95 Prozent bis zum Jahr 2030. Mehr Ambition traut man sich bei der Lufthansa mit Blick auf die Allegris-Umrüstung nicht zu. Doch eben diese Probleme von heute könnten zum existenziellen Risiko für die Zukunft werden.

Über das Desaster der Einführung des Lufthansa Allegris Produkts ist in den vergangenen Jahren viel geschrieben worden. 2017 das erste Mal angekündigt, davor vermutlich schon mehrere Jahre in Konzeption und Entwicklung, waren erst im vergangenen Jahr die ersten Maschinen mit den Allegris-Sitzen unterwegs. Mehr als zwölf Monate später sind die neuen Sitze gerade einmal auf etwa fünf Prozent der Langstreckenmaschinen zu finden. Statt wenig ambitionierter Umrüstungspläne ist es Zeit für radikale Schritte, um das verlorene Jahrzehnt wieder aufzuholen.

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Nicht einmal 50 Prozent Allegris nach einem Jahrzehnt

Dass bei der Produkteinführung einiges schiefgehen kann, hat in den vergangenen Jahren nicht nur die Lufthansa erlebt. Doch die schiere Vielzahl an Dramen rund um die Allegris Business Class sowie später auch die Allegris First Class dürfte in der Geschichte der kommerziellen Luftfahrt einmalig sein. Monat für Monat kommen neue Hiobsbotschaften, verschieben sich Timelines. Nun steht ein neuer Plan: Bis 2030 sollen 95 Prozent der Lufthansa- und Swiss-Flotte das neue Produkt aufweisen.

Die dazu veröffentlichten Details und insbesondere die passende Grafik erinnern an die Planung von Start-ups. Zum einen wird geschickt der verschwindend geringe Anteil der Allegris-Maschinen in den Jahren 2025 und 2026 grafisch optimiert dargestellt. Zum anderen zeigt sich ein bekanntes Phänomen: In den nächsten Jahren sind die Wachstumsziele bescheiden, ganz große Sprünge kommen in der ferneren Zukunft.

Bis ins Jahr 2030 soll die Allegris-Umrüstung nun dauern

Eben jene Planung hat das Potenzial für weitere Verschiebungen, ob durch eine verzögerte Auslieferung der Boeing 777X oder auch Probleme bei der Umrüstung, die heute bisher nicht bekannt sind. Die entscheidenden Jahre werden laut der Planung der Lufthansa 2027, 2028 und 2029, was viel über das Ambitionsniveau aussagt.

So schön 95 Prozent in fünf Jahren auch klingen, könnte man auch sagen: In zwei Jahren sind Lufthansa und Swiss voraussichtlich noch immer nicht einmal bei 50 Prozent Allegris- oder Senses-Sitzen in den eigenen Maschinen. Ein ganzes Jahrzehnt nach Ankündigung des Produkts, bisher nicht einmal eine hälftige Flottendurchdringung zu erreichen, mutet fast schon wie eine Parodie an. Doch eben solche Zahlen erwähnt man vor den eigenen Aktionären natürlich lieber nicht.

Selbst in einem halben Jahrzehnt sind keine 100 Prozent drin

Die neu angekündigte Timeline für die Umrüstung auf das neue Business Class und First Class Produkt von Lufthansa und Swiss wirkt allerdings nicht nur mit Blick auf die nahe Zukunft wenig ambitioniert. Sie ist gewissermaßen auch insoweit ein Armutszeugnis, als man sich mittlerweile wohl gar kein Ziel mehr dafür setzt, wann die gesamte Flotte mit der neuen Lufthansa Allegris Business Class oder Lufthansa Allegris First Class unterwegs sein wird.

Auch die neue Allegris First Class gibt es wohl erst ab 2028 in vielen Maschinen

Selbst zu Beginn des kommenden Jahrzehnts liegt das Ziel der Lufthansa nur bei 95 Prozent. Wohlgemerkt ist hier die Rede von einem Ziel – eben solche wurden mit Blick auf den Rollout von Allegris bislang fast immer verfehlt. Doch selbst bei den gesteckten Zielen ist man mittlerweile gänzlich davon abgerückt, überhaupt noch auf 100 Prozent zu kommen. Von dieser Zahl war bei der Ankündigung sogar gar nicht mehr die Rede.

Der Hintergrund dürfte sein, dass man bei der Lufthansa den ursprünglichen Plan, die gesamte Flotte auf Allegris umzurüsten, aufgegeben hat. Der Airbus A380 wird wohl wegen erwartbarer Probleme bei der Zertifizierung am Horizont einfach ein anderes Produkt von der Stange bekommen und wohl auch noch bis mindestens 2030 im Einsatz bleiben. Ob bei der Zertifizierung und Umrüstung anderer Maschinen alles problemlos laufen wird, darf man ebenfalls infrage stellen.

Das alte Lufthansa Business Class Produkt wrid einem noch lange begegnen

95 Prozent Flottenumrüstung knapp 15 Jahre nach dem Entwicklungsstart eines neuen Bordprodukts als Zielmarke dürften dafür der Lufthansa fraglos einen Platz in den Geschichtsbüchern der kommerziellen Luftfahrt sichern.

Mindestens ein Jahrzehnt verpasster Innovationen durch Allegris

Doch es ist nicht nur die Vergangenheit, die für die Lufthansa mehr und mehr zum Problem wird. Der massive Fokus darauf, das enorme Chaos bei der Allegris- und Senses-Einführung in den Griff zu bekommen und die Maschinen in den kommenden Jahren umzurüsten, dürfte ein ganz anderes Problem heraufbeschwören. Die Lufthansa verpasst durch ihren Fokus auf die Vergangenheit die Innovation der Zukunft.

Während die Lufthansaseaten und ihre Schweizer Kollegen damit beschäftigt sind, sich für neue Allegris-Sitze zu feiern, haben andere Airlines bereits eine komplette Produktgeneration in ihren Maschinen eingebaut und arbeiten schon am Umbau auf die nächste Innovationsstufe. Beispiel American Airlines: In diesem Jahr wurden neue Business Class Sitze eingeführt, in schon vier Jahren könnte diese nächste Innovationsstufe in allen Maschinen verbaut sein.

Andere Airlines sind in der Business Class schon eine Produktgeneration weiter

Wenn die Lufthansa in ihrer eigenen Planung 95 Prozent Allegris- beziehungsweise Senses-Quote erreicht, dürften andere Airlines schon bei 100 Prozent der Folgegeneration von Premiumsitzen im Flugzeug angekommen sein. Beispiele dafür gibt es viele, von ANA in Japan bis zu Air France in Europa. Andere Airlines dürften in den kommenden Jahren folgen – für die Lufthansa könnte das gerade im hart umkämpften und margenträchtigen Markt für die Business Class zum massiven Problem werden.

Verlorenes Jahrzehnt kann nur mit radikalen Schritten aufgeholt werden

Für die Lufthansa sollte eben jener Blick auf andere Fluggesellschaften deutlich zeigen: Es bedarf radikaler Schritte, um auch in Zukunft mit der Konkurrenz mithalten zu können. Die vergangenen Jahre, in denen die Airline in Scharen zahlungskräftige Kunden an mittlerweile deutlich margenträchtigere Airlines wie British Airways oder Air France verloren hat, sollten dabei Mahnung genug sein. Eben jenes Schicksal droht in wenigen Jahren wieder, wenn die Konkurrenz erneut eine Produktgeneration Fortschritt in der Business Class hat.

Spätestens im Jahr 2025 sollten die Ingenieure der Lufthansa sowie die Flottenverantwortlichen sich daran machen, das Bordprodukt der Zukunft zu bedenken. Gelernt sollte die Airline dabei haben, dass eine Eigenentwicklung eher ein Weg ins Verderben denn eine einzigartige Möglichkeit ist. Entsprechend gilt es sich, ganz ohne eigene Animositäten, den Markt anzusehen und nach dem besten Bordprodukt der Zukunft für die Flotte zu suchen.

Statt Allegris bis 2030 braucht es Mut für einen Strategiewechsel

Richtig wäre es dabei auch, dass man die Allegris-Einführung stoppt und einfach direkt ein bereits zertifiziertes Produkt der nächsten Generation einbaut, wie es andere Airlines längst vormachen. Die 95 Prozent Allegris-Quote würde man auf diesem Weg zwar nie erreichen, aber man hätte zumindest eine konkurrenzfähige Zukunft als Airline in den wichtigsten Kundensegmenten.

Bleibt die Frage, ob man sich diesen Schritt bei der Lufthansa traut. Fraglos wäre es das finale Eingeständnis des Unvermögens bei der Einführung des neuen Produkts. Bei einem börsennotierten Unternehmen mag man allerdings annehmen, dass die wirtschaftlich bessere Entscheidung für die Zukunft des Unternehmens über persönlichen Befindlichkeiten steht. Es bleibt zu hoffen, dass man sich auch bei der Lufthansa traut, diesen Weg zu gehen. Ansonsten dürfte die Zukunft der prestigeträchtigen Airline düster aussehen.

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Autor

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