Ein Jahr wie 2020 wird die Airline- und Tourismusbranche hoffentlich nie wieder erleben – doch dass es für 2021 auf einmal so viel Hoffnung gibt, hätten in diesen grauen Novembertagen wohl auch die wenigsten erwartet.
Der Frühsommer hat in diesem Jahr die Hoffnung zurückgebracht und der Herbst hat sie in aller Härte wieder zerbarsten. Das lässt sich nicht nur am Aktienkurs von Tourismusanbietern erkennen, sondern auch mit einem Blick auf die nackten Zahlen zu Umsätzen oder Erträgen. Wenngleich die schlimmsten Zahlen für das vierte Quartal 2020 erst in einigen Monaten kommen, ist mittlerweile etwas anderes zurück, das für den Tourismus viel wichtiger sein könnte: Die Hoffnung, dass im Jahr 2021 alles wieder normal wird – und damit früher als man zuletzt hätte annehmen mögen.
Der November hat dem Tourismus jede Hoffnung genommen
Eine Pressemitteilung von einem Impfstoffhersteller sollte man nicht überbewerten – das sollte jedem klar sein. Im Grunde sind noch viele Schritte zu gehen und bis zu einer Impfung von einem relevanten Anteil der Bevölkerung(en) wird noch viel Zeit vergehen. Doch all das scheint seit dem 9. November gewissermaßen als Zweifel zur Seite gewischt – zumindest in der Reisebranche. Der Hintergrund ist klar, denn es ist etwas zurückgekehrt, dass der Oktober und der November mit einer Härte der Rückkehr der Pandemie, besonders in Europa, komplett zunichtegemacht haben: die Hoffnung. Im Frühjahr gab es die Hoffnung auf den Sommer, im überraschend guten Sommer für einige Bereiche des Tourismus die Hoffnung auf eine Normalisierung und im Herbst mit steigenden Infektionszahlen zumindest die Hoffnung auf weniger strenge Maßnahmen als im Frühjahr. Zerbarsten sind all diese Hoffnungen und zuletzt war dann sogar nicht einmal mehr klar, ob das Weihnachtsgeschäft, geschweige denn die kommende Saison stattfinden wird.
Wer in den letzten Wochen mit Vertretern aus dem Tourismus gesprochen hat, der hat gemerkt: Die Stimmung war in einer Form niedergeschlagen, wie es nicht einmal im Frühjahr war. Nicht weil die Situation per se schlimmer ist, sondern weil die Hoffnung geschwunden war. Verübeln möchte man das niemanden, denn gerade der neue Lockdown Light mit seinem fixen Enddatum, das schon längst wieder infrage gestellt wurde, wirkt vor dem langen Winter wie ein Damoklesschwert für den Tourismus und damit zusammenhängende Betriebe. Selbst stets hoffnungsvolle und zukunftsgewandte Start-ups wie GetYourGuide haben sich von Mitarbeitern getrennt, einen Kahlschlag gab es auch an vielen anderen Stellen. An den immer kürzer werdenden Tagen im November wird bei immer mehr Firmen im Tourismus das Licht ausgehen – mochte man zumindest annehmen, zumindest bis zum 9. November.
Mit Warpgeschwindigkeit zurück in die Reisenormalität
Dieser Montag nämlich hat etwas gebracht, dass rein medizinisch betrachtet schon eine Sensation ist (der Geschwindigkeit wegen), aber auf kurze Sicht gar nichts bedeutet. Reisen im Dezember wegen dem BioNTech-Impfstoff? Eine Wunschvorstellung. Eine gerettete Wintersaison für die Skiindustrie? Wohl kaum vorstellbar. Ein starkes erstes Quartal für Hotels oder Fluggesellschaften? Ein fahler Traum. Mit Warpgeschwindigkeit (so heißt das Programm von BioNTech) hat all das eher wenig zu tun. Berechtigterweise kann man an dieser Stelle fragen: Warum gibt es im Tourismus dann auf einmal Freudensprung? Das Stichwort ist Hoffnung, denn die Ankündigung von BioNTech macht klar, dass das Reisejahr 2021 zumindest in weiten Teilen wieder normal werden könnte – sogar inklusive Fern- und Gruppenreisen.
Diese Reisenormalität gab es in den letzten Monaten zu keinem Zeitpunkt. Natürlich war es schön, im Sommer überhaupt wieder in den Urlaub fliegen zu können und endlich wieder andere Länder zu erleben – doch verglichen mit den Möglichkeiten im Jahr 2019 und zuvor, war der Reisesommer dennoch weit weg von normal. Von den immensen Einschränkungen durch die Pandemie-Bekämpfung am jeweiligen Urlaubsort oder im entsprechenden Hotel sei an dieser Stelle noch gar nicht gesprochen. All das könnte im Jahr 2021 auf einmal Geschichte sein, vielleicht nicht im ersten oder auch nicht im zweiten Quartal, aber zumindest mit Blick auf den Sommer 2021. Eine weltweite “Herdenimmunität” durch den Impfstoff wird es bis dahin sicherlich nicht geben, aber zumindest für Westeuropäer dürfte eine Impfung dann gut zugänglich sein und entsprechend auch wieder Reisen ermöglichen. Ob das fair oder richtig ist, sei dahingestellt, aber die aktuellen Kalkulationen mit Blick auf die Produktionsmengen nur dieses einen potenziellen Impfstoffes lassen diese Vermutung zu.
Reiseplanung macht vom einen auf den anderen Tag wieder Spaß
Die Rückkehr in diese sogenannte Reisenormalität bringt für die Industrie einen enormen Effekt mit sich. Obwohl der mögliche Impfstoff die Löcher der nächsten Monate bei Veranstaltern genauso wenig wie bei Hotels oder Fluggesellschaften stopfen dürfte, könnte sich etwas Gravierendes verändern: Die Reiseplanung. Bis Anfang November war die Reiseplanung für 2021 im Prinzip genauso wie noch im Frühjahr ein Roulettespiel. Langstreckenflüge im Herbst? Eine Wette. Ein entspannter Städtetrip im Frühjahr? Schwer vorstellbar. Sommerurlaub in Thailand? Wunschdenken. All das ist auch mit der Ankündigung von BioNTech sicherlich nicht garantiert, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein potenzieller Impfstoff Reisen wieder möglich machen wird, ist enorm gestiegen. Deshalb wird im Reisejahr 2021 nicht alles so laufen, wie sich manch ein auf heißen Kohlen sitzender Tourist sich das vorstellt und es wird sicher nicht alles sein wie im Jahr 2019, aber die Reiseplanung macht auf einmal wieder Spaß.
Man kann wieder davon träumen, im kommenden Jahr eine Safari zu machen, Neujahr (von 2021 auf 2022) in Sydney zu verbringen oder an den Stränden der Malediven zu entspannen, ohne an Corona zu denken. Dieser Effekt ist deutlich wichtiger, als man annehmen mag. Kommt die Lust zur Reiseplanung zurück und zeigt sich in den kommenden Wochen, dass der Impfstoff tatsächlich kommt, dürfte die Zahl der Anfragen und Buchungen für Reisen enorm zunehmen. Sicherlich erreichen die Buchungszahlen nicht von heute auf morgen das Niveau der Vorjahre, aber eine starke Belebung des Geschäfts könnte einen Stein ins Rollen bringen, der die Reiseindustrie aus dem Winterschlaf holt. Gerade nach den harten Nachrichten der letzten Wochen, von dem Verbot touristischer Übernachtungen über ein Gebot, lieber nicht zu verreisen und nicht zuletzt einer immer länger werdenden Liste von Risikogebieten, wäre ein solcher Effekt ungemein wichtig. Mit der gestrigen Meldung erscheint er nun auch deutlich wahrscheinlicher.