindestens 24 Monaten und keinen EinschrĂ€nkungen bezĂŒglich der Strecken und Reiseklassen. So können Kunden komplett flexibel die weitere Entwicklung abwarten und irgendwann die gewĂŒnschte Reise buchen, ohne sich jetzt schon festlegen zu mĂŒssen – zudem kann jeder selbst entscheiden, ob er der Airline zusĂ€tzliche LiquiditĂ€t geben möchte oder nicht. Umbuchungen in eine ungewisse Zukunft, teilweise auch noch mit Aufzahlung, sind dagegen ohne jeden Zweifel nicht fair. Auch Gutscheine sind sicherlich nicht fĂŒr jeden fair, aber am Ende wohl die einzige Lösung, die Airlines das Überleben sichert und Kunden zumindest ein kleines bisschen FlexibilitĂ€t bietet – es sei denn die Airlines werden mit Staatsgeldern gerettet. Besondere Situation erfordern am Ende von allen ein Opfer – auch wenn sich dabei viele ungerecht behandelt fĂŒhlen.

Fazit zur Frage nach Umbuchungen statt Erstattungen

Ich selbst bin mit mehreren Tickets in den kommenden Monaten stark von der Situation betroffen, allerdings auch in einer finanziell komfortablen Situation, auf das Geld verzichten zu können. Dies gilt nicht fĂŒr jeden, weswegen die individuelle AbwĂ€gung des “richtigen Weges” fĂŒr jeden eine andere sein wird. Meiner Meinung nach wĂ€ren Gutscheine mit langer GĂŒltigkeit der einzige Weg, der fĂŒr beide Seiten einigermaßen in Ordnung wĂ€re – allerdings eben nur dann, wenn es sie auf freiwilliger Basis und idealerweise mit einem Bonus fĂŒr Kunden gibt. Dann sollte man die moralische Frage stellen, ob man die Branche in der aktuellen Situation unterstĂŒtzen möchte oder man das Geld im Moment selbst mehr braucht.

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Autor

Moritz liebt nicht nur Reisen, sondern auch Luxushotels auf der ganzen Welt. Mittlerweile konnte er ĂŒber 500 verschiedene Hotels testen und dabei mehr als 100 StĂ€dte auf allen Kontinenten kennenlernen. Auf reisetopia lĂ€sst er Euch an seinen besonderen Erlebnissen teilhaben!

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