Nachdem es im Vorhinein schon viel Kritik zu dem neuen, groß angekündigten Kabinenkonzept gegeben hatte, ist die neue Lufthansa Kabine seit nun einem knappen Monat in der Luft. Genug Zeit, um ein erstes Zwischenfazit zu ziehen.

Grundlage dafür sind unter anderem unsere persönlichen Erfahrungen auf den Flügen in der neuen Allegris Business Class. Zusätzlich gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Berichten und Erfahrungen zu den drei momentan eingesetzten Allegris Reiseklassen. Eins vorab: Grundsätzlich bin ich ein Freund der Lufthansa. Trotzdem gibt es auch aus meiner Sicht einiges, was (deutlich) besser hätte laufen müssen.

Timing at its worst

Dabei fällt direkt das erste Problem auf. Die neue Lufthansa Allegris First Class wird es erst ab dem Ende des Jahres geben – Grund dafür: Verzögerungen in der Zulassung der Sitze. Dabei handelt es sich jedoch nur um die Spitze des Eisberges an Problemen. Neben der Kritik am Produkt selbst war das Timing in der Vergangenheit aus Sicht der Lufthansa äußerst ungünstig. Erst die Jahre lange Verzögerung des Boeing 777-300ER Nachfolgers, der Boeing 777-9, dann Corona und zum krönenden Abschluss dann die Auslieferungsprobleme der Boeing 787 und der neuen Sitze.

Um fair zu sein – dieses Drama in mehreren Akten ist dabei zwar nicht unbedingt in den Händen der Lufthansa gewesen. Trotzdem gibt es berechtigte Kritik zum Umgang des Kranichs mit der Situation. Durch die sehr frühe Ankündigung des Produktes ohne absehbares Einsatzdatum waren die Probleme und kritischen Kommentare vorprogrammiert. Zu stark wollte man sich gegenüber der damals neu vorgestellten Qatar Airways QSuite profilieren. Insbesondere die Entscheidung, weiter an der Boeing 777-9 als Erstflugzeug mit Allegris Kabine festzuhalten, ist rückblickend einer der größten Fehler seitens Lufthansa gewesen.

Die folgenden Probleme mit der Zertifizierung der Sitze waren somit nur noch ein Beiwerk des Gesamtchaos rund um den Sitz. Durch die späte Entscheidung, das Produkt nun an Bord der Boeing 787 einzuführen, stand man auf einmal vor neuen Problemen. Probleme, die man vorher anscheinend nicht hätte kommen sehen können. Dabei die bereits ausgeführten Auslieferungsprobleme des Dreamliners einmal außen vor gelassen, wirkte das kontinuierliche nach hinten verschieben, eines möglichen Erstfluges zugegebenermaßen wenig strukturiert und professionell.

Das Endresultat: Die Allegriskabine hob letztlich am 1. Mai dieses Jahres an Bord eines Airbus A350 anstatt einer Boeing 787 nach Vancouver ab. Das ganze dabei jedoch auch nicht so, wie es den Ankündigungen und Ansprüchen der Lufthansa entsprechen sollte. Statt einer First Class Kabine nur mit einer Economy Reihe ganz vorn im Flugzeug. Eine Darbietung, wie sie die gesamte Allegris Einführung nicht besser zusammenfassen könnte. Dabei drehten sich die bisher aufgeführten Probleme nicht einmal um die Kabine und Features selbst.

Stillstand nach der Ankündigung

Diese bietet leider auch hinsichtlich vieler Aspekte gelinde formuliert zumindest Verbesserungspotenzial. So hat man in vielerlei Hinsicht das Gefühl, dass die Sitze nicht dem standhalten, was versprochen wurde. Während man in einigen Sitzen über ausreichend Privatsphäre verfügt, geben andere Sitztypen einem das Gefühl, man sitzt auf dem Präsentierteller. Hinzukommt, dass man an einigen Stellen trotz weniger Wochen in Betrieb bereits deutlich Abnutzungserscheinungen sehen konnte. Da hilft es nicht, dass das Design grundlegend sehr gelungen ist, wenn man nach kurzer Zeit nur ausgefranste oder sich wellende Verkleidung sieht.

Technisch gibt es definitiv Highlights in der neuen Allegris Kabine. Zum einen die Möglichkeiten den Sitz in der Business oder First Class zu kühlen und zu beheizen. Zum anderen die umfangreiche Steuerung über das Tablett. Doch auch dort hat man scheinbar zu Teilen nicht zu Ende gedacht. Davon abgesehen, dass es im Liegen (insbesondere in den Suiten) schwer wird, den Monitor zu bedienen, wird dies im Allgemeinen schwierig, wenn man gleichzeitig das neue Tablett nutzen möchte. So lassen sich (außer während eines Filmes/einer Serie) die beiden Bildschirme nicht unabhängig bedienen. Glücklicherweise ein Punkt, den man im Verhältnis schnell durch entsprechende Software beheben kann.

Insgesamt hat man leider in vielen Punkten das Gefühl, dass man den Sitz wenn nur äußerst geringfügig weiterentwickelt hat. In den sieben Jahren hätte es schließlich mehr als genügend Zeit für ausreichende Erprobung und Weiterentwicklung gegeben. So wird es einem schwer gemacht, diese Kindheitskrankheiten des Sitzes zu verzeihen. Aus den guten Ansätzen ist somit enttäuschenderweise nur ein zu größten Teilen solides Produkt geworden. Einzig außen vor sind hier die Suiten, die in ihrer Größe früher auch ein First Class Sitz hätten sein können.

Fehlendes Service Upgrade

Auch wenn man im Rahmen der Allegris Einführung einige Verbesserungen und Neuerungen eingeführt hatte, so hat man gleichzeitig an anderen Stellen noch viel Nachholbedarf. Sei es die grundsätzliche Essensqualität, die sich nun mal nicht durch einen Amuse Bouche oder ein neues Brot definiert, der Serviceablauf oder die fehlenden Comfort Items, wie Slipper oder Schlafshirts.

Hier wird meiner Meinung nach zu wenig getan, um dem selbst gesteckten Premiumanspruch Genüge zu tun. Insbesondere die Tatsache, dass man selbst auf reinen Nachtflügen wie von der Ostküste Nordamerikas nach Europa aufgrund der Flugdauer keine Schlafunterlagen oder Schlafshirts anbietet, stößt säuerlich auf. Schließlich wäre gerade hier ein erholsamer Schlaf wichtig, wenn er schon nicht lang sein kann. Am ironischsten diesbezüglich waren dann die Bilder aus der Premium Economy der Allegris Flüge, auf denen man Slipper bekam, währenddessen man in der Business Class auf die “Socken” zurückgreifen muss.

Auch wenn es sich dabei scheinbar um einen Fehler gehandelt hat. Man fragt man sich warum, wenn diese schon vorhanden sind, diese nicht auch an die Business Class Gäste ausgegeben werden. Und das auf allen Langstreckenflügen und nicht nur Richtung Asien! Gerade mit dem Service hätte die Lufthansa nicht nur jetzt zum Allegris Start, sondern auch schon während der Durststrecke der letzten Jahre einen deutlichen Mehrwert bieten können. Wie bei Turkish Airlines, Emirates oder auch Qatar Airways zu sehen, kann dieser auch schlechte Bordprodukte übertreffen und somit ein besonderes Erlebnis für den Gast schaffen.

Das Konzept individuelles Reisen zu Ende denken

Am Ende wäre es nun der einzig sinnvolle Schritte nach dem “individualisierten” Sitztypen nun einen deutlich individuelleren Service anzubieten. Mit Dining on Demand, Essen, welches nicht auf einem Tablett gebracht wird und einer deutlichen Qualitätsverbesserung der Speisen sowie wieder mehr Comfort Items, würde man so einiges schaffen. Die dann letztlich doch kleineren Probleme der Sitze würde man so vergessen und dem eigenen Qualitätsanspruch gerecht werden.

Am Ende war das Kind Allegris leider schon in den Brunnen gefallen, bevor es das Licht der Welt erblicken konnte. Zwar gibt es grundlegend Potential, dieses wurde jedoch bei Weitem nicht ausgeschöpft. Ob dies der Tatsache geschuldet ist, dass man in Deutschland immer noch stark genug positioniert ist und nur den höheren Gewinn für sich sieht oder ob man sich weiterhin auf der Position im Wettkampf ausruht – beides ist meiner Meinung nach nicht der richtige Ansatz.

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Autor

Seit dem ersten mit Meilen bezahlten Langstreckenflug in der Business Class ist Jan Niklas von Premium Reisen begeistert. Seitdem beschäftigt er sich tagtäglich mit allem, was das Thema Meilen und Vielfliegerprogramme betrifft und hat sein Hobby mittlerweile bei Reisetopia zum Beruf gemacht.

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