Die Deutschen brüsten sich gerne für ihr wissenschaftliches Vorgehen in puncto Coronavirus. Doch bei den touristischen Öffnungen scheint man sich von dieser Idee längst losgesagt zu haben.

Rund um das Coronavirus sind viele Dinge unklar – bis heute. Klar scheint, dass Mobilität ein Problem sein kann, wenn es um die Ausbreitung des Virus geht. Sicher ist auch, dass Innenräume ein Problem darstellen. Daraus werden für viele Wirtschaftsbereiche kluge Schlüsse gezogen und entsprechende Regelungen getroffen. Doch beim Tourismus scheint weiterhin ein anderer Standard zu gelten, der in Deutschland weltweit einzigartig ist. Der Reiseweltmeister werden gewissermaßen klein gehalten – zumindest dort, wo man dem Tourismus keine große Bedeutung zumisst. Die Ungleichbehandlung für manche Betriebe ist undenkbar und wissenschaftlich nicht zu erklären.

Die Inzidenz spielt längst keine Rolle mehr

Touristische Öffnungen bei einer bestimmten Inzidenz? Das wäre ein sinnvolles und nachhvollziehbares Verfahren für alle Beteiligten. Doch was in Deutschland passiert, ist genau das Gegenteil. Nicht umsonst brauchen Reisende aktuell schon Infografiken, um zu verstehen, wo sie hinfahren dürfen und was denn nun die genauen Voraussetzungen sind. Die Suche nach einer Erklärung in den Inzidenzen zu suchen funktioniert bei den touristischen Öffnungen so gar nicht, denn besonders schnell geöffnet haben mit Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gleich drei Bundesländer mit vergleichsweise hohen Zahlen. Wohlgemerkt ist die Öffnung hier vielfach gleichbedeutend mit der Öffnung von Pools und vielem mehr in einem Hotel – von Tristesse hin zum normalen Urlaub sozusagen. In Ländern mit besonders niedriger Inzidenz, etwa Brandenburg, Hamburg oder Niedersaschsen war und ist man dagegen besonders konservativ.

Die Suche nach einer sinnvollen Erklärung abseits von politischen Linien wird dabei von Tag zu Tag schwerer. Berlins Bürgermeister hebt die Besonderheiten von Städtetourismus als Grund hervor, um touristische Übernachtungen in Berlin zu verbieten, während Bremen, Düsseldorf, München oder Stuttgart munter Touristen empfangen. Brandenburg hebt die Gefahren von Hotelaufenthalten hervor, um gleichzeitig volle Campingplätze zuzulassen. Doch die Spitze der Ironie gibt es wie immer in Berlin, denn dort ist zwar ein touristischer Aufenthalt verboten, Geschäftsreisende oder diejenigen, die das richtige Kreuz setzen, können aber ihr Frühstück und teilweise auch das Abendessen im Innenbereich eines Restaurants verspeisen. Menschenmengen in Kreuzberg sind scheinbar genauso in Ordnung wie ein entspanntes Essen im Restaurant als Geschäftsreisender – touristische Aufenthalte ohne Kontakt zu anderen Hotelgästen aber nicht.

Wirtschaftliche Abhängigkeiten dominieren auf einmal

Es gab eine Zeit, in der zumindest die öffentliche Kommunikation noch dahin ging, dass Gesundheitsschutz über wirtschaftlichen Erwägungen kommen sollte. Das scheint mittlerweile verflogen, denn die Länder, die besonders schnell für den Tourismus geöffnet haben, sind komischerweise die mit einem besonders großen Anteil am innerdeutschen Tourismus. Zufall? Wohl kaum. Dieselbe Entwicklung hat man gleichermaßen auch in anderen Ländern gesehen. Dass Spanien oder Kroatien den Tourismus auch zu Hochzeiten der Pandemie noch zugelassen haben, lag sicherlich nicht daran, dass man die Gefahren verkannt hat – man hat nur eine andere Abwägung getroffen als im vom Tourismus kaum abhängigen Deutschland, wo man eher die produzierenden Betriebe geschützt hat.

Dass nun sogar Mecklenburg-Vorpommern eingeknickt ist und Tourismus schneller wieder möglich machen will, zeigt den aktuellen Trend hervorragend. Das Problem daran ist allerdings, dass der Flickenteppich beim Tourismus tatsächlich einmal nicht nur seltsam, sondern sogar schädlich ist. Es ist schlichtweg bizarr, dass ich als Berliner oder Brandenburger problemlos nach Bayern fahren kann, um mich dort am Pool zu entspannen, es aber nicht möglich ist ein paar Kilometer weiter am See in einem Hotel zu entspannen. Tegernsee statt Schwielowsee scheint die neue Strategie in der Virusbekämpfung zu sein – unabhängig von Inzidenzen und unabhängig davon, dass die Mobilität dadurch besonders stark gefördert wird. All dem die Krone aufgesetzt wird doch tatsächlich von der neuen Einreiseverordnung, die Reisen in die meisten europäischen Länder wieder problemlos möglich macht, während in manchen deutschen Regionen touristische Aufenthalte selbst bei einer Inzidenz von unter 20 verboten bleiben.

Eine nicht auszudeckende Ungleichbehandlung

Man kann sich entsprechend nur ausmalen, was sich ein touristischer Betrieb in Brandenburg denken muss, der voraussichtlich noch Wochen keine Touristen empfangen darf, während dies in Sachsen oder Thüringen – wo die Inzidenz knapp doppelt so hoch ist – problemlos möglich ist. Der Wettbewerbsnachteil ist enorm, die Ungleichbehandlung zum Schreien. Eine sinnvolle Begründung außer der Wahl des falschen Bundeslandes? Nicht vorhanden, denn beispielsweise in Brandenburg hat man sich nicht einmal die Mühe gemacht, wirklich zu begründen, warum Aufenthalte in Hotels nicht möglich sein sollen, während anderer Tourismus schon wieder zugelassen wird. Erstaunlich ist im Zweifel nur, dass juristische Schritte bislang für betroffene Betriebe noch nicht zu einem Ergebnis geführt haben – vermutlich, weil sich mit Blick auf die Hoffnung einer baldigen Änderung niemand traut, gegen die aktuellen Regeln vorzugehen.

Man erinnert sich gerne an den sogenannten Stufenplan aus dem März, der zumindest ein im Gerüst ähnliches Vorgehen für die Bundesländer vorgesehen hat. Doch beim Tourismus scheint man sich von der Grundidee der Einheitlichkeit bizarrerweise losgesagt zu haben. Dabei wäre gerade diese sinnvoll, damit sich die Touristen besser verteilen. Es ist niemandem geholfen, wenn sich die Menschen am Nordseestrand drängeln, weil sie nicht an die Ostsee dürfen. Wenn man die Hälfte des touristischen Angebots beschneidet, steigen nicht nur die Preise für die andere Hälfte, auch die Gefahr der Virusausbreitung wächst ungemein. Vom wirtschaftlichen Schaden für die schlechter gestellten Firmen gar nicht erst gesprochen. Und was passiert, um das Problem zu lösen? Es wird ein Gipfel einberufen, der eine einheitliche Entscheidung für den Tourismus in ganz Deutschland bis Ende Juni bringen soll – Wochen nach dem ein Großteil der Urlaube und Reisen bereits geplant oder absolviert wurden.

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Autor

Moritz liebt nicht nur Reisen, sondern auch Luxushotels auf der ganzen Welt. Mittlerweile konnte er über 500 verschiedene Hotels testen und dabei mehr als 100 Städte auf allen Kontinenten kennenlernen. Auf reisetopia lässt er Euch an seinen besonderen Erlebnissen teilhaben!

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