Das Oberverwaltungsgericht Münster hat die Quarantäneverordnung in Nordrhein-Westfalen für nichtig erklärt – das dürfte nur der erste Dominostein sein. Eine Änderung der Verordnung ist überfällig.
Die richtigen politischen Entscheidungen in einer nie dagewesenen Pandemie zu treffen, die sich nahezu täglich verändert und deren weitere Entwicklung absolut nicht einzuschätzen ist, könnte schwerer kaum sein. Vorwürfe gegen die ergriffenen Maßnahmen der Regierung sind entsprechend deutlich einfacher als die Entscheidungen selbst. Dennoch gilt: Alle Maßnahmen müssen immer wieder auf ihre Wirksamkeit überprüft werden und juristischen Grundsätzen standhalten. Gerade deshalb ist es an der Zeit, dass sich die Quarantäneverordnung der Bundesländer ändert – obwohl die Einführung der Maßnahme korrekt war und diese zudem auch weiterhin ihre Berechtigung hat.
Quarantäneverordnung stammt aus einer anderen Zeit
Die Formulierung “aus einer anderen Zeit” klingt immer ein wenig nach Historie, aber heutzutage verändert sich die Lage so schnell, dass schon wenige Monate eine Ewigkeit bedeuten können. Genau das trifft auch auf die Quarantäneverordnung zu, denn diese wurde ursprünglich im Frühjahr eingeführt und seitdem immer wieder angepasst. Die Logik dahinter war von Anfang an klar: Es sollte durch die verpflichtende Quarantäne bei der Rückkehr verhindert werden, dass Einreisende das Virus aus stärker betroffenen Regionen nach Deutschland einschleppen und damit dafür sorgen, dass sich die Pandemie weiter ausbreitet. Das ist ein angemessener Weg, um die Ausbreitung des Virus zu treffen und weiterhin eine geeignete und verhältnismäßige Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie – deshalb haben Gerichte an der Quarantäneverordnung in den letzten Monaten auch keinen Anstoß genommen. Zumindest bis jetzt.
Das Urteil des Oberverwaltungsgericht Münster, das die Quarantäneverordnung am gestrigen Freitag für NRW ausgesetzt hat, zeigt nämlich gerade wieder die schnelle Veränderung der Lage. Beanstandet wurde von den Richtern nicht der Grundgedanke der Verordnung, sondern der Fakt, dass in einigen der von der Verordnung erfassten Gebiete die Infektionszahlen geringer sind als in Deutschland. In der Begründung heißt es unter anderem: “Das von den Rückkehrern ausgehende Infektionsrisiko stelle sich jedenfalls bei vergleichbaren Inzidenzwerten nicht anders dar, als wenn sie daheim geblieben wären.” Genau diese Problematik dürfte auch in anderen Bundesländern zu ähnlichen Entscheidungen der Gerichte führen – sofern die Politik nicht zuvor selbst umsteuert und die Verordnungen anpasst. Hier muss analog zur Schweiz zukünftig ein differenzierter Ansatz gelten – dort muss nur in Quarantäne, wer aus einem Land zurückkehrt, das deutlich stärker vom Coronavirus betroffen ist als die Schweiz. Einen gewissen Beigeschmack hat das in der Schweiz dahingehend, dass kaum ein Land der Welt diesen Tatbestand erfüllt. In Deutschland wäre eine solche differenzierte Regel dagegen weiterhin mit vielen Einschränkungen verbunden – aber eben zielführend.
Sinnvolle Differenz nach Reiseland und Bundesland notwendig
Grundlegend sind die Möglichkeiten bei einer novellierten Quarantäneverordnung groß, zumal die Entscheidungen in Deutschland auf Landesebene fallen. Nachvollziehbar wäre es etwa, dass Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern – beide Länder verzeichnen weniger als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner – an den geltenden Regeln festhalten. Gleichzeitig ist es eben nicht verhältnismäßig, dass Länder in einer Inzidenz von deutlich über 150 wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen eine verpflichtende Quarantäne vorschreiben, wenn ein Reisender aus dem deutlich weniger betroffenen Finnland oder aus den Vereinigten Arabischen Emiraten einreist. Die Gerichte lassen dem Gesetzgeber in der Pandemie zudem generell viel Spielraum, sodass eine so weitreichende Regelung wie in der Schweiz gar nicht notwendig wäre. Die dortige Verordnung sieht vor, dass der Inzidenzwert 60 pro 100.000 Einwohner höher liegen muss, als in der Schweiz.
In Deutschland wäre denkbar, dass die meisten Gerichte akzeptieren, wenn eine Quarantäne schon dann notwendig wäre, wenn die Infektionszahlen im jeweiligen Land auch nur leicht höher liegen. Ganz sicher kann sich der Gesetzgeber allerdings nicht sein, denn das OVG Münster erklärte relativ klar, dass Infektionsrisiko höher sein müsse, als wenn die Reisenden zu Hause geblieben wären. Denkbar wäre also etwa eine flexible Regelung, bei der eine Quarantäne immer dann notwendig wäre, wenn die Inzidenz im jeweiligen Reiseland mindestens 25 pro 100.000 Einwohner höher liegt als in Deutschland. Für Bayern und Nordrhein-Westfalen würde dieser flexible Grenzwert beispielsweise aktuell bei 200 pro 100.000 Einwohner liegen. Durch diese Regelung wäre die Reiseplanung zwar immer noch nicht unbedingt einfach, da sich die Zahlen ja sowohl im Zielland als auch dem eigenen Bundesland schnell verändern können, aber die Regelung wäre zumindest wieder verhältnismäßig und sinnvoll.
Praktische Folgen einer sinnvollen Änderung halten sich in Grenzen
Allzu große Sorgen mit Blick auf einem Reiseboom durch eine Änderung der Quarantäneverordnung müssen sich die Länder zudem eigentlich nicht machen. Die Folgen in der Praxis sind nicht nur wegen der fehlenden Planungssicherheit voraussichtlich ziemlich gering. Vielmehr sind nämlich auch weiterhin die meisten Länder stärker vom Coronavirus betroffen als Deutschland und diejenigen, die eine geringere Inzidenz aufweisen, lassen vielfach keine deutschen Touristen ins Land. De facto ergeben sich auch bei einer sinnvoll angepassten Regelung also nur wenige Veränderungen, zumal es durchaus akzeptabel wäre, dass die Bundesregierung mit Blick auf unterschiedliche Teststandards und die Zahl der Tests bestimmte Länder weiter von der Regelung ausnimmt – etwa die Türkei, Russland, Brasilien oder Mexiko.
Relevante Veränderungen würde eine angepasste und juristisch dann wohl auch nicht angreifbare Regelung voraussichtlich aktuell beispielsweise wohl nur für die Vereinigten Arabischen Emirate, Chile oder auch die Malediven sowie einige kleinere und weniger relevante Reiseziele bringen – zumindest in einigen Bundesländern. Auch mit Blick auf Reisen in Europa könnte sich etwas verändern, denn während die meisten Länder eine höhere Inzidenz als alle deutschen Bundesländer aufweisen (z.B. Österreich, die Schweiz, Luxemburg, die Niederlande, Belgien, Frankreich oder Tschechien) und viele andere Länder keine deutschen Touristen ins Land lassen (z.B. Norwegen oder Finnland), gibt es doch ein paar Länder, in die Deutsche gegebenenfalls bald wieder ohne Quarantäne reisen könnte. Das betrifft beispielsweise die Slowakei, aber potenziell bald auch Griechenland oder Spanien, wo sich die Infektionszahlen nur leicht über dem durchschnittlichen Niveau der Neuinfektionen in Deutschland bewegen.
Landesregierungen sollten eine schnelle Änderung anstreben
Wichtig ist deshalb, dass die Landesregierung sich schnell mit dem Thema befassen – auch um weitere Gerichtsurteile zu verhindern, welche die Verordnung außer Kraft setzen. Die Situation in Nordrhein-Westfalen, so sehr sie Reisende erfreuen möchte, ist mit Blick auf die Pandemiebekämpfung nämlich keineswegs in Gänze gutzuheißen. Die Verordnung ist hier ab sofort komplett ausgesetzt, sodass auch bei einer Rückkehr aus sehr stark betroffenen Ländern wie Luxemburg oder Belgien keine Quarantäne notwendig ist. Dadurch dürfte eine Ausbreitung des Virus begünstigt werden, was keineswegs wünschenswert ist. Um das zu verhindern, sollten Nordrhein-Westfalen und andere Bundesländer schnell reagieren und die Quarantäneverordnung mit Blick auf die Entwicklung der Pandemie schnell aktualisieren – dadurch können unsinnige Situation wie die aktuelle in NRW verhindert werden und wieder mehr Reisen in weniger stark betroffene Regionen gleichermaßen ermöglicht werden, ohne die Ausbreitung der Pandemie zu verschärfen.
Fazit zur notwendigen Änderung der Quarantäneverordnungen
Es ist Zeit für die Bundesländer, um mit Blick auf die Quarantäneverordnung zu handeln. Das macht nicht nur das Urteil des OVG Münster deutlich, vielmehr haben die Entwicklungen der Pandemie in den letzten Wochen dafür gesorgt, dass eine Änderung der eigentlich sinnvollen Verordnung schon länger notwendig ist. Spätestens jetzt dürfte die Politik aufwachen und nachbessern, was für Reisende möglicherweise positive Folgen haben dürfte.