Jedes Bundesland in Deutschland erlässt eigene Quarantäne- und Einreiseveordnungen. Die Folge sind Verwirrung ohne Ende und Regeln, die niemand mehr wirklich versteht.
Es bedarf einer gewissen Ironie, dass Bundesbehörden genauso wie Landesbehörden gezwungen sind, bestimmte Verordnungen und Gesetze in einfacher Sprache bereitzustellen. Helfen wird das am Ende aber kaum, denn was mit Blick auf die Quarantäne- und Einreiseverordnungen in Deutschland aktuell passiert, ist ein Trauerspiel. Wirklich nachvollziehen kann die vielen Einzelregeln und Ausnahmen längst niemand mehr. Was wo und wann gilt, ist für Verbraucher nicht nachvollziehbar – was allein sicher zu zahlreichen Regelverstößen führt, die dann aber auch nahezu nie geahndet werden. Dabei wären klare Regeln ganz einfach, das zeigen andere Länder mit weniger Föderalismus deutlich.
Ein Gesundheitsministerium klärt nicht auf
Seit nun mehr einem Jahr beschäftige ich mich mit dem Themen Einreiseregeln und Quarantäne und habe durch meinen politischen und juristischen Hintergrund vermutlich noch bessere Startchancen als manch anderer. Dennoch bin ich spätestens im Januar 2021 völlig verloren in einem Wirrwarr aus Dutzenden verschiedenen Regeln, die sich immer wieder ändern. Zum Glück versuchen die Behörden durch “einfache” Verordnungen aufzuklären, das beginnt schon beim Titel. In Schleswig-Holstein etwa findet man die aktuell gültige “Ersatzverkündung (§ 60 Abs. 3 Satz 1 LVwG) der Landesverordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Bekämpfung des Coronavirus des Landes Schleswig-Holstein (Corona-Quarantäneverordnung)”. Zum Glück kann man sich allerdings erst einmal am Bundesgesundheitsministerium orientieren, wenn es um die Einreiseregeln geht. Ein paar Informationen gibt es zudem auch noch beim Außen- und Innenministerium – das Regelwirrwarr beginnt nämlich schon beim Bund, der aber gar nicht so recht zuständig ist.
Das zeigt schon die Übersichtsseite des Gesundheitsministeriums deutlich. Hier stehen zwar so einige Regeln, aber eben auch:
Die Umsetzung der Quarantäneregelungen erfolgt durch Rechtsverordnungen der Bundesländer. Letztendlich verbindlich ist das Recht des Bundeslandes, in das Sie einreisen beziehungsweise in dem Sie sich aufhalten. Beachten Sie auch mögliche Ausnahmeregelungen zur Quarantänepflicht nach dem Recht Ihres Bundeslandes (insbesondere Durchreisende und Grenzpendler).
Informationen auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums
Besonders schön finde ich hier die Formulierung “das Recht des Bundeslandes, in das Sie einreisen beziehungsweise in dem Sie sich aufhalten”. Beziehungsweise? Heißt das nun, dass das Recht des Einreise- , des Aufenthalts-Bundeslandes oder beides gilt? Oder kann ich es mir schlichtweg aussuchen? Wenn es schon meiner eigenen Interpretation bedarf, welche Landesverordnung ich denn nun im Detail untersuchen darf, fängt der Fehler ganz oben an. Wer zudem vermutet, dass es hier wirklich nur um Quarantäneregeln geht, hat sich getäuscht – beim Thema Tests wollen die Länder nämlich auch mitreden.
Bundesregeln und Landesregeln in Konkurrenz
Wer die Einreiseregeln verstehen möchte, sollte die Zeit im Home Office nutzen, um nebenbei noch ein Jura-Studium zu absolvieren. Immerhin setzt der Gesetzgeber mittlerweile voraus, dass man versteht, dass bei der Einreise je nach Bereich einmal Bundes- und einmal Landesregeln gelten. Da ist etwa die Testpflicht, die als erst in Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen auf Landesebene eingeführt wurde – jetzt allerdings eine Bundesregel ist und damit in allen Bundesländern auch dann gilt, wenn sie nicht in der entsprechenden Landesverordnung steht. Innerhalb von 48 Stunden nach der Einreise aus einem Risikogebiet – wohlgemerkt jedem Risikogebiet – muss ein negativer Test auf das Coronavirus vorgelegt werden, schreibt das Gesundheitsministerium. In Brandenburger Verordnung ist dieses Kriterium auch noch einmal erwähnt, in Schleswig-Holstein dagegen nicht. Wer sich also die Verordnung im norddeutschen Bundesland anschaut und nicht an das andere Kriterium, das vom Gesundheitsministerium kommuniziert wird, denkt, bricht schon damit die Regeln – vermutlich, ohne es zu wissen oder es zu wollen.
Das Gesundheitsministerium schreibt allerdings auch noch: “Die häusliche Quarantäne kann in der Regel mit einem negativen Testergebnis frühestens nach fünf Tagen beendet werden.” Mach einer wird sich denken: Das muss auch eine Bundesregelung sein, denn es geht ja wieder um Tests und nicht um Quarantäne. Leider nein, hier geht es wieder um die Landesverordnungen. Kann man sich in Bayern oder Brandenburg beispielsweise Freitesten, ist das in Schleswig-Holstein nicht mehr möglich. Das Ministerium und Schleswig-Holstein sind aber sowieso gute Freude, wie man auch an dieser Formulierung sieht:
Wenn Sie sich in einem Risikogebiet aufgehalten haben, müssen Sie sich direkt nach Ankunft nach Hause – oder in eine sonstige Beherbergung am Zielort – begeben und zehn Tage lang absondern (häusliche Quarantäne). Auf diese Regelungen haben sich Bund und Länder geeinigt.
Informationen auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums
Meine Definition von “geeinigt” scheint gewissermaßen eine andere zu sein, denn in Kiel heißt es in der Landesverordnung:
Da für diese neuen Virusvarianten der Zeitraum der Infektiosität länger ist als bei der herkömmlichen Variante, muss die Quarantänedauer von zehn auf 14 Tage erhöht werden. Angesichts der Gefahr der breiten Verteilung ist die bisherige Möglichkeit der “Freitestung” nicht mehr tragfähig.
Landesverordnung des Bundeslandes Schleswig-Holstein
Noch einmal zum Mitschreiben: Die Testpflicht ist zwar in der Verordnung nicht erwähnt, gilt in Schleswig-Holstein aber trotzdem, so wie es beim Gesundheitsministerium steht. Die anderen Ausführungen des Bundesministeriums gelten in Kiel oder Flensburg dagegen nicht, hier gibt es 14 statt 10 Tage Quarantäne und auch kein Freitesten. Das gilt übrigens nicht nur für Virusvarianten-Gebiete, wie man möglicherweise der Formulierung entnehmen möchte. Wer noch alle Ausnahmen und Sonderregeln studieren möchte, kann das in schlanken 8.500 Wörtern in der Landesverordnung tun!
Virusvarianten und doch gar keine Quarantäne
Amüsiert haben wir uns bislang übrigens erst über die Risikogebiete in ganz normaler Ausführung. Nicht zu vergessen sind dabei auch noch die beiden Neologismen ‘Hochinzidenzgebiet’ und Virusvariantengebiet’ (der Duden freut sich bereits!). Hierfür gelten in den Landesverordnungen auch noch einige sinmple Regeln in einfacher Sprache, etwa in Bayern:
Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a und c, Nr. 4 bis 7 und Abs. 3 gelten nicht für Personen, die sich in den letzten zehn Tagen vor ihrer Einreise in einem Virusvarianten-Gebiet im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 CoronaEinreiseV aufgehalten haben.
Bayerische Einreise-Quarantäneverordnung
Zugegeben: Der Abschnitt ist aus dem Kontext gerissen, aber man sieht gut, wie unglaublich komplex die Verordnungen der Länder formuliert sind – mit zahlreichen Bezügen auf andere Abschnitte, die sich dann wieder auf andere Teile der Verordnung beziehen. Übrigens ist das obige die einzige Erwähnung der Virusvarianten-Gebiete (Hochinzidenz-Gebiete sind gar nicht schriftlich erwähnt) in der bayerischen Verordnung, anderswo kommen sie deutlich häufiger vor. Dass bei einer Rückkehr aus diesen Gebieten schon vor dem Abflug zurück nach Deutschland ein Test vor der Rückreise notwendig ist, ist im Übrigen wieder Bundesrecht – deswegen liegt man davon wieder nichts in den Landesverordnungen.
In diesen dagegen geht es wiederum um Ausnahmen von den Ausnahmen. Ganz richtig: Die Landesverordnungen erwähnen zwar nicht das relevante Kriterium (Test vor der Rückreise), aber stattdessen, dass die Ausnahmen von den Ausnahmen für Quarantäne bei der Rückkehr aus Risikogebieten nicht für Hochinzidenz- und Virusvarianten-Gebiete gelten. Das wiederum gilt aber natürlich nicht für alle Ausnahmen, um noch einmal zusätzliche Verwirrung zu stiften – und natürlich sowieso abweichend für verschiedene Gruppen und Situationen je nach Bundesland. Ganz unerwähnt bleibt aber auch das Testkriterium für diese Sondergebiete nicht überall. In Sachsen etwa erwähnt man sie, um wiederum die eigentlich bundesweit geltenden Regeln einzuschränken. In Sachsen reichen zwei Tests der Woche, zumindest bei Grenzpendlern aus Tschechien – doch keine komplette Bundesregel also. Verstanden?
Nicht vergessen wollen wir zum Schluss Nordrhein-Westfalen, denn hier gilt sowieso noch einmal etwas ganz anderes. Die Landesverordnung sieht hier grundlegend einmal die Wahl zwischen einer Quarantäne und einem Test vor, sozusagen Bundes- und Landesrecht kombiniert. Wer ein negatives Testergebnis hat, muss nicht in Quarantäne. Wer sich nicht testen lassen möchte, kann stattdessen in Quarantäne. Bei Virusvarianten-Gebieten – nicht aber bei Hochinzidenzgebieten – ist die Quarantäne dagegen zwingend erforderlich, Freitesten funktioniert allerdings dennoch. Einen negativen Test vor der Einreise braucht man zudem auch in NRW, hier steht das entsprechend auch in der Landesverordnung.
Verloren in einer überbordenden Bürokratie
Ich bin in dieser Kolumne noch nicht einmal auf die unendlichen Ausnahmen von den verschiedenen Pflichten eingegangen, die in jedem Bundesland anderes geregelt sind. Mal sind sie strenger, mal weniger streng. In Brandenburg reicht im Prinzip jede unbedeutende Geschäftsreise, um die Bestimmungen zu umgehen, in Bayern ist man deutlich schärfer gepolt. Dass zudem sowieso nahezu nie irgendetwas kontrolliert wird, macht die ganze Situation nicht unbedingt besser. Vielmehr zeigt sich gut, dass viel zu viel Zeit mit bürokratischen Regeln im Gestrüpp des Föderalismus verloren gegangen ist, anstatt die Bürger einfach transparent über das zu informieren, was im Kampf gegen die Pandemie wichtig ist. Mag man föderale Regeln bei bestimmten Maßnahmen gegen die Pandemie noch sinnvoll begründen können, fällt das bei den Einreiseregeln schlichtweg schwer.
Das Coronavirus wird es danken, denn es kann in Nordrhein-Westfalen nicht nur einfacher einreisen als in Schleswig-Holstein, es muss sich auch nicht so lange drinnen aufhalten. Das ist ein Trauerspiel und sorgt für Politikverdrossenheit, die an dieser Stelle völlig unnötig ist. Würde man stattdessen klare transparente und bundesweite Regeln kommunizieren, wäre die Einhaltung derer nicht nur einfacher zu kontrollieren, sondern würde auch auf mehr Verständnis bei den Bürgern stoßen. Das hilft im Kampf gegen das Virus mehr als die hundertste Verordnung, die in Komplexität nicht zu überbieten ist.