Neue Destinationen? Allzu hohe Erwartungen an viel Kreativität sollte man bei der ITA Airways-Übernahme durch die Lufthansa nicht haben – das haben nicht zuletzt die letzten Übernahmen deutlich gemacht.
ITA Airways ist endlich im Schoß der Lufthansa angekommen, nach ausgesprochen zähen Verhandlungen, die sich im Grunde schon Jahre ziehen. Dass zwischenzeitlich aus Alitalia die ITA Airways geworden ist, dürfte dabei nur eine Momentaufnahme bleiben. Doch was wird aus der neuen Alitalia, wenn sie von der Lufthansa verwaltet wird? Klar ist, dass die Lufthansa nach Zustimmung der Wettbewerbsbehörden vermutlich ab Anfang 2024 das Ruder übernimmt und dann auch mit einer Integration der Airline in das Netzwerk der Gruppe beginnen wird. Dass eine dabei spannende neue Routen oder viel Kreativität erwartet, sollte man allerdings wohl eher nicht denken.
Das überlappende Streckennetz von ITA Airways
Wenn es in der Lufthansa Group ein Muster gibt, dann ist es sicherlich der Fokus auf das Altbekannte. Das ist aus Sicht von Passagieren sicherlich eher langweilig, für die Lufthansa Group aber ein wichtiger Aspekt dabei, finanziell gute Ergebnisse abzuliefern. Konkret bedeutet das einen Fokus auf besonders rentable Märkte und dafür lieber weniger Kreativität. Flog die Lufthansa genauso wie teilweise auch ihre Töchter früher teils noch aus heutiger Sicht fast schon verrückte Länder an, etwa Myanmar oder Peru, gibt es „besondere“ Ziele, wenn überhaupt noch mit den Urlaubstöchtern Eurowings Discover und Edelweiss. Stattdessen zeigt ein Blick auf die Lufthansa Langstrecken genauso wie auch auf die Swiss Langstrecken ein klares Bild: viel USA und ein paar andere Weltstädte.
Dass sich das gerade mit der Übernahme der ITA Airways ändern wird, kann man absolut nicht erwarten. Das liegt primär schon daran, dass das aktuelle Netz der Italiener im Grunde gänzlich mit dem der Lufthansa Group überschneidet. Buenos Aires, São Paulo und Rio de Janeiro in Südamerika werden von den Deutschen bereits genauso angeflogen wie Neu-Delhi, Tokio, die Malediven sowie die sechs US-Ziele Boston, Los Angeles, Miami, New York, San Francisco und Washington D.C. Bei der Übernahme durch die Lufthansa kommen entsprechend mit Ausnahme einiger Inlandsstrecken nur Dopplungen hinzu – im Westen und Osten nichts Neues sozusagen.
Fokus auf Profitabilität und Altbekanntes
Die Erwartung von einer allzu großen Kreativität erscheint auch deshalb fehlgeleitet, weil die Lufthansa das Ziel ausgegeben hat, die ITA Airways bis ins erste Halbjahr 2026 in die Profitabilität zu führen – wie realistisch das mit Blick auf die chronisch defizitäre Vergangenheit ist, muss sich allerdings noch zeigen. Die beste Chance dürfte die neue Muttergesellschaft aus Frankfurt allerdings dann haben, wenn sie ihre Vertriebspower und Erfahrung sowie das vorhandene Revenue Management auf bekannten Märkten nutzt. Mit Blick auf den Zielmarkt Italien dürfte der Fokus deshalb mit großer Wahrscheinlich auf den USA liegen, denn bei Passagieren aus Nordamerika lassen sich seit jeher die höchsten Durchschnittspreise erzielen.
Dazu kommt das Star Alliance Joint Venture auf den Routen über den Atlantik, zu dem sicherlich auch die ehemalige Alitalia stoßen wird. Dieses garantiert mit Blick auf die Absprache der Preise und geteilte Erträge eine ausgesprochen gute Basis für den erfolgreichen Betrieb der Strecken zwischen Europa und Nordamerika. Dass dieser Weg funktioniert und für die Lufthansa Group entscheidend ist, zeigt sich auch mit Blick auf die anderen Übernahme der Lufthansa in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. So haben die Swiss und Austrian Airlines beide einen klaren Fokus auf Nordamerikastrecken und auch für Brussels Airlines ist die USA immerhin der zweitwichtigste Markt. Dass man gerade bei Italien, dem mitunter beliebtesten Reiseziel der US-Amerikaner, einen anderen Weg gehen wird, erscheint ausgesprochen unwahrscheinlich.
Keine spannende geografische Lage für Langstrecken
Dass man wohl keine verrückten neuen Routen erwarten sollte, liegt auch an der Lage des Drehkreuzes in Rom. Zwar ist die italienische Hauptstadt ein relativ strategisch gelegener Ort für Verbindungen zwischen (Nord-)Europa und Afrika, aber allzu viele Vorteile gegenüber den nahe gelegenen Hubs nördlich der Alpen, insbesondere Zürich und München, ergeben sich nicht. Bedenkt man nun auch noch, dass auch in Italien Streiks bei den Fluglotsen nicht selten sind und auch andere Standortnachteile bestehen, dürfte eine Verlagerung unwahrscheinlich sein. Der italienische Inlandsmarkt scheint dabei auch bereits verloren, denn dieser wird mittlerweile unangefochten von Lowcost-Carrier wie Ryanair und Wizzair dominiert.
Aus geografischen Gründen erscheint es aus Sicht der Lufthansa im Grunde nur sinnvoll ein Hub für Afrika aufzubauen, wobei hier die Lufthansa selbst und ihre aus historischen und ethnischen Gründen auf dem Kontinent gut verwurzelte Tochter Brussels Airlines den Markt bereits dominieren. Italien, das nur eine begrenzte koloniale Vergangenheit und daher auch einen geringen Bezug zu vielen Ländern in Afrika hat, dürfte nicht das erste Hub sein, das für einen Ausbau der Afrikarouten infrage kommt – den leichten geografischen Vorteilen zum Trotz.
Bleibt noch ein anderer Kontinent, der in der Theorie näher an Rom als an den Hubs in Zentraleuropa liegt: Südamerika. Für einen Ausbau im Schoße der Lufthansa Gruppe spricht für die ITA Airways auch hier die bereits vorhandene Marktstellung mit insgesamt drei Routen nach Brasilien und Argentinien – immerhin mehr als die Swiss (ohne Edelweiss) und genauso vielen wie die Lufthansa in die beiden wirtschaftlich wichtigen Länder. Ob das allerdings für einen weiteren Ausbau der Routen auf den Kontinent reicht, darf jedoch eher bezweifelt werden. Das liegt primär daran, dass die Lufthansa Gruppe weiterhin keinen echten Partner in Südamerika über die strauchelnde kolumbianische Airline Avianca hinaus hat, was ein krasser Nachteil gegenüber anderen Weltregionen ist. Zwar sind via Bogota und in begrenztem Maße auch via Sao Paulo durch eine Teil-Partnerschaft mit LATAM einige Umsteigeverbindungen möglich, doch im Vergleich zu Asien oder Nordamerika ist die Position für die Lufthansa Group hier deutlich schwächer.
Mehr Flüge und mehr Auswahl auf denselben Strecken
Klar ist deshalb auch, dass die Übernahme der ehemaligen Alitalia allen voran dafür sorgen wird, dass auf denselben Strecken mehr Auswahl besteht – schon das ist heute oft ein relevanter Vorteil der Lufthansa gegenüber der Konkurrenz auf wichtigen Routen, insbesondere für Geschäftsreisen. Dass es dagegen viele neue Langstreckenziele gibt, erscheint wohl nur dann realistisch, wenn die Lufthansa auch TAP Portugal übernimmt. Lissabon liegt als Hub nicht nur deutlich weiter weg von Frankfurt & Co, sondern bietet darüber hinaus auch eine schier perfekte Lage für ein Südamerika-Hub – nicht umsonst fliegt TAP Portugal bereits ein knappes Dutzend Ziele auf dem Kontinent an. Einige davon sogar mit dem Airbus A321LR, was auf Südamerika-Routen (noch) einzigartig ist.
Zurück zu ITA Airways und Rom. Vielleicht gibt es hier gerade langfristig eine Hoffnung auf etwas wirklich Verrücktes: Seit letztem Jahr fliegt Qantas von Perth nicht mehr nur nach London, sondern eben auch nach Rom. Das liegt sicherlich nicht nur an der Bedeutung der Destinationen für Australier, sondern auch daran, dass die italienische Hauptstadt dann eben doch ein paar hundert Meilen weiter südlich liegt als Städte in Zentraleuropa. Heißt das, dass man in Zukunft auch Lufthansa Group-Flüge nach Australien ab dem neuen Hub sehen wird? So richtig daran glauben will ich persönlich nicht, aber träumen wird man ja wohl noch dürfen 😉.