Das Jahr 2020 geht zu Ende und es dürfte den wenigsten positiv in Erinnerung bleiben. Gerade wer das Reisen liebt, hatte eine schwere Zeit in einem Jahr, in dem viele Selbstverständlichkeiten verloren gegangen sind – möglicherweise aber eben auch viel gelernt.
Ich darf mich selbst in vielerlei Hinsicht als privilegiert bezeichnen, besonders in der Welt des Reisens. Schon als Schüler durfte ich als Redakteur zu internationalen Events reisen und neue Städte entdecken, noch als Teenager ging es beruflich nach Shanghai oder Los Angeles. Mit Anfang 20 konnte ich erstmals die Business Class und viele Luxushotels erleben. Seitdem wurde die Geschwindigkeit der Weltentdeckung nicht langsamer: Mit 22 Jahren hatte ich alle Kontinente erkundet, war in mehr als 50 Ländern und bereits in der First Class unterwegs. Es folgten außergewöhnliche Erfahrungen mit dem Leben im Ausland, einer Art Pendeln nach Asien für mehr als ein halbes Jahr und vielem mehr. Doch dann kam 2020 – ein Jahr, das einem vor Augen führt, wie dankbar man für solche Erfahrungen sein muss, weil die für mich schönste Nebensache der Welt eben nicht selbstverständlich sind.
Ein Leben ohne die weite Welt zu Füßen
Wenn ich daran zurückdenke, wie meine Welt noch vor wenigen Jahren aussah, gab es nur zwei limitierende Faktoren für Reisen. Da war auf der einen Seite die fehlende Zeit, anfangs durch das Studium, später durch den Aufbau der eigenen Firma. Auf der anderen Seite natürlich auch das fehlende Geld, denn einmalige Reiseerlebnisse – besonders mit einem Faible für Luxus – gibt es eben auch nicht umsonst. Irgendwann ist auch ein gewisses Umweltbewusstsein dazu gekommen, was etwa kurze Wochenendreisen mit dem Flugzeug angeht. Doch was mir vor dem Jahr 2020 nie als limitierender Faktor aufgefallen ist, sind Reisebeschränkungen. Das mag auch daran liegen, dass man als Deutscher qua Geburt privilegiert ist und einen der stärksten Pässe der Welt hat. Doch selbst mehrere Visa für China waren mehr Formsache als ein größeres Hindernis – die Welt lag mir und eigentlich jedem Reisefan in den letzten Jahren zu Füßen.
Vor zwölf Monaten war eine der schwersten Entscheidungen bei der Reiseplanung, wo es hingehen sollte – die Auswahl war einfach so groß, die Möglichkeiten so vielfältig. Kontinent, Land, Stadt, Hotel, Sehenswürdigkeiten – die Qual der Wahl dürfte für manch einen bei der Reiseplanung oftmals überfordernd gewirkt haben. Klar war eigentlich immer: Die weite Welt liegt einem zu Füßen, wenn man denn genügend Geld und genügend Zeit mitbringt. Im Jahr 2020 ist diese Selbstverständlichkeit von einem Tag auf den anderen verloren gegangen. Statt sich zwischen tausenden Optionen zu entscheiden, galt es nach den wenigen potenziellen Reisedestinationen zu suchen – und jeweils ganz genau hinzusehen, was Einreise- und Quarantänebestimmungen angeht. Selbst diese minimale Freiheit ist mittlerweile nahezu wieder komplett verloren gegangen, denn zum Ende des Jahres sind Reisen nahezu wieder zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden – die weite Welt liegt mittlerweile wie ein Scherbenhaufen vor den Füßen.
Eine ICE-Fahrt zur Familie wird zum Event
Es gab Jahre, in denen ich nicht nur Dutzende Flüge, sondern auch mehr als hundert Fahrten im ICE absolviert habe. Das klingt nicht unbedingt erstrebenswert, doch es dient als perfektes Beispiel. Warum? Weil ich in den letzten Wochen das Gefühl hatte, dass schon eine Fahrt mit dem Schnellzug zur Familie gewissermaßen Freiheit bedeutet, die es so nicht mehr gibt. Bahnhöfe und auch Flughäfen waren einst die Orte, an denen man auf die Anzeigetafel blickte und eine schier unendliche Auswahl an Destinationen zur Auswahl hatte. Bis heute finde ich es faszinierend, die vielen Möglichkeiten zu sehen und mir vorzustellen, wie es an einem bestimmten Ort wäre. Noch vor drei Jahren war ich in Frankreich mit einem Abonnement für den TGV ausgestattet und teils mehrmals pro Woche in allen Teilen des Landes: Spätestens da wurde mir klar, was für ein unglaubliches Gefühl es ist, die Freiheit zu haben, einfach an einen beliebigen Ort zu fahren – in die Berge, an den Strand, in eine Großstadt und dass ohne jegliche limitierende Faktoren.
Mit diesem Hintergrund versteht man vielleicht besser, warum selbst eine ICE-Fahrt mittlerweile zu einem Event werden kann. Gewissermaßen gibt einem ein Schnellzug das Gefühl, dass die Welt sich nicht so sehr verändert hat, wie sie es eben Realität ist. An Bahnhöfen wirkt noch alles relativ normal, immerhin hat die Bahn ihr Angebot kaum reduziert. An Flughäfen dagegen sieht man momentan schon ein Trauerspiel, denn die Anzeigetafeln geben einem nicht mehr wirklich das Gefühl von Freiheit. Zumindest fühlt es sich nicht nach der selbstverständlichen Freiheit an, die man von früher kennt, wenn man nur noch aus den Destinationen Frankfurt, Istanbul und Paderborn wählen kann.
Ein Jahr zur Rückbesinnung auf das Außergewöhnliche
Es steht außer Frage, dass ich im Jahr 2020 sowieso noch enorm viel Glück hatte, was meine Reisen angeht – immerhin war ich sowohl auf den Malediven (vor der ersten Welle), in der Schweiz und in Italien (zwischen den Wellen) und auch noch ein wenig innerdeutsch unterwegs. Doch dennoch hat mir das Jahr 2020 in einer Art und Weise aufgezeigt, dass man sich auf Selbstverständlichkeiten der Vergangenheit nicht verlassen sollte. Es mag verrückt klingen, aber das 2020 hat mir persönlich in einer ganz neuen Art und Weise verdeutlicht, wie viel Glück ich hatte, all die einmaligen Reiseerlebnisse hautnah genießen zu können. Früher hatte ich in einer aus meiner Perspektive immer schnelleren, immer außergewöhnlicheren Reisewelt kaum einen Moment, um innezuhalten. Das wollte ich ehrlich gesagt auch nie, aber 2020 hat mich dazu gezwungen und das ist möglicherweise gar nicht einmal schlecht.
Dinge zu erleben mag schöner sein, als in Erinnerungen zu schwelgen. Doch wer wie ich das Privileg hatte, in wenigen Jahren in einer Art Achterbahnfahrt unendlich viel zu erleben, lernt durch ein solches Seuchenjahr auch viel dazu. Wer wie ich schon vor dem Ende der letzten Reise den Blick auf die nächste geworfen hat, lernt nun auf den harten Weg, dass die Selbstverständlichkeit dieser Lebensart eben nicht immer gegeben ist. Man kann diesen Moment gut nutzen, um glücklich darüber zu sein, was man erleben durfte – egal ob es ein einmaliger Flug, ein herausragendes Hotel oder ein ganz besonders Erlebnis an irgendeinem Ort der Welt war. Immerhin ist diese Selbstverständlichkeit, die wir in den letzten Jahren kennengelernt haben etwas, dass sowieso nur privilegierte Menschen erleben dürfen. Wir müssen für ein oder vielleicht zwei Jahre verzichten – andere ihr ganzes Leben lang.
Fazit zu einem Jahr ohne die schönste Nebensache der Welt
Das Jahr 2020 hat viele Träume zerstört und es hat jeden Reisefan sicherlich ins Herz getroffen, dass die zumindest aus meiner Sicht schönste Nebensache der Welt kaum mehr möglich war. Gleichzeitig sorgt dieses Jahr dafür, dass man einmal innehalten und auf besondere Momente zurückblicken kann. Dann nämlich merkt man, dass diese Selbstverständlichkeit etwas ganz Besonderes ist, das nur sehr wenigen Menschen vorbehalten ist. Die aktuelle Krise wird vorübergehen und die Selbstverständlichkeit wird zurückkehren – doch zumindest für mich hat sich für Reisen in Zukunft dennoch etwas verändert.