Es gibt viele gute Argumente dafür, dass mehr Menschen mit Bus und Bahn unterwegs sein sollten – doch das 9-Euro-Ticket ist nicht der richtige Weg. Über Alternativen sollte dennoch nachgedacht werden.
Zum 31. August 2022 läuft das 9-Euro-Ticket nach drei Monaten aus – endlich mag man sagen, denn erste statistische Daten deuten nicht auf den gewünschten Effekt hin. Zwar hat das Ticket eine dämpfende Wirkung auf die Inflation gehabt und viele Verbraucher finanziell entlastet, doch viel verändert hat sich hinsichtlich der Verschiebung vom Straßen- zum Bahnverkehr nicht. Genau deshalb hat das Ticket auch keine Zukunft, da die Lenkungswirkung in der aktuellen Form schlichtweg nicht vorhanden ist.
Kaum Verlagerung von der Straße auf die Schiene
Vorliegende Daten zum 9-Euro-Ticket sind aktuell mit Vorsicht zu genießen, weil die Datenlage nicht unbedingt aussagekräftig ist. Dennoch zeigen sowohl erste Umfragen als auch Auswertungen des Statistischen Bundesamtes, dass die Zahl der Fahrten mit dem Auto kaum zurückgegangen ist, obwohl es deutlich mehr Zugfahrten gab. Zwar gibt es leicht dämpfende Effekte hinsichtlich des Straßenverkehrs bei einem Vergleich der Zahlen von Mai 2022 zu Mai 2019 im Verhältnis zu den Zahlen von Juni 2022 im Vergleich zu Juni 2022, doch inwieweit diese einzig auf das 9-Euro-Ticket zurückzuführen sind, darf man infragestellen. Immerhin galt gleichzeitig bereits der Tankrabatt (was im Mai 2022 nicht der Fall war), was darauf hindeutet, dass der geringere Verkehr auf der Straße tatsächlich auch etwas damit zu tun hatte, dass Verbraucher von Zeit zu Zeit das Auto stehen gelassen und dafür den Zug genommen haben.
“Aus den bisherigen Untersuchungen lässt sich nur ein leichter Verlagerungseffekt von der Straße auf den Öffentlichen Verkehr von bestenfalls zwei bis drei Prozent erkennen”.
Christian Böttger, Bahn-Experte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) gegenüber der Tagesschau
Dennoch sind die Zahlen sicherlich enttäuschend, gerade bei kürzeren Strecken und an Wochentagen. Primär scheint es eine Verlagerung hinsichtlich Wochenendtrips sowie auf Strecken zwischen 100 und 300 Kilometern gegeben haben, aber auch hier nur in kleinem Maße. Das ist insofern bedenklich, als die preisliche Differenz zwischen der Nutzung des Autos gegenüber des Zuges auf solchen Strecken zwischen Juni und August enorm war. So unterschiedlich die Kosten für die Nutzung eines Autos sein mögen, kann man für 100 Kilometer inklusive Sprit einen Wert von etwa 25 Euro als Kosten ansetzen, wie Zukunft Mobilität noch bei niedrigeren Spritpreisen errechnet hat. Rechnet man allein zwei Wochenendtrips von Berlin an die Ostsee, ergeben sich so mehr als 100 Euro Preisunterschied im Monat bei Nutzung des Autos gegenüber des 9-Euro-Tickets. Dass der Rückgang des individuellen Verkehrs selbst auf solchen Strecken nur bei knapp 10 Prozent lag, macht entsprechend deutlich, dass die Verlagerung von der Straße auf die Schiene eher gering ausgefallen ist und der Preis nicht recht ein Argument zu sein scheint.
Fragezeichen um das Bild des öffentlichen Nahverkehrs
Hinsichtlich der verschiedenen Auswertungen und Umfragen wird teilweise resümiert, dass die Menschen durch das Ticket oftmals erstmals die Vorteile des öffentlichen Nahverkehrs kennengelernt oder diesen in den Alltag integriert hätten. Das Problem daran ist allerdings, dass der Nahverkehr durch eine schiere Überlastung besonders auf den während der 9-Euro-Ticket-Wochen besonders gefragten Strecken nicht unbedingt den besten Eindruck hinterlassen hat. Wer im Juni oder Juli von Hamburg an die Nord- oder Ostsee fahren wollte, musste beispielsweise großenteils eng und eng stehen sowie mit relevanten Verspätungen zurechtkommen. Auch in den Großstädten selbst merkte man die Effekte, beispielsweise auf der Berliner Nord-Süd-Achse, wo fast alle Regionalzüge mit teils enormen Verspätungen unterwegs war – weil sie in Richtung Norden an die Ostsee fahren. Unkenrufe über die Deutsche Bahn und andere Betreiber sind dabei ehrlich gesagt nicht angebracht, denn vor dem 9-Euro-Ticket lag die Pünktlichkeit auf den Regionalstrecken oft deutlich über 90 Prozent. Ausnahmen bestätigen gemeinhin die Regel, aber als langjähriger Pendler kann ich sagen, dass die Pünktlichkeit überraschend selten ein Thema war.
Geändert hat sich das erst mit dem 9-Euro-Ticket, das zu einer solch enormen Überlastung geführt hat, dass das teils wirklich angenehme Fahren in modernen Regionalzügen zu einer ziemlichen Qual geworden ist. Auch hier gilt: Auf vielen Strecken und an vielen Tagen gab es keine allzu großen Unterschiede, aber genau dann und dort, wo die Statistiken eine Zunahme des Bahnverkehrs durch das 9-Euro-Ticket gesehen haben (etwa an Wochenenden, auf Strecken ans Meer und generell in Ferienregionen) mussten Passagiere mit häufig gravierenden Verspätungen und komplett überfüllten Zügen zurechtkommen. Wer den öffentlichen Nahverkehr so kennengelernt hat, wird wohl nicht unbedingt wegen der Qualität und Pünktlichkeit zum Stammnutzer. Vielmehr dürften die Erfahrungen den einen oder anderen vergrault haben – vielleicht sogar manch einen, der davor den öffentlichen Nahverkehr gerne genutzt hat.
Realistische Preise und konsequente Überzeugungsarbeit
Sicherlich ist es deshalb nicht damit getan, das 9-Euro-Ticket zu verteufeln. Die Idee, der Test und auch die Entlastung waren richtig. Korrekt ist auch, dass das Angebot und die Infrastruktur ausgebaut werden müssen. Alleine das ist aber auch nicht die Lösung, schon allein weil die Kosten enorm sind und der Ausbau Jahre – wenn nicht Jahrzehnte – dauern dürfte. So sehr es also gut ist, dass die Infrastruktur weiter verbessert wird und mehr Rollmaterial auf die Schiene kommt, um neue Strecken aufzunehmen und bestehende zu verstärken, handelt es sich um keine kurzfristige Lösung. Das 9-Euro-Ticket fortzuführen wie von manchem gefordert ist deshalb aber auch nicht richtig, weil keine echte Besserung zu erwarten ist. Nur des Preises wegen scheinen die Menschen nicht auf den Zug umzusteigen – den hohen Spritkosten zum Trotz. Attraktiver wird der Bahnverkehr durch die zusätzlichen Passagiere zudem auch nicht, im Gegenteil.
Stattdessen bedarf es eines Mittelwegs, der nun immer öfter diskutiert wird. Gegen ein günstigeres Ticket für den Nahverkehr innerhalb von Verkehrsverbünden oder Regionen spricht nichts. Der Zuschuss des Steuerzahlers muss allerdings nicht so hoch ausfallen wie aktuell beim 9-Euro-Ticket – Beträge von 30 bis 50 Euro im Monat für ein Abo erscheinen realistisch und dürften manch einen dazu bewegen, auch langfristig über einen Wechsel des Verkehrsmittels nachzudenken, besonders wenn die Infrastruktur mit der Zeit immer besser wird und der Komfort durch weniger Spaßfahrten aus Preisgründen sowie flexiblere Arbeitszeiten und damit weniger überfüllte Züge zunimmt. Vorteil eines solchen Angebots wäre, dass es für die Länder und den Bund leichter finanzierbar wäre und durch seine Langfristigkeit eine ganz andere Wirkung entfalten kann, weil durch mehr Planbarkeit vielleicht von Anfang auf die Anschaffung eines Autos verzichtet wird.
Günstigere Tickets für Fahren im Fernverkehr
Sofern es gelingen soll, dass die sogenannte Verkehrswende auch tatsächlich gelingt, muss sich allerdings auch über die Regionen und Verkehrsverbünde hinweg etwas tun. Grundlegend sind dabei günstigere Abonnements für das ganze Land denkbar: Vor macht es hier die Schweiz, die im Verhältnis zu den Einkommen ein recht günstiges Generalabonnement bietet, mit dem man im ganzen Land nutzen kann. Dieses ist günstiger als die BahnCard 100 (bedenken sollte man jedoch auch, dass das Land viel kleiner ist), obwohl die Löhne in der Schweiz im Schnitt signifikant höher liegen und erlaubt die Nutzung des Nah- wie Fernverkehrs. Auch in Österreich gibt es mittlerweile ein noch deutlich günstigeres Angebot dieser Art, sodass es bereits jetzt gute Beispiele dafür gibt, wie es gehen kann. Denkbar sind für Deutschland verschiedene Varianten, beispielsweise drei verschiedene Stufen, eine für Regionalzüge (beispielsweise für 100 Euro im Jahr), eines für Regionalzüge und ICs – diese Zuggattung ist im Schnitt weniger stark ausgelastet als ICEs (beispielsweise für 200 Euro im Jahr) und eines für ICEs (beispielsweise für 300 Euro im Jahr). Jeweils enthalten wäre auch der Nahverkehr in ganz Deutschland.
Neben Abonnements sollte auch darüber nachgedacht werden, ob man beispielsweise durch einen staatlichen Zuschuss auch Bahntickets generell günstiger macht. Zwar gibt es auch jetzt schon recht günstige Sparpreise für Fernstrecken, doch sind die flexiblen Preise und auch teilweise die Sparangebote oft noch immer so teuer, dass sich Verbraucher aus Preisgründen eher für das Auto oder das Flugzeug entscheiden – das sollte es zukünftig nicht mehr geben, sofern man es mit der Verkehrswende wirklich ernst meint. Selbstredend sind Anpassungen dieser Art weniger öffentlichkeitswirksam als ein 9-Euro-Ticket, aber sie hätten im Gegensatz zum kurzfristigen Angebot eine echte Lenkungswirkung. Man kann gespannt, was uns in den nächsten Monaten erwarten: Zu hoffen bleibt, dass das 9-Euro-Ticket ein guter Denkanstoß wird, um die Preise für Bus und Bahn generell zu senken und so mehr Menschen durch ein attraktives Angebot – bezogen auf Preis, Infrastruktur und Qualität gleichermaßen – dazu bringt, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen.