Es ist nichts Neues, dass die Corona-Krise vor allem für die Tourismusbranche, insbesondere Airlines Einschnitte und hohe Verluste bedeutet. Doch was bedeutet das für die Mitarbeiter einer Fluggesellschaft und welche Sicht haben diese auf die Krise? Ein Mitarbeiter berichtet.

Ein Airline-Mitarbeiter, der aktuell anonym bleiben möchte, hat uns exklusiv ein paar Einblicke in seinen Alltag und seine Gedanken während der Krise gegeben. Wir bedanken uns schon mal für diesen tollen Bericht und wünschen Ihm nur das Beste!

Ihr seid ebenfalls Mitarbeiter bei einer Airline oder einem anderen Reiseunternehmen und möchtet Euren Alltag und Eure Gedanken zur aktuellen Situation teilen? Schickt uns gerne die Geschichte an redaktion@reisetopia.de und wir veröffentlichen diese! 


Der Beginn der Corona-Krise

Es ist Mitte Februar 2020. Wie so oft bin ich gut gelaunt und leicht verschlafen an einem der deutschen Airports unterwegs, und stehe kurz vor Antritt meiner Dienstreise. Zwar ist Corona zu diesem Zeitpunkt schon in meinem Kopf präsent, am Flughafen jedoch nicht wirklich zu spüren. Die Menschen drängen sich wie üblich an der Sicherheitskontrolle und nur vereinzelt wird eine Gesichtsmaske getragen. Ich selbst trage auch keine Maske, achte jedoch penibel darauf, meine Hände nach jedem Kontakt gründlich zu waschen und zu desinfizieren. Insbesondere nach der Handhabung der Plastikschalen an der Sicherheitskontrolle, die auch ohne Corona erhebliche Keimherde darstellen.

Dass Corona nun endgültig in Europa angekommen ist, realisierte ich schlagartig in der ersten Märzwoche auf einer Dienstreise von Wien nach Bukarest mit Austrian Airlines. Trotz des für Geschäftsreisende beliebten 07:15h-Fluges herrschte gähnende Leere im gesamten Terminal. Ich erlebte mein schnellstes „Boarding complete“ innerhalb von nicht einmal 5 Minuten, da sich nur eine Handvoll Passagiere an Bord befanden. Mir war nun endgültig klar, dass der Luftfahrtbranche gravierende und langfristige Einschnitte bevorstanden.

Wie komme ich zum Fliegen?

Damit Ihr wisst, wer hier schreibt, möchte ich mich Euch gerne etwas näher vorstellen. Ich bin Mitte zwanzig und arbeite seit fast drei Jahren als Manager einer namhaften Fluggesellschaft. Zuvor studierte ich BWL mit den Schwerpunkten Tourismus und Verkehrsträgermanagement. Meine Leidenschaft für die Airline-Industrie wurde schon früh geweckt, vermutlich inspiriert durch meinen Vater, der Triebwerksingenieur ist, und mit mir zusammen immer die Flug Revue Zeitschrift durchblätterte.

Für mich stand fest, dass ich in meinen ersten Berufsjahren in einem internationalen Umfeld arbeiten möchte und somit möglichst viel Zeit an Flughäfen und in Flugzeugen verbringen. So kommt es, dass ich – zumindest in den Zeiten vor Corona – im Durchschnitt an zwei bis drei Tagen pro Woche im Flieger sitze. Umso mehr schmerzt es mich, dass meine letzte internationale Dienstreise am 11. März stattfand, und ich nun seit mehr als vier Wochen im Home Office sitze. Auf der anderen Seite tut es gut, mal etwas zur Ruhe zu kommen, Zeit zum Nachdenken zu haben und über einige Dinge reflektieren zu können.

Im Folgenden möchte ich Euch schildern, wie ich als Airline Mitarbeiter den Verlauf der Corona-Krise wahrgenommen habe, wie das Unternehmen an uns Mitarbeiter kommunizierte, welche Maßnahmen getroffen wurden und wie es in Zukunft weiter gehen wird.

Versiegen des Cash Flows

Wie ich schon am Anfang schrieb, tangierte uns Corona nur entfernt, bevor das Virus zu einer Pandemie ausartete. Die ersten schmerzhaften Schritte, die ein Raunen durch die Belegschaft gingen ließen, war die weitestgehende Einstellung der China-Routen. Diese wichtigen Verbindungen nicht mehr zu bedienen war zweifelsfrei ein schwerer und dennoch richtiger Schritt vor dem Hintergrund der Gesundheit der Passagiere und Crewmitglieder – bei Weitem jedoch noch kein existenzbedrohender Umstand. Zu diesem Zeitpunkt verzeichneten wir auch bereits einen deutlichen Rückgang neu eingehender Buchungen für den europäischen Verkehr, speziell für die norditalienischen Geschäftsreiseziele.

Die größte Buchungslücke entstand bei den Geschäftsreisenden mittlerer und großer Firmen, die unter normalen Umständen zu eher spontanen Buchungen tendieren, und nun fast komplett ausfielen. Erste Firmen führten in diesem Zuge Reiserestriktionen ein, und untersagten ihren Mitarbeitern Dienstreisen in gefährdete Gebiete. Die langfristig gebuchten Leisure Destinationen hingegen, wie etwa die Kanaren, wurden noch weiterhin mit hoher Auslastung bedient. Natürlich verfolgten wir diese Entwicklungen haargenau und mussten erste Umsatzrückgänge in Millionenhöhe zur Vorjahresperiode verzeichnen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits alle Mitarbeiter in Alarmbereitschaft, es konnte jedoch keiner absehen, was noch kommen sollte, da sich Corona bislang auf einzelne Gebiete beschränkte.

Waren es anfangs noch vereinzelte Unternehmen mit spezifischen Reiserestriktionen, wurden es innerhalb weniger Tage dutzende Firmen mit einem weltweiten Reiseverbot. Parallel verschärften immer mehr Länder ihre Einreisebestimmungen, sodass auch immer mehr Freizeit-Reisende ihre Reise nicht mehr antraten und keine neuen Buchungen tätigten. Kurz um, unser Cash Flow kam auf einigen Routen fast komplett zum Erliegen. Das normalerweise sehr vorteilhafte und attraktive System der Vorabbezahlung und erst nachgelagerten Inanspruchnahme der Flugleistung entwickelte sich genau gegenteilig zu unserem größten Nachteil.

Wie die Airlines weiter reagierten dürfte Euch allen bekannt sein: Routen wurden massiv eingestellt, dutzende Flugzeuge, teilweise ganze AOC’s gegroundet und das Netzwerk um gut 90 Prozent auf einen Rumpfflugplan reduziert.

Interne Maßnahmen des Unternehmens

Unsere Geschäftsführung vernahm die wachsende Sorge der Mitarbeiter sehr schnell und eröffnete bereits zu Beginn einen sehr transparenten Kommunikationsfluss. In regelmäßigen Abständen informierten Teile der Geschäftsführung via Webcast über konkrete Zahlen und ließen die Belegschaft an vielen Prozessen und möglichen Szenarien teilhaben. Schon vor Corona gab es solche Webcasts, es wurde jedoch noch nie so offen und detailliert, wie in diesen Zeiten berichtet. Parallel entwickelte sich unsere interne Mitarbeiter App zu einer News-App mit Liveticker deren Push-Nachrichten fast so regelmäßig eintrafen, wie meine E-Mails.

Auf diese Weise wurde jedem Mitarbeiter – sei es im Management, der Kabine oder dem Cockpit – bewusst, in welcher prekären Lage wir uns befanden. Gleichzeitig wirkte es jedoch auch beruhigend, da sich zeigte, wie agil das Unternehmen am Markt agieren kann und, dass es konkrete Krisenpläne aufgrund bereits durchstandener Krisen (Beispiel 9/11) gibt, die zuverlässig greifen.

Die persönliche Kommunikation der einzelnen Geschäftsführer ging sogar derart in die Tiefe, dass sich unser Chief Operation Officer die Zeit nahm, den Teams auch auf Abteilungsebene Rede und Antwort zu stehen. Ein, wie ich finde, wirklich respektables Commitment und Engagement der Geschäftsführung.

In unserem Team wurde umgehend zu Beginn der Krise eine absolute Kostendisziplin eingeführt. Jegliche Dienstreisen wurden untersagt, laufende Projekte von heute auf morgen eingestellt, Budgets auf teilweise 0 Euro gekürzt, und selbst Bestellungen für Büromaterial wurden nicht mehr genehmigt. Zusätzlich wurde für alle Mitarbeiter, die nicht zwingend im Büro sein müssen, Home Office angeordnet. Bereits ahnend, dass es sich um einen längeren Zeitraum handeln wird, klemmte ich mir meinen großen Bildschirm unter den Arm und verließ das Büro auf unbestimmte Zeit. Damit existierte die Arbeitswelt, wie ich sie bisher kannte, nicht mehr.

Als weitere einschneidende, aber logische Maßnahme wurde die Kurzarbeit eingeführt, in welcher ich mich seit Anfang April zu 50 Prozent befinde. Diese wird voraussichtlich bis Ende September gelten, wobei jeder Monat einzeln erneut bewertet wird. So gehe ich aktuell davon aus, dass ich im Mai die Kurzarbeit von 50 Prozent weiter auf ca. 75 Prozent erhöhen muss. Waren vor Corona noch Überstunden die Regel, freue ich mich mittlerweile über eingehende E-Mails. Ohne stattfindende Flüge und Buchungen hat das Arbeitsvolumen spürbar abgenommen.
So hart die damit einhergehenden finanziellen Einschneidungen für mich und einen jeden Mitarbeiter sind, so sinnvoll erachte ich die Kurzarbeit, um betriebsbedingte Kündigungen vorerst zu vermeiden. Hier zeigt sich mein Unternehmen aktuell noch weitaus sozial geprägter als manch andere europäische Fluggesellschaft, die den günstigeren Weg der Entlassung gewählt hat. Doch auch solche Entlassungen wird es geben, diese wurden nun schon angekündigt. Dass wir mit einer gleichbleibenden personellen Stärke aus der Krise hervorgehen werden, bezweifelte ich von Beginn an.

Job-Angst und künftige Entwicklung

Viele Fragen sich sicherlich, ob ich nicht Angst um meinen Job verspüre? Ein mulmiges Gefühl ist zweifelsfrei vorhanden, aktuell habe ich persönlich jedoch keinen Grund zu der Annahme, gekündigt zu werden. Ich weiß zum einen um die Bedeutsamkeit meiner Stelle und dem Team in dem ich arbeite, und zum anderen vertraue ich dem Credo der Geschäftsführung, möglichst viele Mitarbeiter an Bord zu halten. Zudem musste ich relativ früh im Laufe meiner Karriere realisieren, in welch dynamischen Umfeld ich tätig bin – so sind sich schnell ändernde Marktbedingungen und Airline-Insolvenzen eher die Regel als die Ausnahme. Starke Nerven sind Voraussetzung und ein gewisses Grundlevel an Unsicherheit schwingt ohnehin immer mit. Wir haben aber ausreichend finanzielle Mittel, um die Krise überstehen zu können, sofern diese nicht viel länger andauert als gedacht.

Hoffnung macht mir Anfangs ein Blick nach China und ein jüngst veröffentlichter Artikel des Lufthansa Innovation Hubs, der einen ebenso schnellen Wiederanstieg, wie den ursprünglichen Fall des nationalen chinesischen Luftverkehrs analysiert hat. Die Zahlen in China steigen zwar noch langsam, entwickeln sich aber schon positiv. Ebenso weiß ich um die Dringlichkeit vieler Unternehmen, ihre Produktionen und Lieferketten wieder aufzunehmen, welche in einer erhöhten Flugnachfrage resultieren werden. Bemerkenswert finde ich ebenfalls die Tatsache, dass nach aktuellem Stand (Ende April) immer noch die Destinationen Rom und Mailand bedient werden, da diese scheinbar für kurzfristige Reisen nachgefragt werden. Dieser Umstand verdeutlicht den Willen und die Notwendigkeit zu fliegen. Inwiefern sich die jüngst auferlegten Einreise-Quarantäne-Vorschriften der Bundesregierung auswirken, bleibt natürlich weiter abzuwarten.

Ich bin überzeugt, dass mit Lockerungen der Einreisebestimmungen der Länder die Flüge sogleich wieder aufgenommen werden. Dabei gehe ich jedoch von einer starken Kapazitätsreduzierung aus, welche hauptsächlich die künstlich erzeugten Überkapazitäten betreffen werden. Preislich gesehen wird es zum Ende der Krise hin bestimmt eine kurze Preisschlacht geben, um die Nachfrage wieder anzukurbeln. Langfristig sehe ich jedoch steigende Preise aufgrund der Reduzierung des Wettbewerbs. Ich gehe davon aus bzw. hoffe natürlich, dass sich bereits im Mai die Buchungslage (nicht die stattfindenden Flüge) für domestische und ausgewählte europäische Destinationen langsam anfängt zu erholen, und ein Grundlevel des benötigten Cash Flows sichert. Erste Anzeichen sind dafür schon zu erahnen, stehen jedoch in starker Korrelation zu dem weiteren Verlauf externer Einflüsse wie Kontaktbeschränkungen, und können schnell wieder kippen.

Wann genau wir uns wieder bedenkenlos im Schengenraum bewegen können, vermag ich nicht zu sagen, geschweige denn im interkontinentalen Luftverkehr. Fest steht nur, dass es die Art und Weise, frei und ohne Einschränkungen zu Reisen, sicherlich auf unbestimmte Zeit nicht mehr geben wird. Einen Weg zu fliegen werden die meisten von uns aber dennoch finden (müssen). In diesem Sinne bleibe ich zuversichtlich und halte mich aus dem Home Office und der Kurzarbeit heraus „einsatzbereit“.

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Autorin

Lena Goller war COO bei reisetopia und von Februar 2020 bis Juli 2024 Teil des Teams sowie der Geschäftsführung. Auch, wenn sie im Sommer 2021 die Redaktionsleitung übergeben hat, hat sie weiterhin noch gerne über ihre luxuriösen Reiseerlebnisse geschrieben und sich ansonsten primär auf operative Prozesse sowie ihr Lieblingsthema, das Affiliate Marketing, fokussiert.

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