Das 9-Euro-Ticket ist am Pfingstwochenende gestartet und hat zum Start insbesondere in Urlaubsregionen direkt zu Chaos geführt. Ein Erfahrungsbericht auf dem Weg von Hamburg nach Kiel.
Dass es in den Zügen zu Zielen am Meer oder auch in die Berge an Wochenenden voller wird, ist keine große Neuigkeit und hat auch wenig mit dem 9-Euro-Ticket zu tun. Das gilt insbesondere dann, wenn das Wetter auch noch mitspielt. Wenn dann auch noch Feiertage und Ferien dazu kommen, nimmt die Auslastung gemeinhin noch weiter zu. Doch was an den Pfingsttagen gerade in Richtung Nord- und Ostsee passiert, zeigt dennoch das Dilemma des 9-Euro-Tickets und möglicherweise auch schlichtweg das unglückliche Timing der Einführung dessen. Ein Einzelfall war das dabei keineswegs, wie zahlreiche Artikel in Zeitungen und Zeitschriften zeigen.
Sonne, Ferien und das 9-Euro-Ticket
Nun ist das 9-Euro-Ticket nicht deshalb am 1. Juni gestartet, weil wenige Tage später Pfingsten ist, sondern weil eine frühere Umsetzung nicht möglich war. Dennoch hätte man sich potenziell denken können, dass die Situation alles andere als einfach werden würde, wenn so viele verschiedene Dinge zusammenfallen. Sind die Züge an Wochenenden, gemeinhin an solchen mit Feiertagen sowieso schon voll und kommen dann auch noch die Ferien in fast allen Bundesländern dazu, steht eine Sache von vornherein fest: Es wird ausgesprochen voll. Dass es mit dem 9-Euro-Ticket zusätzliche Effekte geben würde, war abzusehen, weswegen man infrage stellen darf, ob das Pfingstwochenende der perfekte Zeitraum zum Start war.
Das gilt insbesondere deshalb, weil gerade am Anfang natürlich auch ein besonders großes Interesse an solchen Angeboten vorherrscht und jeder die neue Reisefreiheit für den schmalen Taler gerne testen möchte. Wenn dann auch noch die Sonne scheint – sozusagen Glück im Unglück in Norddeutschland – ist Chaos vorprogrammiert. Der Bahn kann man hier nicht einmal so recht einen Vorwurf machen, denn aller Vorbereitung zum Trotz gibt es schlichtweg nicht auf einmal zusätzliches Rollmaterial und auch die Trassen können nicht von heute auf morgen ausgebaut werden. Teilweise gaben die Verkehrsverbünde sogar bekannt, dass sie längere Züge oder solche in Doppeltraktion einsetzen, um dem Andrang Herr zu werden. Auf der Strecke von Hamburg nach Kiel habe ich beispielsweise sogar einen Regionalzug mit acht Doppelstockwagen gesehen – die Kapazitäten wurden also sogar noch relevant aufgestockt.
Kein Einstieg wegen überfüllten Zügen
Dennoch hatte ich gewissermaßen schon erwartet, dass das Zugfahren an diesem Wochenende ein Abenteuer werden könnte. Gleichzeitig dachte ich mir persönlich, dass es mit einer BahnCard 100 für die 1. Klasse schon klappen dürfte, immerhin ist die 1. Klasse in Regionalzügen meist nicht allzu stark ausgelastet, zumal das 9-Euro-Ticket nicht für diese Reiseklasse gilt. Als ich dann relativ spontan am Samstag den Regionalexpress von Hamburg nach Kiel nehmen wollte, bekam ich allerdings direkt einen Vorgeschmack auf das, was einen in den nächsten Tagen wohl noch öfter erwarten dürfte: Schon ein Einstieg in den Zug war wenige Minuten vor Abfahrt nicht mehr möglich.
Unabhängig von der Reiseklasse war der Zug bereits restlos voll, sodass jegliche weiteren Passagiere schon am Startbahnhof nicht mehr einsteigen konnten. Immerhin konnte der Zug dank dieser „Vorsichtsmaßnahme“ rechtzeitig abfahren, wenngleich der Blick von außen doch zeigte: Im Prinzip war der gesamte Zug überfüllt und auch in allen Gängen und Freiflächen standen Menschen und Gepäckstücke. Ich nahm es mit einer Prise Humor und wartete entsprechend auf den nächsten Regionalzug nach Kiel, der immerhin im Stundentakt fährt. Ohne relevante Termine kein allzu großes Problem, wenn man nun auf einen Anschlusszug angewiesen ist oder zwingend an einem Ort ankommen möchte, aber natürlich ein Desaster – manch einen wird das in diesen Tagen dazu bringen, zur Sicherheit doch lieber das Auto zu nehmen.
Keine Abfahrt wegen Überfüllung und Sicherheitsrisiken
In weiser Voraussicht entschied ich mich für den nächsten Regionalzug bereits 20 Minuten vorher am Gleis zu sein (die Züge aus Kiel wenden am Hamburger Hauptbahnhof und stehen meist etwa 30 Minuten am Gleis). Beim Einstieg war der Zug bereits sehr stark ausgelastet und selbst in der 1. Klasse noch einen Sitzplatz zu bekommen gestaltete sich schwierig. Zwar durfte ich mich über diesen Luxus am Ende sicherlich glücklich schätzen, wenngleich schon fünf Minuten später alle Plätze belegt waren. Während die Situation für mich insgesamt relativ entspannt war, standen die meisten Passagiere in der zweiten Wagenklasse zu diesem Zeitpunkt bereits. Doch selbst das sollte nur ein Vorgeschmack sein, denn je näher die Abfahrt rückte, desto voller wurde der Zug.
Zur schlussendlichen Abfahrtszeit war der Zug inklusive aller Gänge völlig überfüllt. Los ging es zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keineswegs, denn mit Blick auf die Auslastung verwehrte das Zugpersonal die Abfahrt. Als Begründung wurde aufgeführt, dass die Fluchtwege nicht gewährleistet werden können, wenn alle Gänge verstopft sind – mit Menschen, Fahrrädern und Gepäck. Gerade nach dem Zugunglück in Bayern vor wenigen Tagen eine sicherlich für jeden nachvollziehbare Entscheidung. Dennoch sollte sich nicht viel ändern, denn wie aus solchen Situationen bekannt, verlässt nahezu niemand freiwillig den Zug. Die Folge: Eine Zwangsräumung durch die Bundespolizei.
Fahrradmitnahme verwehrt und Busse nach Kiel
Gleichzeitig wurden immerhin auch zwei zusätzliche Bus nach Kiel bereitgestellt, was durchaus positiv hervorzuheben ist. Freiwillig verlassen hat den Zug dennoch kaum jemand, auch dann nicht, als explizit darauf verwiesen wurde, dass alle Fahrräder (vermutlich inklusive Besitzern) aussteigen müssten. Auf immer mehr Strecken vermeldeten die Betreiber am Wochenende nun sogar, dass die Fahrradmitnahme gänzlich verweigert werde. Etwa zehn Minuten später erfolgte also das, was man schon angekündigt hatte: Die Zwangsräumung des Zuges durch die DB Sicherheit und die Bundespolizei. Alle Passagiere in den engen Gängen wurden aus dem Zug gebeten – immerhin in einer relativ freundlichen Art und Weise. Der eine oder andere Disput konnte allerdings nicht vermieden werden.
Gleichzeitig traf immerhin auch schon der nächste Regionalzug nach Kiel ein, der am gegenüberliegenden Gleis haltmachte, was zu einer gewissen Entspannung der Situation geführt hat – die Verspätung war zu diesem Zeitpunkt sowieso bereits auf mehr als eine halbe Stunde angewachsen. Noch einmal knapp zehn Minuten später ging es dann tatsächlich weiter – immerhin ohne größere Dramen an den Folgebahnhöfen (am Bahnhof Dammtor hatte man am Ende sogar bessere Chancen in den Zug zu kommen als am Startbahnhof). Mit Blick auf meinen ursprünglich geplanten Zug kam ich dennoch nicht in etwas mehr als einer Stunde in Kiel an, sondern nach knapp drei Stunden an, womit ich sicherlich noch Glück hatte.
Ein heißer Sommer mit dem 9-Euro-Ticket
Passend zur hitzigen Stimmung kam auch noch eine kaputte Klimaanlage dazu, womit man auch noch ein wenig Sauna-Gefühle auf dem Weg ans Meer genießen durfte. Das könnte man gewissermaßen als sinnbildlich für das sehen, was uns in den Sommermonaten in einigen Zügen erwarten dürfte. Das gilt sicherlich nicht für jeden Tag und keineswegs für alle Strecken, doch gerade die beliebten Strecken in die Berge und ans Meer dürften ein Abenteuer werden, wie die vielen Medienberichte der letzten Tage eindrucksvoll zeigen. Diejenigen, die wegen des 9-Euro-Tickets nun den öffentlichen Nahverkehr nutzen, dürften so eher abgeschreckt werden, denn wegen der zusätzlichen Auslastung werden Verspätungen und Probleme zur Tagesordnung gehören.
Nun mag mein Erlebnis eine Ausnahme gewesen sein, aber ein Zug in eine Stadt ohne echten Strand am frühen Nachmittag ist eben auch noch keineswegs ein Extrembeispiel. Gerade wenn die Sommerferien in immer mehr Bundesländern beginnen, kann man sich darauf einstellen, dass Züge an die Nord- und Ostsee sowie an die Seen und in die Berge zu einer echten Herausforderung werden. So sehr dies sicherlich auch ohne 9-Euro-Ticket gegolten hätte, wird sich der Effekt in diesem Jahr noch einmal deutlich verstärken, zumal es sich auch noch um den ersten Sommer ohne echte Corona-Einschränkungen handelt. So dürfte es leider sehr schwierig werden, mehr Leute vom öffentlichen Nahverkehr zu überzeugen.